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Altstadtsanierung Von Transparenz und Bürokratie

Der Stadtrat Osterwieck hat über die Stadtsanierung gestritten. Dabei ging es nur darum, ob der Ortschaftsrat über Regularien beraten darf.

Von Mario Heinicke 20.03.2016, 08:00

Osterwieck l Die Osterwiecker Altstadtsanierung ist eine flexible Angelegenheit. So wie die Anträge von Bauwilligen im Rathaus beziehungsweise bei ihrem Sanierungsträger BauBeCon eingehen, werden sie bearbeitet.

Der Abgeordnete Jens Kiebjieß (Bündnisgrüne) möchte mehr Transparenz in die Fördermittelvergabe bringen und den Stadtrat mehr eingebunden sehen. Deshalb brachte er einen Antrag ein, dass die Regularien der Altstadtsanierung überarbeitet werden. So soll zum jeweiligen Jahresbeginn ein Wirtschaftsplan zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Auch die Handlungsleitlinien, wer wofür wieviel Fördermittel bekommt, sollen überarbeitet werden.

Im Hauptausschuss des Stadtrates war dieses Anliegen vor drei Wochen überraschend reibungslos befürwortet worden. Am Donnerstag zur Beschlussfassung im Stadtrat indes schien förmlich eine Bombe zu platzen. Und das geschah durch einen schlichten Antrag von Osterwiecks Ortsbürgermeister Ulrich Simons (CDU). Er wollte das Thema von der Tagesordnung nehmen lassen, weil der Ortschaftsrat im Vorfeld nicht darüber beraten hatte. Dabei hatte Simons im Hauptausschuss den Kiebjieß-Antrag noch mit den Worten kommentiert: „Ich finde nichts, wo ich etwas dagegen haben könnte.“

Das hielt Kiebjieß, der ebenfalls in Osterwieck wohnt, Simons jetzt natürlich vor. Zumal der Antrag seit Weihnachten bekannt sei und der Ortschaftsrat längst dazu hätte beraten können. Kiebjieß betonte, dass durch den Beschluss auch der Ortschaftsrat mehr Mitwirkungsrechte hätte. „Ich kann nicht erkennen, dass das Nachteile hat.“

Simons indes erläuterte seinen Meinungswandel. Zum einen mit einer erheblichen Mehrarbeit für die Stadtverwaltung bei immer weniger Personal, was im Hauptausschuss von Bürgermeisterin Ingeborg Wagenführ (Buko)angeführt worden sei.

Der „Knaller“ aber sei für Simons, dass sich eine Begründung von Kiebjieß in der Beschlussvorlage im Nachhinein als falsch erwiesen habe. Kiebjieß hatte angeführt, dass es auch in Quedlinburg üblich sei, dass der Stadtrat einen Wirtschaftsplan beschließt. Simons verwies auf nach dem Hauptausschuss eingetroffene Antwortschreiben aus der Stadt Quedlinburg und der Kreisdenkmalbehörde, dass das überhaupt nicht der Fall sei. „Das ist schlicht gelogen“, entgegnete zunächst Kiebjieß. Tatsächlich räumte er – allerdings viel später – ein, dass nicht der Stadtrat, sondern ein Fachausschuss des Rates – vergleichbar dem Osterwiecker Bauausschuss – den Beschluss fasst.

Allerdings hat Quedlinburg gegenüber Osterwieck ein ungleich größeres Jahresbudget zur Verfügung. Mehr als ein Dutzend umfassende Hausmodernisierungen stehen dort im Plan, während in Osterwieck – neben den städtischen Vorhaben „Deutsches Haus“ und „Bunter Hof“ – zurzeit nur ein privates Vorhaben läuft. Auch Teilmodernisierungen sind hier vergleichsweise überschaubar geworden.

Kritiker sehen in den angestrebten Veränderungen der Regularien, dass die Flexibilität der Fördermittelvergabe an Bauwillige verloren ginge, sich dadurch Vorhaben zeitlich verzögern oder gar ganz ausbleiben könnten. Weil sich kurzfristig einstellende Investoren wegen langwieriger Entscheidungsprozesse woandershin orientieren könnten.

Zumal jede umfassende Modernisierung ohnehin im Stadtrat beschlossen wird. Die Teilmodernisierungen werden als laufendes Geschäft der Verwaltung nach den vor Jahren von der Stadt festgelegten Fördersätzen bezuschusst.

Vor diesem Hintergrund sieht Simons nicht ein, warum jetzt nach 25 erfolgreichen Jahren die angestrebte Bürokratie in die Altstadtsanierung einziehen sollte.

Dass die Osterwiecker Altstadtsanierung eine Erfolgsgeschichte ist, daran ließ Jens Kiebjieß auch überhaupt keinen Zweifel. Ebenfalls, dass sie weitergeführt werden soll. Er teilte nicht den Einwand, dass ein Wirtschaftsplan mehr Bürokratie wäre.

In dem Plan stünden nur die großen, sogenannten umfassenden Modernisierungsvorhaben aufgelistet, dazu als Sammelposten die Budgets für kleinere Vorhaben, sogenannte Teilmodernisierungen, sowie Gebäudesicherungen.

Bürgermeisterin Wagenführ stellte sich in dem Streit auf die Seite von Ortsbürgermeister Simons und warb ebenfalls dafür, das Thema von der Tagesordnung zu nehmen und nochmal im Ortschaftsrat behandeln zu lassen.

Doch eine knappe Mehrheit war für die Beratung im Stadtrat, wo der Kampf eine halbe Stunde später in die zweite Runde ging. Und wo Simons seine Erfahrung bei der Altstadtsanierung in die Waagschale warf und damit zum ersten Schlag ausholte. „Ich mache das seit 25 Jahren“, sagte er zu „Neubürger“ Kiebjieß. „Noch bevor Sie den Namen Osterwieck gehört haben.“

Nun mischten auch weitere Abgeordnete mit. Hartmut Janitzky (CDU) betonte, dass die Altstadtsanierung ein „ureigenstes Interesse der Kernstadt Osterwieck“ sei. Er könne sich nicht vorstellen, dass es Abgeordnete anderer Orte interessiere, wer aus dem Fördertopf ein Fenster oder eine Tür bezuschusst bekomme. Osterwieck habe die Eigenmittel für die Altstadtsanierung immer aufgebracht, und er warnte davor, aus dem Programm auszusteigen. „Dann werden wir nie wieder reinkommen.“

Zwar sagte der Hessener Rüdiger Seetge (Aktive Bürger), dass niemand die Altstadtsanierung in Frage gestellt habe, doch die Äußerungen von seinem Fraktionschef Ralf Voigt (Förderverein Stadt Dardesheim) hörten sich anders an. „Es gibt noch ein zweites Erfolgsmodell, das ist die Dorferneuerung.“ Auch dort gebe es großen Investitionsbedarf. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es noch andere Orte außer Osterwieck gibt.“ Er betrachtet die Altstadtsanierung, zumindest die Förderung von privaten Eigentümern, nur als freiwillige Aufgabe.

„Das kann man mit der Dorferneuerung überhaupt nicht vergleichen, ich halte das für sehr bedenklich“, entgegnete Janitzky.

„Wir werden auch im nächsten Jahr nicht mehr als 530 000 Euro zum Investieren zur Verfügung haben“, erklärte Rüdiger Seetge und führte die Diskussion zurück zum Thema Transparenz. „Ich denke schon, dass das Anliegen richtig ist, dass die Abgeordneten mehr wissen.“ Auch Wolfgang Englert (WG Deersheim) möchte die Liste, wie die Mittel verteilt werden, vorher vorgelegt bekommen.

„Etliche Abgeordnete wissen nicht wie der Städtebauliche Denkmalschutz funktioniert“, stellte Bürgermeisterin Ingeborg Wagenführ fest. Zumal viele Neue im Stadtrat sind. Sie verwies auf ein Gespräch mit dem Verantwortlichen aus dem Sanierungsbüro der BauBeCon am 12. April im Bauausschuss, wo den Abgeordneten das Förderprogramm nochmal grundsätzlich erläutert werden soll. Daher sollte man mit einer Entscheidung noch warten.

Mit 13 zu 12 Stimmen wurde letztendlich für die Vertagung gestimmt. Damit kann also der Ortschaftrat die geplanten Regularien beraten.

Ulrich Simons zeigte sich einerseits erleichtert. „Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Ortschaftsrat in einer Vorberatung gehört wird.“ Andererseits sei er „erschüttert“, dass sich viele seiner Ratskollegen bei diesem Thema nicht daran halten wollten. „Den Ortschaftsrat sollte man mitnehmen, sonst setzt sich bald keiner mehr da hin“, sprach Uwe Reuer (CDU) das Schlusswort.