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Ersatz-Eltern Ein Baby-Känguru als Pflegekind

Känguru Joey wirbelt das Leben von Viktoria Stelter und Florian Hartmann in Halberstadt durcheinander.

Von Sandra Reulecke 27.06.2019, 10:00

Halberstadt l Es ist, wie wohl bei den meisten jungen Eltern. Der Schlaf kommt zu kurz, die eigenen Bedürfnisse werden zurückgestellt. Fläschen geben bestimmt den Tages- und den Nachtrhythmus. Viktoria Stelter und Florian Hartmann wirken müde, gleichzeitig aber glücklich und stolz. Sprechen sie vom Nachwuchs, lächeln sie viel, können den Blick kaum von ihm abwenden. Mit seinen großen braunen Kulleraugen zieht Baby Joey jeden sofort in seinen Bann. Kein Wunder – wie oft bekommt man in der deutschen Kleinstadt schon ein Känguru-Baby zu Gesicht?

In Halberstadt kann das dieser Tage häufiger passieren. „Wir nehmen Joey überall mit hin. Er war mit auf den Sommerhöfen und im Canapé hat er schon einen richtigen Fanclub“, berichtet Florian Hartmann lachend. Der Tierpfleger und seine Freundin tragen Joy meist in einem Rucksack – ausgepolstert mit einem Handtuch, eine Wärmflasche sorgt für kuschlige Temperaturen – durch die Gegend. Bei der Arbeit im Halberstädter Tiergarten, beim Einkaufen, der Hausarbeit, im Bett und sogar während einer Radtour auf dem Elbe-Radweg – Joey ist immer dabei.

Aber warum? „Die Mutter hat ihn aus dem Beutel geworfen“, erläutert Tiergartenchef David Neubert. Mit vier Jahren sei sie noch jung, die Situation habe sie überfordert. Tierpfleger haben das Baby im Gehege der Bennett-Kängurus gefunden. „Es war schon relativ kalt“, so Neubert. Dass das Junge außerhalb des Beutels überlebt, sei nicht sicher gewesen. Deshalb hat der Tiergarten fast einen Monat damit gewartet, die Öffentlichkeit zu informieren.

Denn obwohl seit 1984 Kängurus im Halberstädter Tiergarten leben, ist die Aufzucht der Tiere per Menschenhand doch etwas Besonderes. „Wir haben im Zoo in Erfurt angerufen, die haben Erfahrung“, berichtet Viktoria Stelter. Zudem haben sich die Tiergarten-Mitarbeiter belesen, haben im Internet recherchiert.

Mittlerweile sind die „Pflegeeltern“ ein eingespieltes Team. Sie wechseln sich beim Tragen und Füttern ab. Alle drei Stunden – zu Beginn alle zwei Stunden – gibt es eine Flasche Hundemilch für das 450-Gramm-Leichtgewicht. „Wir haben einen Känguru-Wecker gestellt, damit er pünktlich die Mahlzeiten bekommt“, berichtet Viktoria Stelter. 40 Milliliter trinkt Joey am Tag. Außerdem wird er jeden Abend gebadet und eingecremt. „Im Beutel der Mutter herrscht ein anderes Klima. Außerhalb trocknet die Haut schnell aus“, erläutert die 21-Jährige, die gerade das zweite Ausbildungsjahr zur Tierpflegerin absolviert.

Hilfe bei der Aufzucht – die noch mehrere Monate dauern wird – bekommt das „Elternpaar“ nicht nur von den Kollegen, sondern auch von der Familie. „Ein, zwei Mal in der Woche ist Oma-und-Opa-Tag“, verrät Florian Hartmann. Die Fürsorge trägt offensichtlich Früchte. Joey hat bereits zugenommen, sein Fell wächst langsam und er erkundet schon neugierig die Welt.

Also ein Happy End? Nicht ganz. „Er bekommt zurzeit Hundemilch. Wir würden ihm lieber Känguru-Milch geben, damit er sich gut entwickelt“, sagt David Neubert. Viktoria Stelter erläutert warum: „Im Beutel der Mutter verändert sich die Zusammensetzung der Milch je nach Alter des Babys.“ Doch es gibt zwei Probleme: Die Milch ist schwierig zu beschaffen, es gebe sie nur in den USA und Australien. Und sie ist teuer. „Für die Zeit, die noch kommt, könnten es gut 1000 Euro werden“, sagt Neubert.

Und noch etwas macht die Känguru-Ersatz-Eltern traurig: Wenn Joey keine Pflege mehr benötigt, muss er voraussichtlich den Tiergarten verlassen. Um Inzucht zu vermeiden, erläutert der Tiergarten-Chef. „Entweder müssen wir Joey abgeben, oder seine Eltern mit Tieren aus anderen Tierparks tauschen.“ Wie wäre es mit einem zweiten Gehege für Joey – und eventuell eine Partnerin – im Halberstädter Tiergarten? „Eine schöne Idee. Aber das würde mindestens eine sechsstellige Summe bedeuten“, sagt der Tiergartenchef bedauernd. Noch habe sie aber Hoffnung, dass Joey bleiben darf, sagt Victoria Stelter.

Spenden für Joey können auf das Konto der Stadt Halberstadt eingezahlt werden.