1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Fünfer im Lotto nicht nur für Kunststudenten

Baugerüste in Quedlinburger Stiftkirche machen Blicke auf die Ornamente möglich Fünfer im Lotto nicht nur für Kunststudenten

Von Jürgen Meusel und Dennis Lotzmann 31.08.2013, 01:13

In der Quedlinburger Stiftskirche haben gegenwärtig die Handwerker das Sagen. Sie sind dabei, größere Schäden im Dachbereich abzustellen. Die Gerüste, die dafür im Langschiff aufgebaut sind, erlauben in luftiger Höhe den Blick auf historische Ornamente.

Quedlinburg l Keine Frage: Der Quedlinburger Philipp Jahn hat ein gutes Gespür für perfekte Planung. Als sich der angehende Kunstgeschichtler, der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg studiert, ein Thema für seine Masterarbeit gesucht hat, muss er gewusst haben, dass die Quedlinburger Stiftskirche in diesem Sommer erneut in eine Baustelle verwandelt wird. Und er muss geahnt haben, dass dann im Innern des knapp 900 Jahre alten Gotteshauses große Gerüste aufgebaut werden. Letztere sind für den angehenden Kunstexperten - zumindest im übertragenen Sinne - so etwas wie der Schlüssel zum Glück. Die geschätzt zehn Meter hohen Baubühnen bieten ihm die seltene Gelegenheit, die Bauornamente mal ganz bequem aus nächster Nähe zu betrachten. Und nicht nur dem Kunststudenten: "Das ist ein perfekter Moment, um die 900 Jahre alte Kunst dort oben endlich mal ohne Feldstecher zu betrachten", berichtet Thomas Labusiak erfreut.

Auch für Labusiak - dem Kustos der Domschätze in Halberstadt und Quedlinburg - sind die Gerüste in der Stiftskirche Sankt Servatii wie ein Fünfer im Lotto. "Endlich können wir die farbig verzierten Steinskulpturen, die sich komplett durch den Quedlinburger Kirche ziehen, mal aus nächste Nähe betrachten." Geplant sei auch, die Bauarbeiten zu nutzen, um die vom Fuße des Gotteshauses kaum erkennbaren Skulpturen zu dokumentieren. Die Fotos könnten später auch den Besuchern viele Details sichtbar machen. "Wer weiß, wann die Rahmenbedingungen dafür wieder mal so optimal sind wie jetzt", sagt der Domkustos und erinnert daran, dass dort oben seit 900 Jahren nicht mehr viel passiert sei.

Schon jetzt freut sich Labusiak über die Erkenntnisse. "Fest steht, dass sich ganz ähnliche Motive in italienischen Kirchen finden. Wir vermuten, dass die Künstler damals auch in der Lombardei in Italien tätig waren und später über die Alpen gen Norden gekommen sind." Und nördlich der Alpen war die Quedlinburger Stiftskirche eine Wirkungsstätte der Spezialisten.

Die Spezialisten lieferten damals Qualität ab. Die Stiftskirche wurde reichlich mit farbig ausgemalten Skulpturen verziert. Die Bemalung ging in den neun Jahrhunderten zwar bis auf Reste verloren, die Bauornamente an Kapitellen, Kämpfern und Friesbändern blieb aber immer gut erhalten.

Hier findet sich eine Fülle mittelalterlicher Symbolsprache. So das Adlersymbol als Zeichen der Majestät und der Auferstehung. Das Flechtband als Ewigkeitssymbol. Und der Vogel, der an der Traube pickt, als Symbol für den Menschen, der aus dem Sakrament lebt.

"Das ist ein perfekter Moment, um die 900 Jahre alte Kunst dort oben endlich mal ohne Feldstecher zu betrachten."

Thomas Labusiak, Domschatz-Kustos in Halberstadt und Quedlinburg

Die Bauarbeiten in der Stiftskirche, die nun Domkustus wie Kunstgeschichtler seltene Detailansichten ermöglichen, konzentrieren sich auf den Dachbereich des Gotteshauses. Dort sind Fachleute der Werkstätten für Denkmalpflege aus Quedlinburg mit der Dach- und Deckensanierung sowie dem Bekämpfen des Hausschwammes beschäftigt.

Die dreischiffige romanische Basilika mit einer flachen Holzdecke wurde im Jahr 1129 geweiht. Die Sanierungsarbeiten haben ein Kostenvolumen von insgesamt 975 000 Euro und werden zu 90 Prozent aus dem Unesco-Welterbeprogramm gefördert. Eigentümer der Kirche ist die Stadt Quedlinburg, genutzt wird das Gotteshaus von der evangelischen Kirchengemeinde Quedlinburg.