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Breitbandausbau Datenautobahn mit Löchern

Neue Hiobsbotschaften beim geförderten Breitbandausbau im Harzkreis: Es dauert länger und viele Hausanschlüsse wurden vergessen. Warum?

Von Dennis Lotzmann 19.11.2019, 03:00

Halberstadt/Magdeburg l Es klingt schier unglaublich und wirft eine Kernfrage auf: Wie konnte so etwas passieren? Wie konnte es passieren, dass im Zuge des seit Anfang 2018 laufenden Breitbandausbaus im Harzkreis mal eben das 150-Seelen-Dorf Huy-Neinstedt übersehen wird, obwohl es mit einer Breitbandanbindung von maximal sechs Megabit pro Sekunde alle Voraussetzungen für das aktuelle Förderprogramm erfüllt? Die vermutlich einfachste Antwort liefert Theo Struhkamp, seines Zeichens Referatsleiter Breitbandausbau im Landeswirtschaftsministerium: „Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler.“ Die Folgen jener Fehler, mit denen sich Verantwortliche auf Kreis- und Landesebene intern schon seit Monaten herumschlagen, stufen Insider als massiv ein. Im Harz-Kreis müsse mit 5000 Betroffenen, sprich „vergessenen“ Anschlüssen, gerechnet werden.

Offiziell stochern die Verantwortlichen im Nebel. Man wisse noch nicht, wie viele betroffene Haushalte es hier tatsächlich gebe, so Struhkamp. Nachdem das analoge Problem vor Monaten bereits im Nachbarkreis Mansfeld-Südharz aufgetreten war, werden nach Struhkamps Worten gerade landesweit die aktuellen Breitband-Ausbaugebiete geprüft. Basierend auf einer Liste der Telekom mit rund 700 000 Datensätzen, sprich Hausanschlüssen. Für den Harz-Kreis macht Struhkamp besonders Dampf: Nachdem die Volksstimme das Problem vor Ort jüngst öffentlich thematisiert hatte, liege der Schwerpunkt beim Datenabgleich nur hier. „Wir wollen“, steckt Struhkamp das Ziel ab, „bis Ende November Klarheit“.

Zurück zur Kernfrage: Wie konnte es passieren, dass im Ausschreibungsprozedere des aktuellen Förderprogramms zig Anschlüsse buchstäblich vergessen wurden? Fakt ist: Alle Breitbandanschlüsse mit Datenraten unterhalb von 30 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) im Download sollen so ausgebaut werden, dass die Endnutzer mindestens 50 Mbit/s haben. Dort, wo die Netzbetreiber nicht in Eigenregie investieren, stellen Land und Bund Fördermittel bereit, um finanzielle Deckungslücken zu schließen.

Jene Anschlüsse zu erfassen und dafür die Weichen Richtung Förderprogramm zu stellen, war nach Stuhkamps Worten im Harz-Kreis Aufgabe eines speziell beauftragten des Beratungsunternehmens. Dessen Mitarbeiter, so Insider, hätten im Ausschreibungsverfahren mit zahlreichen Problemen zu kämpfen gehabt. Ein Punkt seien beispielsweise Straßennamen gewesen, die nach diversen Gebietsreformen und Fusionen auf kommunaler Ebene umbenannt wurden. Hinzu komme ein Breitbandnetz, dessen Ausbaustand regional sehr unterschiedlich sei. Mal hätten die Netzbetreiber – allen voran die Telekom – in Eigenregie ausgebaut, mal wiederum mit Förderung. Zudem sei die Telekom nach wie vor fast flächendeckend Netzbetreiber und habe bei den Leitungswegen allein den Überblick.

Hat der magentafarbene Platzhirsch womöglich bewusst Daten zurückgehalten, um Ausschreibungen und Förderverfahren zu erschweren? „Nein“, betont Struhkamp. Vielmehr sei es das Zusammenspiel vieler Beteiligter gewesen, das vor allem das Förderprozedere in die Länge gezogen habe. Zudem würden die Breitbandnetze aktuell bundesweit mit Hochdruck ausgebaut, erinnert Struhkamp und wirbt um Verständnis. Überall fehlten Leute – angefangen im Planungsbereich über die Genehmigungsbehörden bis hin zu den ausführenden Firmen.

Trotzdem: Wie kann es passieren, dass ein Dorf, das seit dem Mittelalter existiert, bei der Ausschreibung übersehen wird? „Das ist uns auch schleierhaft“, so Struhkamp.

Das Resultat steht derweil: Ob sich für Huy-Neinstedt – und die anderen betroffenen Endkunden im Harz-Kreis – noch kurzfristig eine Lösung findet, ist aktuell unklar. Zwar hat sich die CDU-Bundestagsabgeordnete Heike Brehmer nach einem Hilferuf von Huy-Bürgermeister Thomas Krüger (CDU) eingeschaltet. Allerdings bleibt abzuwarten, ob sie mit Briefen an Verantwortliche auf Bundesebene kurzfristig etwas bewegen kann.

Nach Angaben ihres Mitarbeiters Andreas Schumann hat Heike Brehmer Telekom-Vorstandschef Timotheus Höttges gebeten, kurzfristige Lösungen für Nuy-Neinstedt zu prüfen. Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für digitale Infrastruktur, solle prüfen, ob er dafür kurzfristig Bundesmittel freigeben könne. „Letztlich ist das alles sehr ärgerlich – Bürgermeister Thomas Krüger bekommt jede Unterstützung, die möglich ist“, so Schumann in Brehmers Namen.

Wie die Lösung für Huy-Neinstedt und die übrigen „vergessenen“ Endkunden im Harz-Kreis aussehen könnte, skizziert derweil Theo Struhkamp am Beispiel Mansfeld-Südharz, wo nach Volksstimme-Informationen rund 5000 Kunden betroffen sind. Dort, so Struhkamp sei ein neuer Förderantrag gestellt worden.

Der positive Aspekt dabei: Weil der Bund mittlerweile nur noch Glasfaseranschlüsse bis zum Endkunden fördert (Fibre-to-the-home-Technologie/FTTH) dürfen sie auf megaschnelle Anschlüsse mit einem Datendurchsatz von mindestens einem Gigabit pro Sekunde hoffen. Aber: Ob und wann die Fördermittel fließen, steht in den Sternen. Soll heißen: Es kann dauern.

Die für die Pannen maßgeblich verantwortliche Firma in Haftung zu nehmen, dürfte problematisch sein, lässt Struhkamp durchblicken. „Wir haben die Frage geprüft. Schadenersatz dürfte schwer durchzusetzen sein, weil der Schaden schwer zu beziffern ist.“

Für die direkt Betroffenen dürfte das wenig erbaulich sein. Auch die Perspektiven insgesamt. Der Bund strebt nunmehr einen bundesweiten FTTH-Ausbau an. Das heißt im Umkehrschluss: Der aktuell geförderte und im Harzkreis für Privathaushalte laufende FTTC-Ausbau ist nur eine Brückentechnologie. Dabei werden Glasfaserleitungen bis zu den Straßenverzweigern verlegt. Auf der letzten Meile bis zum Endkunden bleiben die Kupferkabel der Telekom. Diese sogenannte FTTC-Technologie (FTTC steht für Fibre to the curb/Glasfaser bis zum Bordstein) soll perspektivisch mit FTTH ersetzt werden.

Bis dahin dürfte der Weg noch weit sein. Denn ungeachtet der nun bekannt gewordenen Pannen mit vergessenen Anschlüssen hinken die beiden für den Ausbau im Harzkreis gebundenen Firmen MDDSL und Telekom zeitlich hinterher.

Laut Ausbauvertrag müssen MDDSL bis Anfang Januar 2020 und die Telekom bis zum Ende des ersten Quartals 2020 den Netzausbau beenden. Dem Vernehmen nach hat bislang nur die Telekom das Zeitfenster für den Ausbau präzisiert. Es laufe gut, dauere aber wohl bis zum ersten Halbjahr 2020.

Anders MDDSL: Das Unternehmen, das im Sommer unter anderem mit ungenehmigten Schachtarbeiten und behördlichen Baustopps für Schlagzeilen gesorgt hat, soll sich bislang nicht geäußert haben. Für die Volksstimme waren die Verantwortlichen – allen voran MDDSL-Geschäftsführer Andreas Riedel – nicht erreichbar.

Die Kreisverwaltung wird auf Anfrage präziser: Bis zum Ende des ersten Quartals 2020 würden die Gewerbegebiete in Quedlinburg, Harzgerode und Halberstadt erschlossen. Wernigerode folge laut Telekom im April 2020. Priorität habe die Erschließung der Gewerbegebiete – in FTTH-Technologie.

Parallel würden von den kreisweit 122 Städten, Gemeinden und Ortsteilen 54 im geförderten Ausbau erschlossen. Die Prognose hier: „Der Landkreis geht davon aus, dass der geförderte Ausbau voraussichtlich Ende 2020 abgeschlossen sein kann, wenn alle ausbauenden Firmen ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen.“ Einen Hoffnungsschimmer präsentiert derweil Theo Struhkamp: Die Telekom wolle bis Ende November prüfen, ob es für Huy-Neinstedt doch noch eine kurzfristige Breitband-Lösung gibt.