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Internet Stadträte unter Beschuss

Beleidigung oder freie Meinungsäußerung? Genthiner Stadträte fühlen sich von Kommentaren in sozialen Medien diskreditiert.

Von Mike Fleske 19.09.2019, 01:01

Genthin l Nutzer der sozialen Medien mischen den Genthiner Stadtrat und die Verwaltung auf, die sich dessen erwehren wollen. Bisher gab es aus den Reihen der Stadträte nur vereinzelt Hinweise auf unsachliche Kommentare an der Arbeit des Stadtrates. Nachdem die Pläne zur Erhöhung der Elternbeiträge und der Steuern im Zuge der Haushaltsberatungen bekannt wurden, hat das Echo in den sozialen Medien für Stadtrat Gordon Heringshausen (CDU) ein Ausmaß und ein Niveau erreicht, das für ihn nicht mehr hinnehmbar ist. Heringshausen zielte damit auf die Kommentare auf der Facebook-Seite der Wählergemeinschaft Pro Genthin ab.

„Wenn man Sachinformationen einstellt, ist man auch dafür verantwortlich, die Kommentare zu kontrollieren und zu regeln“. Viele Kommentare seien unrichtig und unfair gewesen und hätten einer unsachlichen Diskussion Vorschub geleistet, machte der Christdemokrat eine Debatte auf. Das wollte der Fraktionsvorsitzende der Wählergemeinschaft, Falk Heidel (Pro Genthin), nicht auf sich sitzen lassen. „Ich sehe das anders, die Kommentarfunktion ist für uns eine Möglichkeit zu sehen, wie die Leute ticken, wir wollen ihnen nicht gleich einen Maulkorb umhängen“, rechtfertigte er den Kommentarverlauf.

Das brachte wiederum Lutz Nitz (Die Grünen) auf, seit langem ein erklärter Kritiker der Internetauswüchse. „Was in manchen Kommentaren losgelassen wird, erfüllt den Tatbestand der Verleumdung und der Beleidigung“, fand er und mahnte an: „Der Seitenbetreiber ist verantwortlich für das, was auf der Seite passiert.“ Der Stadtrat sei mehrfach hohler und leerer Versprechungen bezichtigt worden, oder es sei in den Raum gestellt worden, ob er noch alle Latten am Zaun habe. Es sei behauptet worden, dass die Räte 500 Euro für ihre Arbeit bekämen, was eine Neiddebatte befeuert hätte.

Heringshausen informierte den Stadtrat darüber, dass er in die Diskussion der sozialen Medien eingegriffen habe und einige Nutzer zur Stadtratssitzung eingeladen habe, so dass sie sich selbst ein Bild von der Arbeit des Gremiums machen können. „Einige waren heute auch da“, erklärte er. In der Tat war das Interesse der Bürger an der Dienstag-Sitzung so groß wie selten zuvor.

Facebook-Kommentare hatten allerdings auch die Verwaltung im Vorfeld der Stadtratssitzung in Unruhe versetzt.

Fachbereichsleiterin Alexandra Adel unterrichtete den Stadtrat darüber, dass sich im Vorfeld der Stadtratssitzung eine Gruppe über die sozialen Medien verständigt habe, die Sitzung aufzusuchen. Daraufhin habe sie Rücksprache mit dem Landkreis genommen, um zu klären, ob es sich dabei möglicherweise um eine unangemeldete Demonstration handeln könnte. Nachdem sich wiederum der Landkreis mit der Polizei kurzgeschlossen hatte, bot diese der Stadt Genthin an, einen Streifenwagen zur Beruhigung der Lage zu schicken. Davon habe sie keinen Gebrauch gemacht, weil die Situation ruhig war.

Adel machte für diese Aufregung die Berichterstattung über die beabsichtigte Erhöhung der Elternbeiträge bei Facebook, aber auch durch die Presse verantwortlich. „Dort sind Informationen falsch dargestellt worden, und es hat sich eine eigene Dynamik entwickelt.“ Die Volksstimme hatte bereits vor gut zwei Wochen in Vorbereitung der Haushaltsdebatte bei Bürgermeister Matthias Günther (parteilos) eine Anfrage gestellt, welche Einsparungen die Verwaltung dem Rat vorstellen wird. Die Anfrage blieb unbeantwortet. Als wenige Tage später die Informationsvorlage zur möglichen Erhöhung der Elternbeiträge öffentlich im Internet abrufbar war, griff die Volksstimme dies für eine Berichterstattung auf.

Offensichtlich zum Missfallen der Verwaltung, die sich bisher weder mit Eltern noch mit Kuratorien der Kitas über die geplanten Erhöhungen verständigt hatte.

Dementsprechend prasselten Anrufe auf die Verwaltung ein. „Wir hatten keine angenehme Woche“, sagte Adel. Elternvertreter und Kuratoriumsmitglieder hätten massiv nachgefragt, als die Verwaltungspläne zur Anhebung der Elternbeiträge öffentlich wurden.

Die Wählergemeinschaft Genthin-Mützel-Parchen, und hier insbesondere Pro Genthin, hält auch nach der Debatte im Stadtrat an der Internet-Plattform unverändert fest. Fraktionschef Falk Heidel zeigte sich auf eine Volksstimme-Anfrage am Mittwoch unbeeindruckt. Die Plattform „Stadtrat Pro Genthin“ berichte in komprimierter Form aktuell über Fakten aus dem Stadtrat beziehungsweise entsprechender Gremien. „Die Menschen, die unsere Stadträte gewählt haben, bekommen hier die Möglichkeit, sich an aktuellen Debatten zu beteiligen. Im Zuge solcher Diskussionen sind wir Stadträte gut beraten, die Menschen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger zu belehren, sondern ihnen zuzuhören und geeignete Vorschläge in die Arbeit einfließen zu lassen.“

Bürgermeister Günther, der selbst eine Facebook-Seite betreibt, mischte sich nicht in die Debatte ein und bestätige lediglich, die Vorgänge zur Kenntnis genommen zu haben.

Lutz Nitz (Grüne) bekräftigte gegenüber Volksstimme: „Die Mehrheit des Stadtrates steht für einen offenen Dialog mit den Bürgern und würde eine freie Meinungsäußerung niemals unterbinden. Aber hier geht es um Unwahrheiten und um die Unterstellung gegenüber den Stadträten, sie wären nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Solche Kommentare spalten die Gesellschaft, und es ist schade, dass dies in unserem kleinen Genthin auch angekommen ist.“