Ballenstedt l Dramatisches Finale der morgendlichen Gassi-Runde: Als Conny Weinreich gegen 5.45 Uhr mit Hündin "Laila" wieder die heimatliche Wohnung am Ballenstedter Landgraben ansteuert, passiert es. "Plötzlich hetzten wie aus dem Nichts zwei Hunde auf uns zu und fielen über ,Laila' her", schildert die 51-Jährige. Conny Weinreich fällt einen kurzen Moment in Schockstarre, dann geht die Hundebesitzerin dazwischen, um ihre vergleichsweise kleine Hündin der Rasse Yorki Lhasa Abzu den beiden deutlich größeren Hunden zu entreißen.
Die Chancen, ihrer "Laila" zu helfen, sind allerdings gering. "Die Dogge hat wieder und wieder zugebissen und meine ,Laila' regelrecht über die Straße geschleift", berichtet die Besitzerin. Obendrein bezahlt sie den Versuch, "Laila" aus den Fängen der Dogge und des Jack Russels zu entreißen, teuer. Sie erleidet nach eigenen Worten an beiden Händen Bissverletzungen - "an der linken Hand ist der Ringfinger gebrochen", berichtet sie. Noch heute - auf den Tag genau zwei Wochen nach den dramatischen Augenblicken - seien die Verletzungen schmerzhaft und unübersehbar. Beide Finger sind dick verbunden.
Schließlich gelingt es Conny Weinreich im Morgengrauen jenes Pfingstsamstags, sich mit ihrem Liebling in die nahe Wohnung zu retten. "Dabei bin ich noch vom Jack Russel verfolgt worden." In der Wohnung reißt sie Sohn Oliver aus dem Schlaf. Der 21-Jährige ist Jugendwart bei der Feuerwehr und angehender Notfallsanitäter. Nach einem nächtlichen Löscheinsatz sei er zwar übernächtigt, aber schlagartig hellwach gewesen, erzählt er. "Meine Mutter stand, mit ,Laila' in den Händen, blutüberströmt vor mir."
Der 21-Jährige reagiert sofort und professionell. Er kontaktiert die Kollegen vom Rettungsdienst und alarmiert die Polizei. Die verletzte Mutter wird in die Notaufnahme des Quedlinburger Klinikums gebracht und soll - wie sie berichtet - eigentlich stationär aufgenommen werden. "Ich wollte aber unbedingt nach Hause zu meiner ,Laila'." Die Hündin wird zeitgleich zu Tierarzt Stephan Winkler gebracht, der alles versucht und gegen 6 Uhr eine Notoperation einleitet.
Die Verletzungen, so der Veterinär, seien heftig gewesen. Er berichtet von zweifacher Bauchdecken-Perforation und Verletzungen an einer Niere. Womöglich sei auch die Wirbelsäule tangiert gewesen. "Es war von vornherein klar, dass alles auf einen Versuch hinausläuft", so Stephan Winkler. Ein Versuch, der kein Happy End findet. In den Mittagsstunden ist "Laila" tot.
Derweil ist an diesem Morgen zumindest die Suche nach der Dogge und dem Jack Russel erfolgreich. Die beiden Tiere werden - nachdem sie weiter querfeldein durchs Ballenstedter Stadtgebiet gezogen sind - in der Gartenstraße lokalisiert. Dort gelingt es Polizeibeamten zusammen mit Rettern des Quedlinburger Tierheims, den Irrlauf zu beenden.
Parallel dazu hat sich in jenem Morgenstunden bereits herauskristallisiert, wem die beiden Hunde gehören: Einen Mann, der ganz in der Nähe von Wallstraße und Landgraben lebt. Ein Fakt, der später mithilfe der beiden Hunden implantierten Erkennungschips eindeutig bestätigt wird. Und auch recht schnell ist klar, wie es den beiden Tieren in der Nacht zum 19. Mai gelang, das Grundstück zu verlassen: sie wühlten sich unter einem Zaun hindurch.
Mit zwei Wochen Abstand werden peu à peu immer mehr Fakten rund um den Ausbruch bekannt. So haben beide Hunde in der Allee auch noch einen Schäferhund attackiert. Was Tierarzt Winkler gegenüber der Volksstimme bestätigt. "Bei mir wurde am selben Tag ein Schäferhund mit einer leichten Bissverletzungen am Oberschenkel vorgestellt", berichtet er. Dessen Verletzungen seien mittlerweile aber therapiert. Die "Täter": Laut Augenzeugen eine Dogge und ein Jack Russel.
Dass auch der Schäferhund Opfer seiner Tiere wurde, bestätigt Hundehalter Nico Liampas. "Der Fall mit dem Schäferhund ist aber schon erledigt", erklärt er. Das alles - insbesondere natürlich die Sache mit Frau Weinreich und ihrer Hündin - sei sehr traurig, betont der ortsansässige Gastronom. "Ich kann mir auch nicht erklären, wie das passieren konnte."
Klar sei für ihn mittlerweile jedoch, wie die Hunde das Grundstück verlassen konnten, sagt er. "Sie haben an drei verschiedenen Stellen am Zaun gebuddelt und sind so aufs Nachbargrundstück gelangt, wo eine Tür offenstand." Warum die Hunde mitten in der Nacht gegraben hätten, könne er sich nicht erklären - "normalerweise schlafen die". Womöglich hätten Wildtiere oder andere Hunde seine Tiere wild gemacht.
Was auch immer Ursache für den Ausbruch war - Nico Liampas muss sich auf unangenehme Fragen von Polizei und städtischem Ordnungsamt einstellen. "Wir ermitteln nach den Bissverletzungen der betroffenen Frau wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzungen gegen den Hundehalter", so Polizeisprecher Uwe Becker.
Im Rathaus reagiert Bürgermeister Michael Knoppik (CDU) am Freitag gleichsam geschockt wie überrascht: "Wir wissen davon noch gar nichts und können die betroffene Frau nur bitten, sich kurzfristig mit uns in Verbindung zu setzen, damit wir tätig werden können."
Die Perspektive sei - basierend auf dem jetzigen Kenntnisstand - klar: "Doggen und Jack Russel sind laut Gesetz keine gefährlichen Hunde, sondern Vorfallshunde." Komme es - wie jetzt - dazu, würden die Ordnungsbehörden tätig, sagt Knoppik. Konkret: "Der Halter muss nun mit einer Wesensprüfung seiner Hunde und mit Blick auf seine Person mit einer Sachkundeprüpfung rechnen." Bestehe er nur eine nicht, drohe der Entzug der Tiere.
Conny Weinhold hofft derweil, dass ihre Verletzungen ohne bleibende Schäden heilen - die Prognose: mindestens fünf Wochen Arbeitsausfall. Über ihren seelischen Schmerz mag sie nicht reden. Übrigens bewahrt nur der Umstand, dass beide Hunde lückenlos geimpft sind, die 51-Jährige vor aufwändigen Therapien wie beispielsweise einer Tollwut-Impfkur. So bleibt es bei der Gabe von Antibiotika.