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Pferdehof Der Rittmeister aus Karow

Willi Beaupoli kümmert sich noch mit 88 Jahren um 22 Rösser auf seinem Pferdehof in Karow. Er ist Rittmeister aus Leidenschaft.

Von Thomas Skiba 15.06.2020, 04:00

Karow l Nicht erst seit dem Hollywood-Film „Der Pferdeflüsterer“ wissen Pferdeexperten, dass die Tiere feinfühlige Lebewesen sind - mit einer ganz eigenen Sprache. Einer, der die Kommunikation unter und mit den Pferden versteht, ist Willi Beaupoil. „Auch bei Pferden heißt es, den richtigen Ton zu treffen, sonst sind sie stur“, sagt der Pferdefachmann. Auf seinem Pferdehof bei Karow richtete er vor circa 20 Jahren einen Pferdehof ein. Spartanisch funktionell wäre das Anwesen zu beschreiben und doch hat es den Charme eines Gestüts aus vergangenen Tagen. Eine ehemalige Rinderanlage eines Landwirtes stand leer und Willi Beaupoil griff zu, zimmerte Boxen, Ausläufe und Weidezäune, um seinen Schützlingen am Südhang der Karower Platte an der Landesgrenze Sachsen-Anhalt zu Brandenburg, ein artgerechtes Zuhause bieten zu können. Zudem konnte er sich als hier ungestört seiner Leidenschaft, dem Einreiten von Pferden, widmen.

Derzeit kümmert er sich, unterstützt von Ehefrau Anni, noch um 22 Rösser. „Ich bin 88 Jahre und habe mein ganzes Leben mit der Aufzucht und dem Zureiten von Pferden verbracht“, erzählt Beaupoil und er gesteht, dass er keinen Tag davon missen möchte. Selbst in seinen Alter reitet er noch Pferde ein, viele davon beigestellte Tiere. Beaupoil ist bekannt in der „Pferdeszene“ weit über Deutschland hinaus, selbst aus von der Arabischen Halbinsel kommen Anfragen, ob er für einen betuchten Scheich Pferde zureiten könne. Doch die meisten Ersuchen kommen aus dem nahen europäischen Ausland, wie Belgien, Holland oder Frankreich.

Will man Pferde zureiten, handelt es sich meistens nicht um Senioren, sondern um Jungtiere und die müssen erst an das Laufen unter dem Sattel gewöhnt werden, so Beaupoil. Das Einreiten erfolgt erst, wenn das Pferd ausgewachsen und belastbar ist, etwa im Alter von drei bis dreieinhalb Jahren oder noch später. Dann seien die Tiere nicht mehr so schreckhaft, wie Willi Beaupoil sagt, denn „Pferde sind ja Fluchttiere“. Als Rittmeister der klassischen Schule weiß Beaupoil, dass Pferde erst mit 20 Jahren so richtig gut werden und mit 30 nichts verlernt haben. Viele unserer heutigen Reitpferde werden kaum noch 20 Jahre alt, zu schnell müssen sie Leistung bringen und sind dann, in der eigentlichen Blüte ihrer Jahre nicht mehr reitbar. So finden bei ihm solche Pferde ihr Gnadenbrot.

„So manches Tier nahm ich schon zurück, welches den Erwartungen der Besitzer nicht mehr entsprach, weil es angeblich zu alt war“, sagt Willi Beaupoil und gesteht, „Ich könnte es nicht übers Herz bringen, sie zurückzuweisen.“ Bis heute reitet er seine jungen Pferde sehr langsam, sehr spät und sehr sanft ein und trainiert sie vorab durch Handarbeit bis der Bewegungsapparat absolut stabil ist. Dann ist das Tier erst bereit, das Reitergewicht unbeschadet tragen zu können. Der Pferdefachmann weiß, dass es beim Zureiten auf Vertrauen ankommt. Das wirkt sich aus beim Zusammenspiel zwischen Mensch und Tier. „Darauf lege ich mein Augenmerk“, betont Beaupoil. Durch die zahlreichen Aufträge und „ich bin ja nicht mehr der Jüngste“, stellte Beaupoil Mitarbeiter ein, die nicht lange bei ihm blieben. Nicht das er mit den „Neuen“ nicht klarkam, so sagt er, vielmehr merkte Beaupoil, dass sich keine richtige Beziehung zu den Pferden entwickelte, die Tiere unwillig, ja zum Teil aggressiv wurden. „Da mussten wir uns wieder trennen“, gesteht der wettergegerbte Mann.

Pferde nehmen nun mal Feinheiten wahr und spüren, wenn Menschen unsicher, ängstlich oder unkonzentriert sind, so Beaupoil und reagieren entsprechend. Eine der Ursachen für Missverständnisse zwischen Pferd und Mensch ist in der Wahrnehmung der Umwelt durch die Tiere zu suchen. Pferde haben einen feineren Draht. Sie bemerken Bewegungen, Gerüche und Geräusche, die uns entgehen oder wir erst viel später wahrnehmen. Laut der Verhaltensforscherin Margit Zeitler-Feicht von der Technischen Universität München-Weihenstephan haben die Rösser fast einen Rundumblick mit einer blinden Zone direkt vor und hinter sich. In der Dämmerung können sie besser sehen als Menschen, und ihre Nase ist so fein, dass sie sogar riechen, wenn wir Angst haben.

Von wesentlicher Bedeutung ist die Gewöhnung an den Stall und zugleich an den Reiter. Das Tier erlernt Schritt für Schritt den nötigen Respekt, erklärt Beaupoil. Ist der nicht gegeben, deutet daraus das Tier: Ich bin die Nummer eins! Was dann weitreichende Folgen hat - bis hin zur fehlenden „Rittigkeit“.

Warum haben sich die Beaupoil hier in der Region niedergelassen? Ursprünglich stammen beide aus der Gegend um Düsseldorf. „Dort besaßen wir ja schon einen Pferdezucht- und Reiterhof“, erzählt Anni Beaupoil und erklärt, „Dort wurden die Weideflächen immer weniger und die Einschränkungen größer.“ Es fehlte schlichtweg an Platz und da sahen sie ihre Chance im Osten der Republik. Ihnen war klar, dass sie hier ganz von vorn anfangen müssten, da waren beide um die 60, „doch wir stellten uns der Herausforderung“. Bis heute haben die zwei es nicht bereut, diesen Schritt getan zu haben, denn, so sagt Anni Beaupoil: „Auch wenn wir das Rheinland manchmal vermissen, für uns und unsere Pferde war es da Beste.“ Wie lange er denn noch sein Glück auf dem Rücken der Pferde finden will? Wenn es wirklich nicht mehr geht, weiß Willi Beaupoil zu antworten. Doch bis es soweit ist, wird er noch so manchem Pferd die Passage und Piaffe, beides klassische Grundgangarten im Reitsport, einflüstern.