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Karneval Turbulent und spitzzüngig

Corona machte den Auftritt des Genthiner Carneval Clubs Waschmittelwerk zunichte. Erinnerungen an die vergangenen Jahre.

Von Mike Fleske 30.01.2021, 00:01

Genthin l Eigentlich hätte heute Trubel im Stadtkulturhaus sein müssen, der Saal geschmückt, die Zuschauerreihen mit Besuchern gefüllt und Blasorchester und Karnevalisten auf der Bühne in Aktion. Doch bleibt es beim CCW ruhig. Zum ersten Mal seit 23. Jahren. „So eine lange Pause wie in den 90er Jahren wird es hoffentlich nicht werden“, sagt Organisationschefin Angela Engel. Denn damals gab es acht Jahre keine Veranstaltung. Inzwischen hat der 1963 gegründete Verein viel zu bieten, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten beständig weiterentwickelt, sich verjüngt und die Lokalpolitik als Ziel des Spotts für sich entdeckt.

Für die Mitglieder heißt das: Informiert sein, Volksstimme lesen, Stimmungen auf der Straße mitbekommen, in sozialen Medien Diskussionen verfolgen und diese gemengt mit Gespür für Humor und Pointen zu schmissigen Programmpunkten verarbeiten. Die Vorbereitungen für die närrische Saison beginnen oft schon im September und Oktober. „Eigentlich bringt mittlerweile jeder etwas mit.“ Und dann wird in der Runde geschaut was geht – oder auch nicht. Spitzzüngig soll der Humor sein, treffend, aber nie unter der Gürtellinie.

„Da wird dann oft viel diskutiert, gestrichen und neu gemacht.“ Nicht jeder sei davon immer so überzeugt. „Es gehört für mich bei einem kreativen Prozess dazu, sich Themen und Programmpunkte auch mal kontrovers zu erarbeiten“, findet Angela Engel. Manchmal gehe es darum Texte griffiger zu gestalten oder auch Bilder und Kulissen zu finden, mit denen Auftritte präsentiert werden können. So wurde vor einigen Jahren ein frivoles Lied über einen Mönch und eine Nonne mit Schattenspielen begleitet. Der anzügliche Text bekam dadurch eine bildhafte Begleitung, ohne anstößig zu sein. Und die langjährigen Mitstreiter haben einen Blick für das, was sich aus dem Alltag für Musik, Tanz, Büttenreden und Sketche verwenden lässt. „Man hört im Autoradio genau hin, wenn bestimmte Lieder laufen und fragt sich, was für einen Text könnte man selbst darauf dichten“, hat Sängerin Rita Wagner einmal erzählt. Gemeinsam mit ihrem Mann Jürgen oder Mitstreitern Axel Lorenz, Frank Zelmanski, Mario Engel gehört sie heute zu den Urgesteinen im Programm. Ergänzt wird die Truppe durch jüngere Mitwirkende wie etwa Christine und Karsten Schwarz, Martin Müller, Max Reinshagen oder Sebastian Kroll. Das seien alles Darsteller, die in verschiedenen Rollen auf die Bühne gestellt werden könnten. Egal ob Wort, Gesang oder Tanz. Einige Mitglieder müssen immer wieder ran. Da muss das Männerballet in Cowboytracht auf Steckenpferden zum Lied „Cotton eye Joe“ oder Strapsen zum Rocky-Horror-Hit „Time Warp“ tanzen. Das ist schweißtreibend und fordernd.

„Wir machen in den beiden letzten Wochen vor den Festsitzungen ein Hardcore-Training, so gut wie jeden Tag wird geprobt“, verrät Angela Engel. Die Mühe lohnt sich, die Tanzdarbietungen sind Höhepunkte im Programm. Auch die Auftritte mit den Tänzerinnen der Gruppe „Delicious“ des Jugendclubs Elbe-Parey gehören zu den festen Programmpunkten.

Die „bunten“ Tänze etwa zu Hits des Musicals „Grease“ seien etwas ganz besonderes. Zumeist gäbe es sonst nur Männerensembles oder Frauengruppen“, hatten die Brandenburger Karnevalisten einmal gelobt. Erfolgreich werden junge Akteure und Urgesteine abwechselnd im Programm präsentiert. Da gibt es die Kindertanzgruppe CCW-Krümel, die mit schmissigen Tänzen den Saal in Schwung bringen oder Hedi Matthies und Lana Nerling, zwei Schülerinnen, die ihre Sicht auf Eltern, Geschwister oder Schule schildern: „Ich sollte die Eisheiligen aufsagen, das sind Langnese, Schöller und Dr. Oetker.“ „Die Sprüche und Witze, die wir hier auswählen, müssen natürlich zu den Kindern passen, da wählen wir sehr genau aus“, sagt Organisatorin Engel. Ein Anliegen ist es ihr aber auch, dass die bewährten Kräfte des Vereins Raum bekommen.

Zu ihnen gehört heute vor allem Burgi Koch, die seit Jahrzehnten als Marktfrau a.D den Stadtoberen die Leviten liest: „Der Bürgermeister geht nach Burg, ich kann darüber gar nicht lachen, sagt Tschüss nur und winkt, wie kann man sowas machen?“, reimte sie 2018, als der damalige Genthiner Stadtchef Thomas Barz sich in Richtung Landkreis verabschiedete. In jenem Jahr schuf Angela Engel mit den beiden Jungspunden Jan Jeschinski und Jonas Hahm einen modernen Klassiker des Genthiner Karnevals, als sie Jonas als Bürgermeister und auf die Karriereleiter von Genthin über Burg und Magdeburg bis nach Berlin schickte.

Detailliert wurde damals eingeübt, bei welchen Stichworten der junge Bürgermeisterdarsteller die Klappleiter emporsteigen sollte. Ganz penibel wurden die Pointen gesetzt. Kurios übrigens, dass Jonas durch einen von seiner damamaligen Grundschullehrerin Angela Engel betreuten Auftritt auch seinen Vater Oliver zum Karneval brachte. „Da mache ich auch mit“, sagte der vor ein paar Jahren und ist mittlerweile ebenfalls eine feste Größe. Dass es vor den Auftritten manche Aufregung gibt, sehen die Zuschauer nicht.

Dabei geht es hinter den Kulissen oft genauso turbulent zu, wie auf der Bühne. Es sei schon häufig vorgekommen, dass jemand ein Requisit verbummelt habe, oder das Kostüm nicht vollständig gewesen sei. Damit fünf Minuten vor dem Auftritt nicht die große Panik ausbreche, habe man Abhilfe geschaffen: „Es gibt jetzt extra jemanden, der aufpasst, dass alles an Ausstattung da ist, was letztlich gebraucht wird“, verrät Angela Engel. Überhaupt ist hinter den Kulissen viel los. Da geben sich versierte Bühnenbauer, die die Ausstattung nahezu in Sekunden austauschen können mit den Technikern von Licht und Ton die Klinke in die Hand. „Jeder wird in den Proben individuell ausgesteuert, sodass er perfekt zu hören ist“, erklärte einmal Robert Franz.

Voraussetzung sei, dass jeder das ihm zugewiesene Mikrofon beim Auftritt verwende. Gemeinsam mit Bruder Sebastian, Schwester Christine und Mutter Monika, gehört er zu einer echten Karnevalsfamilie. Und wenn man den CCW als Familie bezeichnen möchte, ist die in den vergangenen Jahren beständig gewachsen. Mehr als 80 Akteure tragen zum Gelingen bei, darunter auch 25 Musiker des Genthiner Blasorchesters und der ehemalige Schulleiter des Gymnasiums Gotthard Wienmeister.

Einst vorübergehend eingesprungen, ist er jetzt als Mann am Klavier nicht mehr wegzudenken. Und ebenfalls zum Ensemble gehören wechselnde Prinzenpaare, die alle ihre individuellen Fähigkeiten mitbringen, tanzen, singen oder reimen. Im vergangenen Jahr spielte Prinz Conrad Ritzke Geige. Die Genthiner hoffen auf eine baldige Rückkehr ihrer Karnevalisten und darauf CCW-Präsident Fritz Mund sagen zu hören: „Wenn Ihr am Sonntag beim Frühstück sagen könnt: ‚Es war ein schönes Programm’, dann ist das der beste Lohn für uns.“