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Erziehung Kinderlachen statt Maschinengeheul

Mario-André Daners ist Großvater und Berufseinsteiger in einem. Der 47-jährige Halberstädter hat eine Ausbildung zum Erzieher absolviert.

Von Sandra Reulecke 18.01.2017, 12:00

Halberstadt l Wenn sich Mario-André Daners auf den Weg zur Arbeit begibt, lächelt er. „Ich habe das, was sich alle wünschen: Einen Job, der mir wirklich Spaß macht“, sagt er. Der 47-Jährige ist Erzieher in der Kindertagesstätte Gröperstraße in Halberstadt. Zwölf Vier- bis Fünfjährige sind in seiner Gruppe – es ist die erste, die er betreut.

André Daners ist – anders als sein Alter vermuten lässt – Berufseinsteiger. Im Sommer hat er seine Erzieherausbildung in Quedlinburg abgeschlossen. Mit einem Notendurchschnitt von 1, 5 zählte er zu den Besten des Jahrgangs. Und er war mit Abstand der Älteste. „Ich wurde häufig für den Lehrer gehalten“, berichtet er lachend. In der Parallelklasse war sogar die Tochter eines Freundes.

Der Halberstädter ist froh, die Lehre geschafft zu haben. „Wenn ich vorher gewusst hätte, was auf mich zukommt, hätte ich es mir vielleicht anders überlegt.“ Er gesteht: „Vor der Schule hatte ich Bammel. Früher war ich kein guter Schüler.“ Und: Er hat gut 25 Jahre lang nicht mehr gelernt.

Damals hat er eine Ausbildung zum Fahrzeugschlosser absolviert, war er bei der Bahn tätig, später arbeitete er als Lokführer. Nach 2001 folgten mehrere Jahre als Leiharbeiter. „Das war keine schöne Zeit. Einige Jahre war ich in ganz Deutschland unterwegs, ständig woanders mit anderen Leuten“, sagt er. Für das Familienleben war dies nicht förderlich, eben so wenig für die Gesundheit. Die Folge: Berufsunfähigkeit.

Mit über 40 Jahren musste sich der Familienvater eine neue berufliche Perspektive suchen. „Ich habe es als Chance gesehen. Wenn ich schon von vorne anfangen musste, dann wenigstens mit etwas, was mir Spaß macht.“ Er habe seine Kreativität nutzen wollen und dachte zunächst an Beschäftigunsangebote für Senioren. „Erst im Bewerbungsgespräch beim Cecilienstift kam die Idee auf, Erzieher zu werden“, verrät André Daners. „Daran habe ich vorher gar nicht gedacht, es war wohl zu naheliegend.“ Denn: Seine Ehefrau und die 30-jährige Tochter sind gelernte Erzieherinnen.

Ein Praktikum bestätigte ihn in seinem Wunsch und er unterschrieb zunächst einen befristeten Arbeitsvertrag beim Cecilienstift, um Erfahrungen in Kindertagesstätten des Trägers zu sammeln. „Das war Voraussetzung für die Ausbildung.“

Wie hat das Umfeld auf den beruflichen Wechsel reagiert? „Meine Kumpels haben das anfangs nicht ernst genommen“, berichtet er. Immer wieder wurde er gefragt, wie er sich das antun könnte – zwischen schreienden Kindern arbeiten. „Aber in einer Werkstatt mit 20 Schlossern und Maschinen ist es auch nicht leiser.“

Von seiner Tochter und seiner Frau erhielt er dagegen viel Unterstützung. „Ohne meine Frau hätte ich es nicht geschafft“, betont Daners. Der berufliche Wechsel war finanziell eine Herausforderung. „Einen Bildungskredit wollte ich nicht aufnehmen aus Angst, zu scheitern und dann für nichts verschuldet zu sein.“ Stattdessen beantragte er Meisterbafög. „Immerhin hat es für das Benzin für die Fahrten zur Schule gereicht.“ Der erste Lohnzettel sei ihm vorgekommen wie ein Lottogewinn.

Seit August letzten Jahres ist André Daners – mittlerweile Großvater eines Zweijährigen – in der Gröperstraße tätig. „Die meisten Eltern sind toll und freuen sich, dass ein Mann Erzieher ist“, berichtet er. Auch Chefin Benita Ebing ist begeistert. „Männer haben einen anderen Zugang zu Kindern“, sagt sie. Gerade für jene, denen sonst eine männliche Bezugsperson fehlt, seien Erzieher eine Bereicherung. „Und sie haben andere körperliche Voraussetzungen. Wenn ein Nagel in die Wand geschlagen oder etwas Schweres getragen werden muss, müssen wir niemanden mehr fragen, seit Andy da ist“, ergänzt sie mit einem Augenzwinkern.

Andy, so nennen die Kinder den Erzieher. Er gehört zu einer Minderheit. Laut Statistischem Bundesamt sind rund 95 Prozent der mehr als 527 400 Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen weiblich (Stand: März 2014). Aus der Erhebung geht hervor, dass die Zahl der männlichen Erzieher in Sachsen-Anhalt nur 3,7 Prozent entspricht.

Aber es ist bundesweit ein Trend absehbar: Der Männeranteil in Kitas ist von 3,2 Prozent im März 2007 auf 4,9 Prozent in 2014 gestiegen. Im Schuljahr 2012/2013 lag der Anteil der männlichen Auszubildenden zum Erzieher zudem bei 17 Prozent.

Dass sich viele Männer vor dem Beruf scheuen, könnte mit Vorurteilen zusammenhängen, mutmaßt André Daners. „Als Mann wird man ganz anders beäugt, wie man mit Kindern umgeht und wie viel Nähe man zulässt“, sagt der Erzieher. Auch er habe manchmal die Angst, mit Pädophilie-Vorwürfen konfrontiert zu werden.

Zudem wirken Statur und Stimme eines Mannes bedrohlicher auf Kinder als die einer zierlichen Frau. Laute Ansagen werden schnell als Anschreien gewertet. „Ich musste mich erstmal gewöhnen, leiser zu sprechen. Was in der Werkshalle funktioniert, sorgt bei Kindern für Tränen“, sagt er.

Die Arbeit bereite ihm viel Spaß, auch wenn mehr dahinter steckt, als viele vermuten. „Es geht nicht nur darum, die Kinder zu beschäftigen. Das Malen und Basteln hat einen pädagogischen Hintergrund. Wir wollen den Kindern etwas vermitteln, sie fördern.“ So trainiere Malen die Motorik. Wie gut Kinder etwas können, sei sehr unterschiedlich. Das hänge neben dem Alter und Talent zu großen Teilen vom Elternhaus ab.

Wie unterschiedlich Kinder erzogen werden, war ihm früher nicht bewusst. „Aber die Ausbildung hat meinen Blick auf Kinder und Eltern verändert.“ So achte er heute zum Beispiel beim Schlangestehen im Supermarkt auf Erziehungsstile und -fehler der Familien um ihn herum. Auch zu Hause ist der Beruf Thema. Beim Fachsimpeln mit seiner Frau und der Tochter.

Seinen Feierabend nutzt der Erzieher, um Schablonen, Spiele und Elterngespräche vorzubereiten sowie um Berichte zur Entwicklung der Kinder zu schreiben. „Da fehlt mir noch die Routine, aber das wird sich einspielen“, sagt André Daners. Mit dem Neuanfang habe er die richtige Entscheidung für sich getroffen. „Das Schönste an meinem Beruf ist, dass Kinder nie das Böse sehen, sie sind nicht nachtragend, sondern dankbar.“