Fachkräfte-Nachwuchs Kein Job für Träumer

Die Industrie- und Handelskammer Magdeburg hat die Harzer Schmalspurbahnen als ausbildungsfreundliches Unternehmen gewürdigt.

Von Ingmar Mehlhose 14.10.2017, 01:01

Wernigerode l „Vor 20 Jahren haben wir mit vier Lehrlingen begonnen“, sagte Matthias Wagener. Zwei seien Industriemechaniker geworden, die anderen beiden Bürokauffrauen.

Die aktuell 18 Azubis eingerechnet, habe die Harzer Schmalspurbahnen GmbH (HSB) bisher 76 Jugendlichen die Chance auf einen beruflichen Start gegeben, berichtete der Geschäftsführer. 49 hätten ihre Ausbildung erfolgreich abschließen können. 29 von ihnen beziehungsweise rund 60 Prozent seien bis heute in der Firma tätig. Laut Wagener ist das „eine gute Quote“.

Das sieht auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Magdeburg so. Ralf Grimpe als Leiter der Wernigeröder Geschäftsstelle und Kerstin Nagy, ehrenamtlich in der Vollversammlung und im Regionalausschuss Harz der IHK engagiert, überreichten den Schmalspurbahnern dafür am Donnerstag die Ehrenurkunde „Ausbildungsfreundliches Unternehmen“.

Kerstin Nagy befand unter anderem, es sei wichtig, solche Betriebe in den Fokus zu rücken. In allen Branchen gebe es schließlich mittlerweile Probleme, geeigneten Nachwuchs zu finden. Und, so die Wernigeröderin: „Es ist nicht mehr so häufig, dass Leute 20 Jahre in einem Unternehmen tätig sind.“

Ralf Grimpe bezeichnete Firmenchefs und Ausbilder als wichtige Partner der Kammer. Zugleich betonte er, die duale Ausbildung sei „aus Sicht der IHK eine gute erfolgversprechende Alternative“.

Wer bei der HSB sein Handwerk erlernen möchte, der muss zunächst Eckhard Wolter von sich überzeugen. Der Personalchef erinnert sich noch gut an die Anfänge. Zu dieser Zeit sei gerade die zweite große Entlassungswelle im Unternehmen vorbeigewesen. Wolter: „Damals hatte keiner über die Altersstruktur nachgedacht.“ Allerdings sei dem schnell die Einsicht gefolgt, das hier dringend etwas getan werden müsse, um das Überleben der HSB dauerhaft zu sichern.

Bodo Buth sei der einzige Kollege gewesen, der die Berechtigung besaß, Azubis auszubilden. Er habe sich sofort mit Herzblut dieser Aufgabe gestellt. Eine nicht mehr benötigte Tischlerei im Bahnbetriebswerk am Wernigeröder Westerntor sei zur Lehrwerkstatt umgestaltet und entsprechend technisch ausgerüstet worden. Wenig später habe sich Bernd Duderstadt bereiterklärt, Buth zu unterstützen.

Habe es in jenen Jahren 70 Kandidaten und mehr für eine Lehrstelle gegeben, so sei dies heute völlig anders. Eckhard Wolter: „Wir hatten zuletzt sehr wenig Bewerber, aber die Qualität ist viel besser geworden.“ Zudem würden viele der Jugendlichen inzwischen zielgerichtet nach der für sie passenden beruflichen Karriere suchen und deshalb in vielen Fällen vorab bereits Praktika bei der HSB absolvieren.

Andererseits gebe es auch immer wieder Träumer und Dampfbahn-Nostalgiker. Der Personalleiter: „Dabei ist das zum Teil richtige Knochenarbeit.“ Zudem seien fundierte mathematische Kenntnisse immens wichtig.

Für die Zukunft sieht Wolter das Unternehmen gerüstet. Der Altersdurchschnitt liege inzwischen bei guten 45 Jahren. Und: „Wir haben schon die ersten beiden Verträge für 2018 abgeschlossen.“ Ein dritter Jugendlicher werde sich demnächst praktisch erproben. Bewähre er sich, „dann hätten wir schon drei Viertel der Stellen besetzt“.

Wobei die wenigsten Bewerber mittlerweile aus der Region stammten. Gerade aus Sachsen gebe es dafür großes Interesse. Laut Wolter liegt das daran, dass dort viele Traditionsbahnen verkehren, deren Betreiberunternehmen aber zu klein sind, um selbst auszubilden.

Einen noch weiteren Weg als aus dem Freistaat hat Kees de Vries auf sich genommen. Der junge Mann stammt aus dem niederländischen Heerenveen, ist für seine Lehre in den Harz gezogen. Er wolle hier bleiben, sagt der künftige Industriemechaniker, der inzwischen auch schon Erfahrungen als Heizer sammeln konnte und später einmal Lokführer werden möchte.

De Vries sei der erste Azubi aus dem Ausland, berichtete der Personalchef. Es hätten schon mehr sein können, „aber das scheiterte an der Sprache“.

Zur Übergabe der Ehrenurkunde durften die Gäste von der IHK übrigens auch ein ganz besonderes „Schätzchen“ am Westerntor bewundern – den GHE T 1, Baujahr 1933. Wie HSB-Sprecher Dirk Bahnsen erläuterte, handele es sich um den ältesten einsatzfähigen Triebwagen der HSB. In Dessau gefertigt, sei er für die Gernroder-Harzgeroder-Eisenbahngesellschaft (GHE) gefahren.

Dass er nach dem Zweiten Weltkrieg nicht als Reparationsleistung von der Sowjetarmee abtransportiert wurde, habe man einem Zufall zu verdanken. Bahnsen: „Er stand an der Eisfelder Talmühle.“ Im Lokschuppen dort, sei er wohl schlicht „übersehen worden“.