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Chormusik Von der Schildkröte zum Singvogel

Über die Stadtgrenzen hinaus ist der Chor des Bismarck-Gymnasiums ein Begriff. Ein Blick hinter die Kulissen.

Von Nathalie Mucha 04.10.2016, 23:01

Genthin l „Seemann“, kommandiert Anke Held und die Schüler antworten 13 Mal mit einem kräftigen „Ho!“. Was auf den ersten Blick bizarr wirkt, hat durchaus einen Grund. „Erst nach einer gründlichen Erwärmung klingt die Stimme so richtig gut“, sagt Held, langjährige Leiterin des Schülerchors. Neben Übungen für das Zwerchfell wird auch die Atmung trainiert. Erst kommt das Federpusten an die Reihe, dann die Schlange und schließlich die Hummel. Und siehe da, bis jetzt ist noch kein Schüler bei einem Lied mit schwieriger Atmung in Ohnmacht gefallen, wie zum Beispiel bei „Air for Advent“ von Bach. „Aber Hauptsache ist, dass nicht alle gleichzeitig atmen“, meint Held. Ansonsten würde es wie ein kollektiver Schluckauf klingen.

Nicht nur eine gute Atemtechnik ist für das Singen wichtig. Dazu gehört auch Körperspannung. Schon mit dem Kinderchor übt Anke Held die Grundtechniken: „Ohne Körperspannung klingt man wie eine Schildkröte mit Erkältung, mit Spannung dagegen wie ein Singvogel im Frühling. Da gibt es schon einen Unterschied.“ Eine gute Körperspannung zeichnet sich durch einen festen Stand, leichte Spannung in Po und Bauch, zurückgenommene Schultern und einen geraden Blick aus. „Und immer Lächeln“, betont Held.

Manchmal darf der Chor auch grimmig gucken, wie bei „Sinner you know“ zum Beispiel. Das stellt dann eine willkommene Abwechslung dar und die Gesichtsmuskeln können auch mal etwas entspannen. Dennoch dürfe man auf eine deutliche Aussprache nicht verzichten. „Das Publikum sollte schon verstehen, was wir singen“, sagt Held. „Auch wenn der Text auf Englisch sein sollte.“ Auch für diesen Schwerpunkt gibt es eine Lösung: den Tischtennisball. Die Schüler stellen sich vor, sie hätten einen Ball im Mund, mit welchem sie dann Vokale singen. „So trainieren wir das richtige Singen verschiedener Wörter. Man kann nun einmal mit aufeinander gepressten Zähnen nicht deutlich singen.“ Besonders wenn ein Vokal länger gehalten werden müsse, ist der normale Sprechgebrauch für das Singen abzuwandeln. „Ansonsten hört sich ein ‚e‘ schon mal wie ein ‚i‘ an. Das klingt dann, als wäre der Chor angeekelt“, fügt Held lachend an.

Die beste Technik nützt dennoch nichts, wenn man keinen Chorleiter hat. Doch dann fehlt nur noch das richtige Reagieren auf die verschiedenen Kommandos. „P-t-k ist meine Lieblingsübung“, sagt Anke Held. Bei dieser müssen die Sänger auf sie reagieren. Dabei geht es um Tempo, Lautstärke und natürlich darum, richtig zu reagieren. Da wird schon mal eine unerwartete Pause eingebaut, auf die nicht alle beim ersten Mal rechtzeitig reagieren, was dann für ein paar Lacher sorgt. „Am Anfang geht es jedem so. Im Laufe der Zeit lernen die Schüler und werden immer besser. Dann ist es zuweilen auch so, dass ich falsche Kommandos gebe, der Chor aber einfach weiter singt. So muss es auch sein, und wenn man die Stücke erst einmal drauf hat, kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Bei komplett neuen Stücken lernen der Chor und ich auch zusammen. Das ist ein stetiger Prozess.“

Wie zu Beginn jedes Schuljahres musste auch der Chor in den vergangenen Wochen erst wieder zusammenwachsen. „Die alten Hasen haben die Schule verlassen, neue Mitglieder sind dazugekommen. Da ist es normal, dass sich der Chor zunächst etwas schräg anhört“, sagt Held. Das gebe sich mit der Zeit. Über nicht vorhandenen Nachwuchs kann man sich jedenfalls nicht beschweren. Fünf neue Männerstimmen erfreuen Anke Held. Die Jungen aus der Neunten seien zwar noch nicht alle aus dem Stimmbruch raus, aber auch damit könne man gut arbeiten. Übung mache schließlich den Meister. Spätestens wenn die Weihnachtskonzerte beginnen und die Jungs wie jedes Jahr mit ihrer gesonderten Nummer auftreten, hat sich der Aufwand gelohnt.

All das wäre nicht möglich, wenn das Verhältnis zwischen Chorleiter und Sängern nicht stimmen würde, aber im Bismarck-Chor ist jeder mit Feuereifer bei der Sache: „Frau Held ist einfach klasse, als Lehrerin und als Chorleiterin“, sagt Sopranistin und Neu-Kartoffelprinzessin Annalena Buße. Niklas Ritz stimmt ihr zu und fügt an, dass er sich schon auf das Chorlager freue. Noch nicht so lange dabei ist Florian Mittag, den aber schon jetzt die tolle Atmosphäre begeistert.

Das langjährige Mitglied Sarah Eckold ergänzt: „Das Beste am Chor ist, dass man Schüler aus jeder Klassenstufe trifft und vor allem während des Chorlagers besser kennenlernt. Normalerweise sind die Schüler eher Einzelkämpfer und bleiben unter sich. Der Chor ist wie eine große Familie mit starkem Zusammenhalt.“ In der Tat bleibt die Mitgliederanzahl mit um die 80 allein im großen Chor dauerhaft stabil. Angefangen hatte alles einmal mit 20 Mitgliedern. „Der Zulauf freut mich“, sagt Anke Held. „Jede Stimme ist wichtig.“

Doch die besten Stimmen nützen ohne Lieder nichts. „Meistens lasse ich mich von anderen inspirieren. Wenn mich ein Stück begeistert, wäge ich ab, ob der Chor das singen könnte. Im Zweifelsfall geht Probieren über Studieren“, erläutert Held. Nicht immer klappt das Einstudieren auf Anhieb: „Mal braucht der Chor noch eine Weile, aber wir haben noch nie ein Stück überhaupt nicht einstudieren können.“ Es komme auch vor, dass ein Lied wieder aus dem Programm gestrichen würde.

Im Allgemeinen erfreuen sich die Bismarck-Chöre größter Beliebtheit, unter den Schülern, im Kollegium und natürlich in Genthin und Umgebung. Eine alte Weisheit besagt nicht umsonst: „Wo gesungen wird, da lass dich nieder. Böse Menschen haben keine Lieder.“