Lebenswege Unfall mit Folgen

Dass er mal in der Behindertenhilfe arbeiten würde, hätte Steffen Billert nie gedacht. Inzwischen ist er glücklich über diese Entwicklung.

Von Sabine Scholz 13.01.2018, 08:00

Halberstadt l „Das ist genau mein Ding“, sagt Steffen Billert. Er habe seine Entscheidung keine Sekunde bereut. „Ich empfinde es hier oft nicht als Arbeit, denn meist gehe ich glücklich nach Hause. Die Leute hier geben einem so viel wieder.“

Steffen Billert ist Bufdi. Also Bundesfreiwilligendienstleister. Und seine Einsatzstelle ist das Cecilienstift Halberstadt, genauer, das Tagesförderzentrum. Hier werden zum einen Menschen betreut, die aufgrund ihrer Handicaps nicht in einer geschützten Werkstatt arbeiten können. Zum anderen treffen sich hier Senioren, die in den vergangenen Jahren in den Diakonie-Werkstätten gearbeitet haben und nun im Rentenalter nicht allein gelassen werden.

Dass er mal in der Behindertenhilfe tätig sein wird, hätte der 49-Jährige nicht gedacht. Geboren und aufgewachsen ist er in Aschersleben, hat mehrere Berufsabschlüsse in der Tasche. „Zu DDR-Zeiten habe ich bei der Bahn gearbeitet, war Stellwerksleiter und Fahrdienstleiter. Bis die Gleisbildstellwerke kamen. Mit der Wende bin ich in den Westen gegangen“, berichtet Billert. Da war er schon im Restaurantfach unterwegs, hatte in Wernigerode eine entsprechende Ausbildung absolviert. Ihn verschlug es nach Cloppenburg, wo er zunächst in der Gastronomie tätig war. „In der Gastro hab‘ ich viele Erfahrung im Umgang mit Menschen gesammelt“, sagt Billert, der ohnehin nicht kontaktscheu ist.

Doch in der Gastronomie ist der geschiedene Vater einer 19-jährigen Tochter nicht geblieben, er wechselte in die Landwirtschaft. Genauer in eine Putenfarm. „Die haben schlichtweg viel besser bezahlt.“

Dann geschah etwas, womit der Mann mit den freundlichen blauen Augen nie gerechnet hätte. Beim Impfen der Jungputen stolpert seine Kollegin so unglücklich gegen ihn, dass Steffen Billert sich die aufgezogene Spritze in den Daumen jagt. Vier Jahre ist das mittlerweile her, den Daumen kann er noch immer nicht richtig bewegen. „Kaputtoperiert“, sagt er lapidar. Doch damals war ihm nicht nach Achselzucken zumute. Wochenlang lag er im Krankenhaus, dann ging es in die Reha. Irgendwann war klar, in seine bisherigen Jobs kann er nicht mehr zurück. „Ich bin in ein richtig tiefes Loch gefallen“, erinnert sich Steffen Billert. Was sollte werden?

Ein Freund brachte ihn dann auf die Idee, sich als Bundesfreiwilliger zu verpflichten. Er schöpfte neuen Mut, horchte sich um und kehrte in die alte Heimat zurück. Denn im Cecilienstift sind Bufdis jederzeit willkommen. „Ich habe mich direkt auf den Einsatz hier im Cecilienstift beworben.“ Auf die Frage, warum, muss er kurz grinsen, dann sagt er: „Die haben einfach den besten Ruf.“ Sein Arbeitgeber ist die Diakonie Mitteldeutschland mit Sitz in Halle.

Die Wahl seines Einsatzortes sei goldrichtig gewesen. „Ich bin herzlich empfangen worden und habe hier nie das Gefühl gehabt, ,nur‘ der Bufdi zu sein. Ich kann meine Entscheidungen innerhalb meines Aufgabengebietes treffen, bin bei den Dienstberatungen dabei“, sagt Steffen Billert. Viele Seminare gehörten zu seinem Alltag, einige Angebote nutzte er von sich aus. „Ich lerne die Gebärdensprache, die kann ich auch in meinem Ehrenamt gut gebrauchen.“

Billert, der einer inzwischen gescheiterten Beziehung wegen nach Halberstadt gezogen ist, engagiert sich ehrenamtlich im Diakonieladen „mittendrin“. Regelmäßig ist er gemeinsam mit einem Mitarbeiter der Werkstätten im Laden am Fischmarkt tätig. Dass hier auch Menschen mit Behinderungen ihren Dienst tun, findet er sehr gut. „Es sind einfach tolle Menschen und wir sind wirklich ein Team, lernen voneinander. Und auch die Kunden sind angetan, denn wie bestimmte Produkte entstehen, können die Mitarbeiter viel besser erklären als ich.“

Mitte Februar endet seine Zeit als Bufdi. „Das ist auch ganz gut so, es wird Zeit für den nächsten Schritt“, sagt Steffen Billert. Der wird, so sieht es zumindest aus, ihn auf einen Arbeitsplatz im Cecilienstift führen – weiter in der Betreuung von Menschen mit Handicaps.

Von seinen anfänglichen Bedenken ist nichts geblieben. „Klar, die ersten ein, zwei Tage bin ich mit einem mulmigen Gefühl hergekommen. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Auch wenn ich ja aus meiner Zeit in der Gastronomie gewöhnt war, mit Menschen zu arbeiten.“ Aber der herzliche Empfang erleichterte die erste Zeit, inzwischen bereitet er nicht nur das Frühstück im Tagesförderzentrum zu oder hilft bei der Mittagsversorgung. „Am liebsten unterhalte ich mich hier mit meinen Leuten, begleite sie im Alltag. Ich spüre, das tut ihnen gut. Und auch mir. Wie gesagt, das ist genau mein Ding.“