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Barrierefrei Halberstadt: Bahnhof mit Hindernissen

Behindertenfreundlich sieht anders aus. Seit Mitte Juni ist schon wieder ein Aufzug auf dem Halberstädter Bahnhof außer Betrieb.

Von Jörg Endries Aktualisiert: 02.08.2021, 12:18
Wiederholt fallen die Fahrstühle auf dem Halberstädter Bahnhof aus. Reisende haben dann das Nachsehen.
Wiederholt fallen die Fahrstühle auf dem Halberstädter Bahnhof aus. Reisende haben dann das Nachsehen. Foto: Archiv Jörg Endries

Halberstadt - Bahnhöfe sollen verbinden. Reisende sehen sich im Halberstädter Bahnhof mit Hürden konfrontiert. Menschen mit Behinderung, die auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind, kommen entweder nicht zu ihrem Zug oder vom Zug aus nicht vom Bahnsteig weg. Die Fahrstühle auf dem Gelände des Bahnhofes sind eine Dauerbaustelle. Bereits im vergangenen Jahr waren sie wiederholt defekt und standen über Wochen still. Das ist nun schon wieder der Fall.

„Seit etwa zwei Monaten ist mal wieder der Fahrstuhl für die Bahnsteige 2 und 3 ausgefallen. Der Halberstädter Bahnhof, ein  Knotenpunkt an der Expo 2000 – Referenzstrecke Halle – Halberstadt – Wernigerode – Goslar, gleichzeitig Stundenknoten, ist der wichtigste Umsteigebahnhof im Nordharzraum. Das ist sicherlich den Verantwortlichen von DB Station und Service, DB Netz und der landeseigenen Nahverkehrsgesellschaft Sachsen-Anhalt (NASA) bekannt. Damit sollte er auch bei Ausfällen der Technik eine entsprechende Priorität haben. Augenscheinlich haben das die Verantwortlichen aus den Augen verloren“, kritisiert der Halberstädter Ulrich Kasten. Der Verkehrsexperte und ehemalige Linke-Landtagsabgeordnete gehört zu den direkt Betroffenen. Er und seine auf einen Rollstuhl angewiesene Lebenspartnerin nutzen oft die Bahn.

Viele Reisende betroffen

Allerdings seien nicht nur Reisende mit Behinderungen von der Sperrung der Aufzüge betroffen, so Ulrich Kasten. „Mobilitätseingeschränkte Menschen, Menschen mit schwerem Gepäck, Menschen mit Kinderwagen, Radler mit schweren Packtaschen und anderen wird der Zugang zu den Zügen, der bei Umstiegen erforderliche Zugang zu allen Bahnsteigen, erheblich erschwert oder gänzlich verhindert.“ Der Halberstädter weist darauf hin, dass die DB Station und Service  für Schwerbehinderte einen durchgeleiteten Festbetrag aus den Regionalisierungsmitteln des Landes erhält. Also Geld dafür, dass sie uneingeschränkt reisen können.

Der Halberstädter meckert jedoch nicht nur. Er habe selbst die Deutsche Bahn AG gefragt, warum der Fahrstuhl schon wieder seit Wochen ausfällt. „Angeblich sind defekte elektronische Bauteile nicht lieferbar. Ich gehe davon aus, dass die Bahnfestigkeit der eingebauten Technik im Vorfeld ausreichend geprüft wurde. Scheinbar gibt es bei der verantwortlichen DB-Tochter kein gutes Ersatzteilmanagement. Und vorbeugende Instandhaltung scheint nicht nur hier ein Fremdwort zu werden“, berichtet der Halberstädter.

Ulrich Kasten vermutet, dass man bei der Fahrstuhlbeschaffung sicherlich auf hohe Standardisierung und  einfache Ersatzteilhaltung geachtet habe. Da verwundere es noch mehr, wenn die für die 27. Kalenderwoche angekündigte Instandsetzung auch in der 29. Kalenderwoche noch nicht begonnen wurde.

Kein Entgegenkommen

Außerdem kritisiert Ulrich Kasten, dass die DB Netz sich weigern würde, bei der Beförderung von Rollstuhlfahrern die für diese Personengruppe quasi toten Bahnsteige 2 und 3 durch Gleistausch bei Ankünften beziehungsweise Abfahrten zu umgehen. „DB Service bietet Betroffenen Umwege über Magdeburg, Wernigerode, Aschersleben oder Blankenburg an. Mal einfach ein oder zwei Stunden länger unterwegs sein zu wollen wird erwartet – so man die dortigen Anschlüsse erreicht und die Züge in Halberstadt dann tatsächlich auf Gleis 1a, 1, 4 oder 5 ankommen.“

Dieser Zustand zeige offensichtlich, wie wichtig Notwege zwischen allen Bahnsteigen wären, die man aus Sicherheitsgründen bekanntlich wegrationalisiert habe.

Jörg Bönisch, Pressesprecher der DB AG für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, auf Volksstimme-Nachfrage: „Die Aufzüge zum Bahnsteig 1 und zu Bahnsteig 4/5 in Halberstadt funktionieren. Der Aufzug zu Bahnsteig 2/3 ist seit 16. Juni defekt. Er wird spätestens in dieser  Woche repariert.“ Der Frequenzumrichter sei defekt, berichtet der Bahn-Sprecher. Dieser Aufzug sei öfter defekt, mit unterschiedlichen Fehlern, bestätigt Bönisch. Auch die verzögerte Lieferung von Ersatzteilen würde manchmal leider zu längeren Ausfallzeiten führen.

Auf die Kritik, dass Züge nicht bei Bedarf auf den Gleisen einfahren, die über einen funktionstüchtigen Fahrstuhl verfügen, heißt es: „Wir können bestätigen, dass nur in Ausnahmefällen Gleiswechsel in Halberstadt vorgenommen werden können. Der Bahnhof wird als Knotentakt befahren. Das heißt, die Züge treffen sich aus verschiedenen Richtungen zeitgleich, um Umsteigemöglichkeiten für die Reisenden anzubieten. Zudem werden Züge aus oder in den Harz entkoppelt beziehungsweise zusammengeführt.“ Deshalb habe der Fahrdienstleiter der DB Netz AG jeweils zur vollen Stunde umfassende Gleis- und Zugaktivitäten zu koordinieren. „Es hat also nichts mit kundenunfreundlichem Verhalten zu tun, sondern ist den betrieblichen Abläufen im Halberstädter Bahnhof geschuldet“, betont Jörg Bönisch.

Quedlinburg auch Baustelle

Eine weitere Baustelle hat Ulrich Kasten auf dem Bahnhof der Nachbarstadt Quedlinburg ausgemacht. „Nicht nur Halberstadt leidet unter der unprofessionellen Arbeit einiger Bahnverantwortlicher. Seit über einem Jahr bemüht man sich in Quedlinburg, eine neue Unterführung und zwei Fahrstühle (Gleis 1 und 2/3)  aufzubauen, um den Personenbahnhof dem Standard des 21. Jahrhunderts anzupassen. Nun ruhen die Bauarbeiten. Man hatte vergessen, die Gleismittenabstände an die heutigen EU-Standards anzupassen – es ist einfach zwischen Gleis 1 (Hausbahnsteig) und 2 (Bahnsteig 2/3) 30 Zentimeter zu eng.“ Es sei unverständlich, dass dieser Fehler keinem der mindestens vier Beteiligten (Planungsbüro, DB Netz, DB Station und Service, Land bzw. Nasa) aufgefallen ist. Baustopp, Umplanungen und verspätete Fertigstellung würden die Baukosten weiter in die Höhe treiben.

Jörg Bönisch sagt dazu: „Die Arbeiten zur Herstellung der neuen Gleislage am Bahnsteig 1 und an den Überdachungen in Quedlinburg werden in diesem Jahr fortgeführt und im nächsten Jahr beendet. Dafür musste ein behördliches Planänderungsverfahren durchlaufen werden. Der derzeitige Baustopp hat jedoch keine Auswirkungen auf den Einbau der Aufzüge.“

Wie ursprünglich im Bauablauf eingetaktet, würde der Einbau der Aufzüge im August beginnen. Geplant sei, sie Ende 2021 in Betrieb zu nehmen. „Die Zugänglichkeit für mobilitätseingeschränkte Personen hat sich gegenüber dem ursprünglichen Zustand noch nicht verändert. Ursprünglich mussten die Reisenden die Gleise über die Treppen und die Personenunterführung queren. Derzeit erfolgt der Wechsel über Treppen und eine Fußgängerüberführung“, so der DB-Sprecher.