Fachwerksanierung Ein Balken-Gewirr in der „Tanne“
Die Osterwiecker „Tanne“ präsentiert sich derzeit „luftig“. Die meisten Wände und Decken sind herausgenommen. Ein Besuch auf der Mega-Baustelle im Herzen der Altstadt.

Osterwieck - Auf der Baustelle an der Rosmarinstraße heißt es derzeit vor allem Umsicht walten zu lassen. Zimmerleute, Dachdecker, Entkerner und Maurer geben sich im Fachwerkobjekt „Tanne“ die Klinke in die Hand. Immer wieder kommen Materiallieferungen.
Darüber hinaus ist unmittelbar nebenan in der Neukirchenstraße 37 die Fassadenreparatur angelaufen. Doch nach Einschätzung von Silvio Erdmann, dem Chef der Osterwiecker Wohnungsgesellschaft und damit Bauherr der „Tanne“, kommen sich die Handwerker nicht in die Quere.
Ein halbes Jahr ist es schon wieder her seit dem letzten Volksstimme-Besuch auf der Baustelle dieses größten Sanierungsvorhabens in 30 Jahren Altstadtsanierung. Historisch gesehen vier Häuser umfasst das Objekt Rosmarinstraße 7 bis 10.
Im Dezember war der Entkernungstrupp damit beschäftigt gewesen, in den Gebäuden 9 und 10 das Fachwerkgerüst freizulegen. Dessen Arbeit nun in den Häusern 7 und 8 ist immer noch nicht abgeschlossen, was den Riesenaufwand, aber auch das große Schadensbild dokumentiert. Denn nahezu wöchentlich schaute der Gutachter auf die Baustelle, um das freigelegte Holz sowie auch das Mauerwerk auf Schwammbefall und andere Holzschädlinge beziehungsweise statische Schäden zu untersuchen. Es gab erheblich mehr Schädlingsbefall als erwartet. Vor allem im Gebäudeteil 9/10. Hier kann, so berichtete Silvio Erdmann, letztendlich nur die Schmuckfassade erhalten werden.
Schmuckfassade hängt in der Luft
Momentan ist hier ein wahres Gewirr aus alten Balken und provisorischen Stützen zu sehen. Hier wird also eine völlig neue Holzkonstruktion errichtet. Die senkrechten Balken der Schmuckfassade hängen derzeit sogar in der Luft. Die gut 40 Zentimeter dicken Schwellbalken, die waagerecht auf das gemauerte Sockelfundament gelegt und die Ständer tragen werden, liegen aber schon bereit.
Schwere Lasten muss die historische Fassade nicht tragen. Für diese Arbeit wird dahinter noch eine zweite, neue Fachwerkkonstruktion errichtet.
In der Nr. 9/10 arbeiten derzeit die Maurer. Der alte Keller ist freigelegt beziehungsweise abgetragen worden. Jetzt werden innen Bruchsteinmauern hochgezogen, die später das neue Fachwerkgerüst tragen werden. Nicht direkt, sondern als Abdeckung wird noch eine stabile Betondecke eingebaut. Meter für Meter werden sich bei der Decke die Handwerker demnächst voranarbeiten.
Genutzt wird der Keller künftig nicht mehr. Das Erdgeschoss liegt fortan etwa einen halben Meter tiefer, somit können die späteren Wohnungen in diesem Gebäudeteil größere Raumhöhen als bisher geplant erhalten, etwa 2,20 Meter.
Was deutlich macht, dass hier wegen der vielen Bauschäden durch vier Jahrzehnte Leerstand von ursprünglichen Planungen abgewichen werden musste. „Unser Ziel ist es natürlich, so viel wie möglich vom alten Fachwerk zu erhalten“, betonte Silvio Erdmann.
Architekt Helmut Urbisch wies darauf hin, dass im Keller noch die Randsteine eines Brunnens vorhanden sind. Dieser war zwar von den Vorfahren schon verfüllt worden, lässt aber daraus schließen, woher die Bewohner vor Jahrhunderten ihr Wasser erhielten.
Wenig Altes kann wiederverwendet werden
Im bauhistorisch wertvolleren Gebäudeteil 7/8 ist der Zustand des Holzes nicht so schlecht, kann mehr erhalten werden. Helmut Urbisch berichtete, dass die Zimmerleute mehrere Balken „angeschuht“ haben. Schadhafte Stellen alter Balken wurden herausgeschnitten und diese mit neuem Holz verbunden.
Sogar im 400 Jahre alten Schmuckfachwerk war es dank überlieferter Handwerkskunst möglich, schadhafte Stellen neu zu schnitzen und so das Gesamtwerk zu erhalten.
Die Hoffassade wird wegen der Holzschäden nun komplett gemauert. Vorher war zumindest im Bereich der Häuser 7/8 Fachwerk vorgesehen.
Schlechter als erwartet zeigte sich auch der Zustand der alten Fenster. Nur etwa jedes Zehnte der rund 40 Fenster kann aufgearbeitet werden. Die anderen werden in der Tischlerei nach historischem Vorbild neu hergestellt.
Selbst wenn nur wenige der alten Dachziegel wiederverwendbar sind, so wird dank anderer Quellen voraussichtlich die komplette Straßenseite des Daches mit historischen Ziegeln belegt werden können.
Denkt man an das viele Holz, das in der „Tanne“ verbaut wird, so könnten angesichts der in diesem Jahr explodierten Holzpreise die Alarmglocken schrillen. Doch Helmut Urbisch gibt Entwarnung. Das meiste Holz sei schon im vergangenen Jahr geordert worden. Die Schalungsbretter fürs Dach, die schon bereit liegen, seien allerdings wirklich deutlich teurer geworden.
Unterm Strich geht man schon davon aus, dass das Projekt etwas mehr als die veranschlagten 3,4 Millionen Euro kosten wird.
Trotz des Mehraufwandes sehen Erdmann und Urbisch bisher das Etappenziel weiterhin erreichbar, dass zum Jahresende die Fassade gestrichen und das Dach gedeckt sein wird. Danach folgt der Innenausbau für die neun Wohnungen. Die Fertigstellung ist für 2023 vorgesehen.

