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Altes Gemäuer an der Neustadtstraße 7 diente den Juden in Calvörde als Synagoge Heimatfreunde vermuten in ehemaliger Synagoge Reste eines rituellen Tauchbades

Von Anett Roisch 28.12.2013, 02:07

Reinhard Rücker und Uwe Merker vom Calvörder Heimatverein vermuten, Reste einer Mikwe (ein rituelles Tauchbad) in einem alten Gebäude, das den Juden als Synagoge diente, gefunden zu haben. Haldenslebens Museumsleiter Ulrich Hauer bleibt jedoch skeptisch.

Calvörde l Ausgestattet mit einer Lampe und einem Verlängerungskabel führen Reinhard Rücker und Uwe Merker vom Heimatverein zur ehemaligen Synagoge an der Neustadtstraße 7. Schon im Vorfeld hatten sie einige Dielen und Bretter gelöst, um den Blick in ein tiefes Loch zu gewähren. Die Heimatforscher haben nämlich den Verdacht, dass sich unter der Treppe des denkmalgeschützten Hauses Reste einer Mikwe befinden.

Die Größe des Gebäudes, das im 18. Jahrhundert gebaut wurde, beträgt etwa sieben mal zwölf Meter. In den vergangenen Jahrzehnten diente es auch als Klempnerwerkstatt. Die Innenausstattung ist in den letzten 200 Jahren mehrmals geändert worden. Alte Wände wurden entfernt, neue gezogen. Dafür, dass das Gebäude ursprünglich religiösen Zwecken gedient hat, sprechen noch heute mehrere Hinweise:

Hinter der mittleren Tür des Fachwerkbaus führt eine Treppe zum Obergeschoss. Das Geländer weist barocke Schmuckelemente auf. Über die Treppe mit Bretterbalustern gelangen die Männer in den einstigen Betraum der jüdischen Gemeinde. Gut können sich die Heimatfreunde vorstellen, dass sich unter den Stufen das rituelle Tauchbad befunden haben könnte. Diese Entdeckung wäre sensationell.

Ulrich Hauer, Leiter des Haldensleber Museums, bleibt aber mehr als skeptisch. Hauer ist der Initiator der Sanierung der Synagoge der einstigen kleinen jüdischen Gemeinde der Stadt Haldensleben. Heute wird das in der Steinstraße 18 stehende Gebäude als "Haus der anderen Nachbarn" des Museums Haldensleben genutzt. Auch dort hat es eine Mikwe gegeben. Bautätigkeiten sind dort für das Jahr 1875 belegt. Die zu diesem Zeitpunkt aus 26 Mitgliedern bestehende Gemeinde beantragte damals Kies, um das nicht mehr benutzte rituelle Bad zu verfüllen.

Doch Spuren einer Mikwe sieht Hauer in Calvörde nicht. "Das ist alles nur Tragwerk des einzigen Treppenaufganges", sagt Hauer. Bedingung für so ein Bad sei natürliches Wasser. Merker erzählt, dass es noch in den 50er Jahren oft vorkam, dass das Grundwasser im Frühjahr und im Herbst zehn Zentimeter höher stand. Auch das scheint Hauer als Argument nicht zu reichen. "So ein Bad hatte einen separaten Eingang und meist einen beheizten Vorraum, in dem die Damen die Waschung durchgeführt haben. Früher gab es dann doch eher Privathäuser mit einem Intimbereich für die Waschungen", weiß Hauer.

Während Hauer nur einen "toten" Raum in der Tiefe erkennt, können sich die Heimatfreunde gut an der Bauweise und der Anordnung der Fenster die Möglichkeit für ein Tauchbecken vorstellen.

"Was soll dort sonst in der Tiefe gewesen sein?", fragt Rücker, der sich in der Vergangenheit schon sehr intensiv mit der Geschichte der Juden in Calvörde beschäftigt hat. "Wir wissen nicht, für welchen Zweck dieses Gebäude ursprünglich gebaut wurde. Das Obergeschoss wurde sicher als Versammlungsraum genutzt. Für ein Bad ist diese Stelle unter der Treppe einfach zu klein", betont der Museumsleiter.

Seit 2010 ist das vordere Fachwerkhaus, das bis etwa 1900 als Post diente, wieder bewohnt. Familie Dinkuhn ist als privater Hauseigentümer mit der Sanierung der beiden Gebäude total überfordert. "Als wir das Grundstück vor vier Jahren kauften, wussten wir nicht, dass das hintere Gebäude unter Denkmalschutz steht", sagen Dinkuhns.

Seit 1991 steht das Gebäude auf der Liste des Denkmalschutzes. Eigentum verpflichtet. Die Chance auf eine Förderung sei - mit oder ohne Mikwe - gering. "Das Gebäude ist in einem bedauernswerten schlechten Zustand. Das Problem ist uns bekannt. Die Mauern müssten zur Gefahrenabwehr gesichert werden, damit auch die Nachbarn keinen Schaden nehmen", sagte Thorsten Neitzel, Mitarbeiter der unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Börde. Der Eigentümer bietet zwar Eigenleistungen an, habe aber nicht genügend finanzielle Eigenmittel.

So ganz möchte Rücker seine Vorstellung vom Ritualbad nicht aufgeben. "Vor 15 Jahren war schon einmal eine Gruppe von Studenten mit einem Assistenten hier. Das war ein Herr Ulrich Knufinke vom Institut für Baugeschichte an der Technischen Universität Braunschweig, der inzwischen promoviert ist. Ich habe nun wieder Kontakt mit ihm aufgenommen. Seine Mitarbeiterin Kerstin Keßler, die sich mit dem Projekt ,Jüdische Ritualbäder in Deutschland\' beschäftigt, möchte nach Calvörde kommen, um sich unsere fragliche Mikwe anzusehen", so Rücker.

Als viel wichtiger als ein rituelles Tauchbad nachzuweisen, bezeichnet Hauer aber, dass eine Möglichkeit gefunden wird, das Gebäude zu erhalten. Das Dach des Gebäudes muss dringend erneuert werden, um den weiteren Verfall zu verhindern.