Bürgermeister und Verwaltungen im Landkreis Börde laufen Sturm gegen Gesetzesänderung. Von Jens Kusian Kritik am KiFöG: Land entmündigt Kommunen
Das neue Kinderförderungsgesetz (KiFöG) für Sachsen-Anhalt soll heute vom Landtag beschlossen werden. Was die Regierungsparteien von CDU und SPD als gute Kompromisslösung ansehen, treibt Bürgermeister und Verwaltungen im Landkreis Börde auf die Barrikaden.
Haldensleben l Als "kommunalfeindliches Gesetz, das sich gegen die Kinder richtet", bezeichnet Haldenslebens Bürgermeister Norbert Eichler (CDU) das neue Kinderförderungsgesetz. Seine Amtskollegen aus dem Landkreis sind seiner Meinung. "Eine fehlende Transparenz beim Einsatz der Landesmittel für die Kinderbetreuung, wie sie den Kommunen vorgeworfen wird, kann doch wohl nicht der Grund sein für das KiFöG", wehrte sich Thomas Schmette (CDU), Bürgermeister der Verbandsgemeinde Elbe-Heide, gegen die Unterstellungen von Seiten der Landesregierung. Und auch die Verbandsgemeindebürgermeisterin der Westlichen Börde, Ines Becker (parteilos), findet deutliche Worte: "Die Basis wurde gar nicht gehört, nichts von unseren Vorschlägen mit eingearbeitet. Dass die Eltern tiefer in die Tasche greifen müssen, darauf wird es hinauslaufen."
Die Kritik der Bürgermeister fand in der Haldensleber Kulturfabrik am Dienstagabend prompte Abnehmer. Der Sozialausschuss des Haldensleber Stadtrats beschäftigte sich mit den Problemen, die den Mitarbeitern der Kindertagesstätte "Max und Moritz" auf den Nägeln brennen (s. Artikel unten) - und nutzte die Gelegenheit, öffentlich über das KiFöG zu diskutieren. Dazu waren auch die in der Börde gewählten Landtagsabgeordneten eingeladen worden.
Als vehemente Verteidigerin des KiFöG sah sich die SPD-Abgeordnete Rita Mittendorf allein auf weiter Flur. Unterstützung von ihrem CDU-Koalitionspartner im Landtag bekam sie nicht - Ralf Geisthardt fehlte. Gleich drei Abgeordnete bot Die Linke auf: mit Dagmar Zoschke und Monika Hohmann zwei Mitglieder des Sozialausschusses und mit Guido Henke einen Finanzexperten. Auch sie, so machten sie deutlich, sehen in dem KiFöG bei weitem nicht der Weisheit letzten Schluss.
"Wir geben 53 Millionen Euro mehr in die Kinderförderung als bisher, da kann man nicht von einem kinderfeindlichen Gesetz sprechen", steht Mittendorf hinter dem KiFöG. "Mehr wünschen können wir uns alle, aber mehr Geld ist nicht drin", erklärt sie. Und es gebe durchaus Gemeinden, die ihre Finanzen zur Kinderbetreuung nicht offengelegt hätten, betont sie. Doch ums Geld geht es ihrer Meinung nach nur sekundär. Wichtig sei der im KiFöG verankerte Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung - so, wie es im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD vereinbart wurde.
Doch eine Ganztagsbetreuung bedeutet für die Kita-Mitarbeiter mehr Arbeit, und schon jetzt reicht die Personaldecke vorn und hinten nicht. Schon gar nicht, wenn Kollegen krank werden oder Urlaub haben, wie Kita-Vertreter deutlich machen. Von der vom Land geforderten Umsetzung des Programms "Bildung elementar", die nur kleinen Gruppen von bis zu acht Kindern realisierbar ist, ganz zu schweigen.
Der Personalschlüssel werde mit dem neuen KiFöG zwar verbessert, doch nur marginal. "Ändern wird sich damit nichts", ist Stadt-Dezernent Henning Konrad Otto überzeugt. Schon jetzt sind die städtischen Einrichtungen personell an ihren Grenzen. "Mit dem derzeitigen Personal ist es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, die vom Gesetzgeber geforderten Aufgaben zu erfüllen", weiß er aus Erfahrung. Und zusätzliche Mitarbeiter müsste die Stadt aus ihrer eigenen Tasche finanzieren. "Das macht bei zehn zusätzlichen Kräften rund 300000 Euro im Jahr", rechnet der Dezernent vor. "Und die würden Sie noch nicht einmal bemerken", erklärt er in Richtung der zahlreichen Kita-Mitarbeiter, die die Diskussion verfolgten. "Aber die Stadt Haldensleben würde das auf Dauer überfordern."
Die zusätzlichen 53 Millionen Euro, mit denen das Land die Ganztagsbetreuung finanziell absichern will, werden laut Otto noch nicht einmal ausreichen, den dafür notwendigen Mehrbedarf an Arbeitszeit und Personal zu kompensieren. "Entweder die Kommunen schießen mehr Geld dazu oder es wird höhere Elternbeiträge geben", sieht er nur zwei Möglichkeiten.
Dass die Stadt Haldensleben beispielsweise offene Stellen im Kita-Bereich gar nicht besetzen kann, weil es an Bewerbern fehlt, "darüber brauchen wir uns mit den neuen KiFöG gar keine Gedanken zu machen. Wir bekommen damit ganz andere Probleme", spielt Otto auf den Rechtsanspruch der Ganztagsbetreuung an. Er ist der Meinung, dass Eltern, die zu Hause sind, ihre Kinder durchaus halbtags selbst betreuen könnten. "Wo ist denn da der Sinn, wenn wir eine Ganztagsbetreuung anbieten müssen, die qualitativ aber überhaupt nicht gewährleistet werden kann, weil die Voraussetzungen dafür fehlen?", fragte er provokant.
"Ich hätte mir gewünscht, dass der Personalschlüssel das Primat für das KiFöG ist und nicht der Ganztagsanspruch. Der Landtag macht hier ein Gesetz, das nicht kostenneutral ist, weil die Finanzierung nicht stimmt", sieht Eichler die Hauptbelastung bei den Kommunen. "Der Eine macht das Gesetz, und der Andere muss es bezahlen", so sein ärgerliches Resümee. "Und wir müssen es ausbaden", ergänzen die Kita-Vertreter.
Zudem sehen sich die Kommunen vom Land entmündigt, wie Eichler, der auch Präsident des Städte- und Gemeindebundes von Sachsen-Anhalt ist, deutlich macht. Denn mit dem KiFöG sind nicht mehr die Kommunen für die Verwaltung der Kindertagesstätten und Horte zuständig, sondern die Landkreise. Damit entscheidet nicht mehr der Träger direkt vor Ort über die Mittel, die vom Land kommen. "Auf uns kommt viel mehr Arbeit zu", befürchtet Iris Herzig, Fachbereichskoordinatorin für Soziales im Landkreis Börde, die dann für 187 Kindertagesstätten zuständig sein wird. Dass "jetzt die Aufgaben von unten nach oben" verteilt würden, kann sie nicht nachvollziehen. Genau das Gegenteil sei doch mit den Gebietsreformen in der Vergangenheit angestrebt worden, meint sie.
Das KiFöG wird heute wohl aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Mehrheit von CDU und SPD im Landtag beschlossen werden. "Wenn ich die Zukunft der Kinder an einem Haushaltsplan festmache, dann ist das eine Fehlinvestition, die uns später noch viel teurer zu stehen kommt", schließt Henke eine Zustimmung der Linken aus. Die Leistungsverpflichtung bei den Kommunen zu belassen und nicht an die Landkreise abgeben zu müssen, das zumindest wollen Bündnis 90/Die Grünen zu diesem Thema heute beantragen, versichert deren Landtagsabgeordnete Verena Wicke-Scheil.