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Auf in die Natur Abschied von den Ziehkindern

Die Waldkäuze Gustav und Dr. Plüsch werden nach ihrer Aufzucht im Tiergarten Halberstadt ausgewildert.

Von Sabine Scholz 02.07.2019, 04:00

Halberstadt l Es ist noch zu hell. Gustav kneift die Augen zusammen, und auch Dr. Plüsch mag die Helligkeit nicht. „Aber noch später wollten wir auf Rücksicht auf die Kinder den Termin nicht legen“, sagt David Neubert. 20 Uhr war ein Kompromiss, doch offenkundig allen Kindern zu spät. Zwar war vereinbart worden, dass die Kinder aus der Tagesstätte „Pfiffikus“ dabei sind, wenn Dr. Plüsch und Gustav in die Freiheit entlassen werden, aber einen Tag vor der Auswilderung sagte die Kita ab. In der Einrichtung befassen sich einige Kinder in einem Projekt zwar mit der mittelgroßen Eulenart, aber der Abendtermin ließ sich dann doch nicht wahrnehmen. Auch aus dem daraufhin spontan eingeladenen Kindergarten „Waldblick“ und der Grundschule „Anne Frank“ erscheint an diesem Abend niemand. Also bleibt das Tiergartentrio unter sich.

Tiergartenleiter David Neubert steht gemeinsam mit Florian Hartmann und Viktotria Stelter auf der Jahnwiese, alle drei müssen jetzt Abschied nehmen. In den mit Stroh ausgelegten Katzentransportboxen sitzen die zwei Waldkäuze, sie sind ganz ruhig, auch als sie herausgenommen werden. Die Prozedur kennen sie bereits.

Am 24. April war ein junger Waldkauz im Tiergarten abgegebenen worden, noch ein Nestling. „Er trug noch sein Daunenkleid, war also flugunfähig“, berichtet Tierpfleger Florian Hartmann. Er gab dem kleinen Kauz den Namen Gustav und in den ersten Tagen per Hand Futter. „Er hat zwar erst nicht allein gefressen, aber wenn man ihm das Fleisch zerkleinert in den Schnabel legte, hat er zum Glück von allein geschluckt.“ Alle zwei Stunden wurde Gustav gefüttert, später hieß es nachts nur ein- bis zweimal aufstehen und Gustav versorgen. „Zu Anfang hat er 190 Gramm pro Tag gefressen, während der Zeit der Handfütterung waren es 1435 Gramm“, berichtete der Tierpfleger, der nach zwölf Tagen den dann aufgepäppelten Vogel aus seinem häuslichen Umfeld zunächst in die neue Pflegestation des Tiergarten umsetzen konnte. Nach ein paar Tagen dort zog Gustav ins Greifvogelhospital im Tiergarten. In der großen Voliere ist ausreichend Platz, um die Flügel auszuprobieren.

Sowohl Pflegestation als auch das 2016 errichtete Greifvogelhospital hat die Halberstädter Manteufel-Stiftung finanziert. „Wie man sieht, ist das Geld in den beiden Einrichtungen gut angelegt“, sagt David Neubert. Zurzeit wird die andere Hälfte des Greifvogelhospitals von zwei verletzten Bussarden bewohnt.

Derweil hat Viktoria Stelter Dr. Plüsch aus der Transportbox geholt und streicht ihm liebevoll neben dem Schnabel durchs Gefieder. Der kleine Kauz scheint es zu mögen. Auch er ist eine Handaufzucht. Er kam am 6. Mai in den Tiergarten, klein, noch nicht flügge und völlig unterkühlt, berichtet Hartmann.

„Er war zwar ein bisschen hässlich, aber zugleich so plüschig“, berichtet Viktoria Stelter, „da lag der Name auf der Hand.“ Dr. Plüsch wurde ebenfalls von dem Paar aufgepäppelt. Der Kleine war hungriger als Gustav, verschlang bis zu 190 Gramm am Tag, an einem sogar 307 Gramm. „Er hat sich prächtig entwickelt“, sagt Viktoria Stelter hörbar stolz. 2701 Gramm wurden dem kleinen Kauz per Hand gefüttert. „Dr. Plüsch war zu Anfang so klein, dass wir sogar das Hühnerkükenbein nochmal halbieren mussten, damit er es fressen konnte“, berichtet Florian Hartmann.

Wie Gustav kam Dr. Plüsch jeden Tag mit zur Arbeit in den Tiergarten, abends ging es nach Hause, weil ja auch nachts gefüttert werden musste. Als Dr. Plüsch zu aktiv wurde des Nachts, herumzuflattern begann, wechselte er ebenfalls ins Greifvogelhospital des Tiergartens. Nicht, ohne vorher eine „Einweisung“ bekommen zu haben. So sei er mit dem Kauz nach draußen gegangen, habe ihn ins Gras gesetzt, seine ersten Flatterversuche im Freien begleitet. „Er sollte sehen, dass es auch eine Welt außerhalb der Kiste gibt“, sagt Florian Hartmann. Nun also steht dem Kauz die Welt offen. Er schließt die Augen, noch ist die Sonne längst nicht untergegangen, auch wenn das Licht etwas milder ist jetzt am Abend. Waldkäuze sind Eulen, also Vögel der Nacht.

Mit einem letzten Streicheln übers Gefieder verabschieden sich die Zieheltern, dann fliegen Gustav und Dr. Plüsch sofort los, hinein und den Wald am Wiesenrand. Der offene, also wenig Unterholz aufweisende Wald und die Obstplantagen rund um die Jahnwiese bieten ausreichend Schutz und Nahrung für die völlig geräuschlos fliegenden Greifvögel. Die kommen übrigens in ganz Europa bis nach Westsibirien, im Iran und in Südostasien vor.