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Mitmachkonzert Jeder kann Musik machen

Viele Musiker präsentierten sich auf der ersten Open-Stage in Jerichow. Von Irish Folk bis Schlager gab es viel zu hören.

Von Thomas Skiba 07.02.2020, 04:00

Jerichow l Wer traut sich als erster auf die Bretter? Gespannte Ruhe im Saal des AWO Fachkrankenhauses Jerichow. Sandra Busk prüft noch einmal ihr Instrument, atmet tief durch und schreitet über die Künstlertreppe auf die Bühne. Luft braucht die geborene Isländerin, denn gleich wird sie ein Lied ihrer Heimat vortragen, „ein Liebeslied“, sagt sie und sie spielt es auf der Klarinette.

Das Haus 17 auf dem Gelände des Fachkrankenhauses öffnete am Dienstagabend seine Bühne für Künstler und welche, die es werden wollen. Sich versuchen, Mut zu haben, sich zu zeigen, und das mit ganz viel Spaß, war eines der Motive des AWO-Aktiv-Teams um Sabine Iser, Marco Pernitzsch, Olaf Wenzlau und Matthias Witt. Iser sagt: „Diese offene Bühne soll ein schöner, sicherer Raum sein, mit einer großartigen Atmosphäre – weg von Leistungsdruck und Perfektion.“ Hier kann jeder singen und mitsingen und, betont Iser, wenn jemand sich doch plötzlich entschließen sollte, noch etwas darbieten zu wollen: „Gerne.“ In der Ankündigung der Veranstaltung baten die Organisatoren um Anmeldungen. Schließlich wollten Iser und der Rest einen Ablauf, oder wie es neudeutsch in Künstlerkreisen heißt, eine Playlist erstellen. „Dann weiß jeder, wann er dran ist und der zeitliche Rahmen lies sich so auch besser abschätzen.“

Mit mehr als 25 Musikern, die sich ansagten, übertraf dann die Teilnehmerzahl die Erwartungen der Netzwerker von „AWO Aktiv“, selbst im Laufe des Abends kamen weitere dazu. Keiner musste Profi sein auf der Bühne: Gefragt waren Spaß am Musizieren, Freude am Reden und Singen und ein wenig von dem zu zeigen, wie man empfindet. Denn Musik und Gefühle bedingen einander. Mit Irish Folk-Songs begeisterte Katharina Albrecht die Zuhörer und brachte den Saal zum Toben. „Ich singe euch ein irisches Rebellenlied“, rief sie und mit ihrer Gabe zum authentischen Vortragen dieses Genres gewann sie vom ersten Takt an die Herzen der anderen. Die Lacher auf seiner Seite hatte Hausmeister Siegfried Herrmann. Statt zu singen, stimmte er für einige Sekunden seine Gitarre: „Damit kann man Zeit schinden, wenn man aufgeregt ist.“ Als er dann „Somewhere over the Rainbow“ anstimmte, holte Herrmann für knapp drei Minuten Hawaii in das Haus 17. Extra für die offene Bühne fanden sich Patienten des Fachkrankenhauses zusammen und gründeten einen Chor. Ab Mitte Januar probten und sangen die Frauen und Männer jeden Abend, erzählt einer der „Sänger ehrenhalber“.

Dass es sich gelohnt hatte, war an der Resonanz des Publikums zu erfahren. Mit rhythmischem Klatschen verlangte es eine Zugabe des Beatles-Klassikers „let it be“, in das der Chor erneut professionell einstimmte. Dass die offene Bühne Begegnungsmöglichkeiten schaffen soll zwischen dem Fachkrankenhaus und den Orten des Umlandes, ist einer der Wesenszüge dieses Netzwerkes. Dass sie damit auf der Erfolgsschiene fahren, zeigen die ganz unterschiedlichen Sänger und Musiker, etwa aus Jerichow und Elbe-Parey. Der Jerichower Jens Dittmann schnappte sich eine Gitarre und ersang sich reichlich Applaus und Fritz Lüde aus Ferchland überzeugte das Publikum mit einem Schlager. Für einige aus dem Saal der Anstoß zu tanzen.

Denn offene Bühne hieß an dem Abend ebenso nicht nur passiv zuzuhören, sondern mitzumachen, egal wie. Wo die Musik spielt, da ist Jerichows Ortschef, Andreas Dertz, nicht weit. Mit aktuellen Songs begeisterte er die Zuhörer. Bei „Auf das, was da noch kommt“ suchte er die Melodie. Rettung nahte, als ein Gast spontan die Bühne erklomm und Dertz in Text und Ton unterstützte. Die Band Saitenspinner aus Jerichow begleitete jeden, der etwas musikalischen Halt brauchte, später dann holte die Band sämtliche Künstler auf die Bühne. Gemeinsam sangen alle „knocking on heavens door“ in der Originalversion von Bob Dylan. Ob vor oder auf der Bühne: Gegenseitiges Anspornen, um gemeinsam einen schönen Augenblick zu erfahren – hier wurde es gelebt.

Im August des letzten Jahres gründete sich das Netzwerk „AWO Aktiv“. Die agile Truppe um Iser, Witt, Pernitzsch und Wenzlau möchte nach dem Erfolg des ersten „Open Stage“ diese nicht alltäglichen Mitmach-Konzerte auch an anderen Orten organisieren und damit in die Fläche tragen. Iser könnte sich Kirchen oder den Malzkellersaal in der Klosteranlage Jerichow vorstellen.

Das Netzwerk „AWO Aktiv in Jerichow“ will Schnittstelle sein, zur Kunst und Kultur des Fachkrankenhauses, sagt Marco Pernitzsch, „und zur Kultur, die im Jerichower Land stattfindet.“ Vorschläge sollen hier gebündelt und umgesetzt werden, so die Gründer und das Netzwerk solle das Podium sein. Mit dem Start der Kooperation hoffen sie, dass sich Interessierte mit jeder Art von Ideen melden. Diese müssen nicht aus dem Kreis der AWO und des Fachkrankenhauses selbst kommen, auch Gemeinden, Vereine und jeder, der „aktiv“ werden möchte, kann sich hier einbringen.

„Hallelujah“ ertönt. Sandra Busk legte dafür die Klarinette zur Seite und spielt das Leonard-Cohen-Lied zart auf der Blockflöte. Das Publikum hört zu, nach und nach singen einige mit´. Erst leise, dann lauter, immer mehr setzen ein. Nicht nur Busk hat sich getraut an diesem Abend – sondern alle.

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) gehört zu den sechs Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Der Verband ist in allen sozialen Bereichen aktiv tätig. In ihm haben sich Mitglieder und ehrenamtlich tätige Bürger zusammengefunden, um in unserer Gesellschaft bei der Bewältigung sozialer Probleme und Aufgaben mitzuwirken und um den demokratischen, sozialen Rechtsstaat zu verwirklichen.