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Modellprojekt Hotelöffnung im Harz: Ein Ritter wagt mitten im Lockdown den ersten Schritt

Von Sabine Scholz 16.04.2021, 17:45
Dr. Clemens Ritter von Kempski, Eigentümer und Geschäftsführer der Ritter von Kempski Privathotels.
Dr. Clemens Ritter von Kempski, Eigentümer und Geschäftsführer der Ritter von Kempski Privathotels. Foto: Ritter von Kempski Privathotels

Stolberg

Während die Bundesregierung über strengere Lockdown-Regeln und Ausgangssperren diskutiert, kehrt in Stolberg ein Stück Normalität ein. Seit dem Freitag, 16. April, werden in dem „Romantik Hotel FreiWerk“ und Wellnesshotel „Naturresort Schindelbruch“ wieder Gäste begrüßt. Sie alle kommen nach einem halben Jahr faktisch ohne Möglichkeit, innerhalb Deutschlands zu reisen, nicht nur in den Genuss, die Annehmlichkeiten der Häuser zu nutzen. Sie reisen auch im Namen der Wissenschaft, als Teilnehmer eines Modellprojekts.

Tourismus trotz steigender Corona-Fallzahlen – seit Bekanntwerden des Modellprojekts sorgt das Thema für Kontroversen in den sozialen Medien und der Politik. Dr. Clemens Ritter von Kempski, der Eigentümer der beiden Hotels in Stolberg, steht dennoch fest hinter seinem Plan. „Wir brauchen dringend Modellprojekte, um Wege für ein Leben mit dem Virus aufzuzeigen“, betont der Betriebswirt. „Corona wird nicht im Sommer verschwunden sein, auch nicht dank der Impfungen. Wir müssen Möglichkeiten finden, Deutschland dennoch wieder hochzufahren“, sagt er.

Kontakte zu Medizinern

Was nicht bedeute, dass er die Pandemie-Lage nicht ernst nehme, wie er betont. „Ich habe großem Respekt vor dem RKI und den Fachkollegen auf den Intensivstationen und ihren Hilferufen“, sagt Kempski, der selbst approbierter Humanmediziner ist. Er habe viele Kontakte im Bereich Medizin, stehe mit den Kollegen im Austausch, was sich auch in dem Modellprojekt widerspiegele. „Wir sind nicht im Blindflug unterwegs“, stellt Kempski klar.

Zum einen werde der Öffnungsversuch, der für vier Wochen angesetzt ist, von der Uniklinik Magdeburg begleitet. Zum anderen fuße er auf einem Konzept, das weit über die AHA-Regel – also Abstand halten, Hygiene beachten und Maske tragen – hinausgehe. So seien Luftreiniger installiert und Lüftungsregeln aufgestellt, eine IT-gestützte Kontaktverfolgung erarbeitet worden. Das Hotel sei nicht annähend voll belegt. 180 Gäste können normalerweise im Schindelbruch einchecken. „Aktuell belegen wir nur rund 35 Zimmer unter der Woche, 60 am Wochenende. Im kleinen Haus gibt es Platz für 60 Gäste, wir werden nur 20 Zimmer belegen.“ Die Nachfrage sei groß – aus ganz Deutschland.

PCR-Test vor dem Einchecken

Die Gäste dürfen nur einchecken, wenn sie einen negativen PCR- oder gleichwertigen Test nachweisen können. Sie müssen sich zusätzlich alle zwei Tage Laientests unterziehen – unter Aufsicht und Anleitung. „Alle unsere Mitarbeiter sind dafür geschult“, versichert Ritter von Kempski. Einmal wöchentlich würden die Angestellten – 120 sind es laut Inhaber – Proben abgeben, die im Labor auf Corona getestet werden. Alle 48 Stunden würden sie sich zudem einem Schnelltests unterziehen.

Apropos Mitarbeiter – was sagen die dazu, dass sie mitten im Lockdown wieder öffnen? Gab es auch welche, die aus Angst vor einer Ansteckung nicht dabei sein wollten? „Nein“, sagt der Chef. „Sie sind total glücklich, wieder arbeiten zu dürfen.“ Nach sechs Monaten Schließung habe sich „sehr viel Verzweiflung“ breitgemacht. „Vor allem, wenn sie sehen, dass die Nachbarn nach Mallorca fliegen und sie selbst nicht arbeiten dürfen. So etwas sorgt für Unverständnis.“

Wir brauchen dringend Modellprojekte, um Wege für ein Leben mit dem Virus aufzuzeigen. Corona wird nicht im Sommer verschwunden sein, auch nicht dank der Impfungen.

Auch bei ihm. „Es ist erschütternd zu sehen, dass die Bundespolitik – nach einem Jahr Pandemie – noch immer auf pauschale Lockdowns verschiedener Intensitäten setzt, ohne Alternativen entwickelt zu haben“, kritisiert der Geschäftsmann. „Ein ,weiter so’ hat versagt.“

Ein Gegner von Lockdowns sei er jedoch nicht. „Ein Lockdown kann sehr wohl ein wirksames Mittel zur temporären Eindämmung einer Epidemie sein“, so der Arzt. „Aber nur unter der Voraussetzung einer Gesamtstrategie. Diese muss so ausgestaltet sein, dass die zeitgerecht und konzeptionell durchdachte Phase nach dem Lockdown definiert und umsetzbar ist“, sagt Ritter von Kempski.

Gefühl: Branche von Bundespolitik übersehen

Er habe zudem das Gefühl, dass bei den Beschlüssen in Berlin die gesamte Branche übersehen werde. „Was ich besonders schlimm finde, ist, dass bei den Beschlüssen wissenschaftliche Studien außen vor gelassen werden. Laut RKI sind wir eindeutig keine Pandemie-Treiber.“

Die pauschalen Öffnungsverbote für das Gastgewerbe hätten weitreichende und langfristige Folgen. „Man darf nicht vergessen, Hotellerie und Tourismus sind wichtige Impulsgeber für den ländlichen Raum.“ Die oftmals die meisten Arbeitsplätze böten. Kann in diesen Bereichen jedoch nicht gearbeitet werden, verliere die ganze Region an Attraktivität für Fachkräfte. Seien die erst einmal weg, sei es schwer, neue zu gewinnen, wenn denn Hotels und Restaurants wieder öffnen dürfen.

Er erwarte nicht von der „großen Politik“, dass diese alleine Lösungen findet, wie solche Öffnungen unter Pandemie-Bedingungen aussehen können. „Aber sie sollen der Privatwirtschaft die Möglichkeit geben, Strategien zu entwickeln.“ Es sei seiner Ansicht nach deshalb wichtig, spätestens jetzt mit Modellversuchen Erkenntnisse zu gewinnen und Langzeit-Konzepte zu entwickeln.

Dank an Sachsen-Anhalts Spitzenpolitiker

Er sei der Landespolitik Sachsen-Anhalts dankbar, das im Gegensatz zur Bundespolitik erkannt zu haben. „Wir haben mit Reiner Haseloff einen Ministerpräsidenten, der den tiefen Sinn von Modellprojekten verstanden hat und mit Armin Willingmann einen Wirtschaftsminister, der mutig ist“, betont Clemens Ritter von Kempski.

Seine Branche sei mittlerweile am Boden, die Reserven vieler aufgebraucht. Gerade für kleine, familiengeführte Unternehmen sei der Lockdown existenzgefährdend. Da würden auch die stattlichen Hilfen nichts helfen, weil mit denen viele der real anfallenden Kosten nicht abgedeckt werden. „Unser Wellness-Hotel zum Beispiel kann man nicht einfach ein- und ausschalten wie einen Lichtschalter“, erläutert er. Auch wenn geschlossen sei, müsse Personal vor Ort sein, bestimmte Maschinen am Laufen bleiben, die wiederum kontrolliert werden müssen. „Wir haben über 100.000 Euro Lohnkosten, die nicht vom Kurzarbeitergeld abgedeckt werden.“

Es ist erschütternd zu sehen, dass die Bundespolitik noch immer auf pauschale Lockdowns verschiedener Intensitäten setzt, ohne Alternativen entwickelt zu haben.

Ein Umsatzaufschwung erwarte er sich nicht von dem Modellprojekt. „Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Nutzen“, sagt der Ritter. Der Umsatz stehe bei ihm für die kommenden vier Wochen aber auch nicht im Fokus. „Unsere mit diesem Modellversuch verbundene Erwartung lautet: Wer Infektionssicherheit bietet, darf öffnen. Eine hohe Aufenthaltssicherheit dank einer wissenschaftsbasierten Kombination von Schnelltests und einem stringenten Hygiene-, Infrastruktur- und Verhaltenskonzept ist als Alternative zu den pauschalen und undifferenzierten Lockdowns auf Basis des Einzelparameters ,Inzidenz’ zu verstehen.“ Diese einzelne Kennzahl könne aus seiner Sicht ohnehin nicht ausschlaggebend in der Öffnungsfrage sein.

Kempski ist sich sicher, dass sein Modellprojekt ein Erfolg sein wird. Immerhin gebe es seit dem Sommer so etwas wie einen Testlauf dafür: in der Mutter/Vater-Kind-Kurklinik Gut Holmecke im Sauerland, von der er Geschäftsführer ist. „Wir hatten dort in den vergangenen Monaten immer mal wieder Corona-Fälle – bei den Gästen wie beim Personal“, berichtet der Arzt. Er schließe auch nicht aus, dass es auch welche während des Hotel-Projekts geben könnte. „Aber dank unseres Konzepts haben wir die Fälle schnell erkannt, konnten die Infektionskette sofort durchbrechen und so ein weiteres Infektionsgeschehen verhindern.“ Genau so würde das auch für die Hotellerie funktionieren können.

Die Erkenntnisse, die er und sein Team in den kommenden vier Wochen gewinnen, wolle er seinen Branchen-Kollegen und der Politik zur Verfügung stellen. In der Hoffnung, dass er so zum Vorreiter werden und für die gesamte Branche in Deutschland Perspektiven aufzeigen kann.

Am Freitag, 16. April, checken die ersten Gäste im Rahmen des Modellversuchs im Naturresort Schindelbruch in Stolberg ein.
Am Freitag, 16. April, checken die ersten Gäste im Rahmen des Modellversuchs im Naturresort Schindelbruch in Stolberg ein.
Foto: ex animo MEDIA