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Harz Wie der Häschenbrunnen zu seinem Namen kam

Die Fallsteinstadt Osterwieck bietet Natur, Geschichte und nun auch ein eigenes Märchen. Eines, mit einer interessanten Familiengeschichte.

Von Mario Heinicke 14.12.2020, 00:01

Osterwieck l Literarische Überraschung in Osterwieck: Kurz vor Weihnachten ist ein Märchenbuch erschienen: „Das Märchen vom Häschenbrunnen.“ Ein Fallsteinmärchen von Hugo Ratzersdorfer.

Doch wer ist Hugo Ratzersdorfer? Heutige Generationen werden ihn nicht mehr kennen. Aber sie werden vielleicht Dorothee Söllig als frühere Inhaberin der Fallsteinklause und Blumenbindemeisterin Marlene Mewald kennen. Die Schwestern, längst im Rentenalter, entstammen der Gärtnerfamilie Taschner. Hugo Ratzersdorfer (1881 bis 1944) war ihr Großvater, den sie allerdings persönlich nicht mehr kennengelernt haben. Er erfand vor hundert Jahren jenes Märchen vom Häschenbrunnen, den es im Fallstein nördlich vom Waldhaus wirklich gibt.

„Das Märchen ist uns jetzt wieder in die Hände gefallen“, berichtete Dorothee Söllig. Wobei es eine sehr lange Version von 22 Schreibmaschinenseiten gibt und jene kurze, die jetzt von Martin Hentrich innerhalb seiner Reihe Edition Huy zu einem bunten, ansehenswerten Märchenbuch gestaltet wurde. 48 Seiten stark, mit handgemalten Bildern von Vanessa Taschner. Und mit einer Besonderheit.

Man kann von beiden Umschlagsseiten aus das Buch zu lesen beginnen. Es ist je zur Hälfte in Deutsch und Englisch verfasst. Äußerst ungewöhnlich. Um das zu erläutern, muss etwas Familiengeschichte eingeflochten werden.

Der Bruder von Dorothee Söllig und Marlene Mewald ist Ludwig Taschner, der in den 1950er Jahren Osterwieck und die DDR verließ, letztendlich nach Südafrika auswanderte und dort eine namhafte Rosenzucht aufbaute. In den 1990er Jahren hatte ihn einmal der damalige Volksstimme-Chefreporter Bernd Kaufholz besucht und als „Rosenkönig von Südafrika“ bezeichnet.

Vanessa Taschner, die die Zeichnungen schuf, ist seine Schwiegertochter, beruflich als Kunstlehrerin an einer Waldorfschule in Südafrika tätig. Sie weiß, wie man kindgerecht malt. Im Buch ist es zu sehen.

Ludwig Taschner hat den Text seines Großvaters ins Englische übersetzt. Mit seiner Heimatstadt ist er heute noch eng verbunden. 2015 kreierte er die Rosensorte namens Osterwieck, die heute an mehreren Stellen die Stadt schmückt.

Noch nicht genug der Familiengeschichte. Dorothee Söllig hat eine Ader für Bücher. Bevor sie 1990 die Fallsteinklause übernahm, arbeitete sie 17 Jahre in der Stadtbibliothek. Ursprünglich hatte sie in der heute noch bestehenden Jüttners Buchhandlung in Wernigerode den Beruf der Buchhändlerin gelernt.

Bei ihr fiel damit der Apfel sozusagen nicht weit vom Stamm. Denn ihr Opa Hugo Ratzersdorfer, übrigens ein gebürtiger Wiener, war selbst in der Verlagsbranche tätig, verantwortete in der damals namhaften Osterwiecker Druckerei und Verlag seines Schwiegervaters August-Wilhelm Zickfeldt die Herausgabe der Hebammen-Zeitung.

Hugo Ratzersdorfer war mit seinen beiden Töchtern 1922/1923, als sie unter Keuchhusten litten, jeden Tag in den Fallstein gegangen, damit sie besser Luft bekommen, so wird es in einem Nachwort von Marlene Mewald im Märchenbuch geschildert. Auf dem Weg in den Wald erzählte er das Märchen, es wurde von Generation zu Generation weitergegeben – und bekommt nun einen breiten Leserkreis.

Erhältlich ist das Buch zum Preis von 14,50 Euro in der Touristinformation sowie in den Geschäften Hoffmeister, Meuche und Lehrmann. Noch eine Besonderheit: Der Erlös soll dem Häschenbrunnen zugute kommen. Dessen Umfeld war in den 1990er Jahre von ABM-Kräften gestaltet worden, davon sind aber nur noch Fragmente übrig. Vor allem aber ist der Brunnen meist trocken. Ihn wieder zum Plätschern zu bringen, das ist das Anliegen der Initiatorinnen dieses Märchenbüchleins.