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Coronakrise Zwischen Schere, Kamm und Maske

Sie kann es kaum erwarten, ihren Friseur-Salon wieder zu eröffnen, sagt Carina Riethmüller-Woznitza aus Halberstadt.

02.05.2020, 05:00

Halberstadt l Corona wirkt sich auch auf die Frisuren der Deutschen aus. Die Bandbreite reicht bei den Männern von undefinierbarer Zottelmähne bis hin zur aus Verzweiflung selbst rasierten Kurzhaarfrisur. Bei den Frauen dominieren kaputte Spitzen und herausgewachsene Ansätze. Wenn sie am Montag wieder öffnen dürfen, steht Carina Riethmüller-Woznitza und ihren Kollegen der Friseurzunft also viel Arbeit bevor. Arbeit, auf die sie sich freut, und die ganz anders sein wird als vor Corona.

Seit dem 23. März ist ihr Geschäft, „Carinas Haarhütte“ in Halberstadt, auf behördliche Anordnung geschlossen. Für ihre weiblichen Kunden, die im Schnitt alle vier bis sechs Wochen zu ihr kommen, ist somit mindestens ein Termin ausgefallen. „Die Männer leiden mehr“, berichtet sie, „viele sind im Rhythmus von ein, zwei Wochen bei uns.“

Da wunderst es kaum, dass sich in den vergangenen Wochen die Anfragen nach „schwarzen“ Haarschnitten häuften. Mindestens 40 Anrufe seien bei ihr eingegangen, vorrangig von Männern, die sich heimlich die Haare schneiden lassen wollten. „Das würde ich aber nie machen“, betont die Halberstädterin, die seit 2015 Saloninhaberin ist. Nicht nur wegen der drohenden Strafen – als Prüfungsvorsitzende der Innung Harz-Bode habe sie eine Vorbildfunktion und müsse mit gutem Beispiel voran gehen. Jedoch haben sich nicht alle aus der Branche an das Verbot gehalten, berichtet die Friseurin.

Von Selbstversuchen rate sie ebenso ab, wie davon, sich vom Partner die Haare schneiden zu lassen. „Es gibt sicher Talente, aber ...“, gibt sie lachend zu bedenken.

Leicht sei es ihr und ihren vier Angestellten jedoch nicht gefallen, Kamm und Schere ruhen zu lassen. „Wir arbeiten gerne, wir brennen für unseren Beruf“, betont Carina Riethmüller-Woznitza. Bei der Meldung, nun wieder öffnen zu dürfen, sei dem Team ein Stein vom Herzen gefallen. Und nicht nur ihm. „Um 5.30 Uhr hatte ich den ersten Anruf eines Kunden. Ganz schön früh, aber ich habe mich trotzdem gefreut“, berichtet die Halberstädterin lachend von dem Tag, an dem sie wieder Termine vergeben durfte. Innerhalb weniger Stunden, so sagt sie, war das Auftragsbuch für Mai bereits gefüllt.

Ein Grund zur Freude? Nur bedingt. „Aufgrund der neuen Bestimmungen schaffen wir nur halb so viele Kunden wie sonst“, erläutert Carina Riethmüller-Woznitza. Sind es sonst gut 30, werden es nun nur etwa 15 sein – trotz ausgedehnter Öffnungszeiten. „Um den geforderten Abstand zu halten, mussten wir Stühle wegnehmen“, berichtet die Friseurin. Außerdem koste es Zeit, nach jedem Kunden Arbeitsgeräte und Stuhl zu desinfizieren. Während bei einem Kunden die Farbe einwirkt, einem anderen die Haare schneiden – wie es sonst üblich ist – muss ausfallen.

Während diese Aspekte recht klar formuliert wurden, bestehen bei anderen Fragezeichen. „Wir haben nur wenige, schwammige Informationen erhalten“, kritisiert die 47-Jährige. Deshalb hat sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Ivonne Witruk-Matusch vom Haar-Atelier in Quedlinburg ein eigenes Hygienekonzept erstellt.

So sei festgelegt, dass Angestellte wie Kunden Mund-Nasen-Bedeckungen zu tragen haben, nicht aber, wie das praktisch umgesetzt werden soll. „Wie soll man denn färben oder hinter den Ohren schneiden, wenn der Kunde eine Maske trägt?“ Ihre Lösung: Den Gesichtsschutz mit Pflastern befestigen, sodass die Ohrenschlaufen nicht stören.

Während das gesamte Team mit Masken ausgestattet ist, die eine Kundin genäht hat, werden für die Kunden Einwegschutze vorgehalten. „Ohne einen Cent verdient zu haben, musste ich Geld investieren: für Masken, Einmalumhänge, Desinfektionsmittel“, zählt Carina Riethmüller-Woznitza auf. Nicht der einzige Grund, warum Kunden für einen neuen Haarschnitt tiefer in die Tasche greifen müssen. „Viele Materialien wie Farben sind teurer geworden, die Hersteller haben die Preise angezogen.“ Und viele Männer müssen sich daran gewöhnen, dass es keine Trockenhaarschnitte mehr gibt. „Waschen ist Pflicht und das kostet natürlich mehr.“ Kosmetische Behandlungen wie Permanent-Make-up, die sonst in Carinas Haarhütte angeboten werden, müssen vorerst noch entfallen.

Die Voraussetzungen seien nicht die einfachsten – aber immerhin könne sie öffnen. Im Gegensatz zu ihrem Mann Dirk, der im selben Haus ein Tattoo-Studio betreibt. „Für ihn steht noch gar nicht fest, wann es weitergeht“, sagt die 47-Jährige. „Verstehen kann ich das nicht, es gibt nichts sterileres als ein Tattoo-Studio.“

Die Corona-Krise betrifft die gesamte Familie. So arbeitet auch die Schwester von Carina Riethmüller-Woznitza in dem Salon, den zuvor 16 Jahre lang die Mutter führte. Die beiden Söhne, 17 und 19 Jahre alt, stecken mitten in der Lehre. „Mein Großer macht eine Erzieher-Ausbildung und hätte eigentlich bald Prüfung“, berichtet die Friseurin. „Aber seit Corona kann er nicht arbeiten. Keine Ahnung, wie es weitergehen soll und wann.“

Ähnliche Sorgen plagen sie zu den Lehrlingen in ihrer Zunft. Für sie selbst arbeiten zwei – je einer im zweiten und im dritten Lehrjahr. „Im Harzkreis gibt es insgesamt elf Azubis im dritten Lehrjahr“, informiert die Prüfungsvorsitzende. Denen fehle jetzt die Praxis. „Ich gehe mal davon aus, dass ihre Lehrzeit verlängert wird, um das aufzuholen.“

Schwierig sei es auch unter den aktuellen Umständen, die passenden Räume für die praktische Prüfung zu finden: Elf Azubis, ihre Modelle, Prüfer – und dabei die vorgegebenen Abstände einhalten. „So große Räume haben wir gar nicht“, gibt Carina Riethmüller-Woznitza zu bedenken. „Es ist ohnehin nicht einfach, Azubis zu gewinnen, die Situation jetzt macht es noch schlimmer.“

Zumal die wochenlange Schließung existenzbedrohend für viele Läden sei: Keine Einnahmen, aber Ausgaben. „Den Ausfall kann man nicht kompensieren. Die Ansätze werden jetzt halt länger gefärbt, die Haare kürzer geschnitten – aber man kann von den Kunden deshalb ja nicht den doppelten Preis verlangen.“ Wie viele ihrer Kollegen im Harzkreis, mit denen sie regelmäßig in Kontakt steht, warte sie zudem noch auf die beantragten Soforthilfen vom Staat sowie das vorausgezahlte Kurzarbeitergeld für die Angestellten.

Hoffnung schöpfe sie aus dem Zuspruch ihrer Kunden. Via Telefon und Internet haben sie ihr aufmunternde Worte zukommen lassen, manche haben kleine Geschenke wie die Masken geschickt. „Und viele haben Gutscheine gekauft. So konnten wir immerhin 20 Prozent des normalen Umsatzes generieren“, berichtet die Friseurin. „Wir haben halt die besten Kunden überhaupt.“