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Aktionstag Mit dem Rollstuhl durch die Stadt

Ist Halberstadt barrierefrei? Dieser Frage sind vier Lokalpolitiker bei einem Rollstuhl-Experiment auf den Grund gegangen.

Von Sandra Reulecke 16.09.2016, 01:01

Halberstadt l Ohne Hilfe ist es nicht möglich, an die Dosen im Regal des Supermarkts zu gelangen. Die Überquerung der Straße wird zum gefährlichen Abenteuer – weil die Kante des Bordsteins viel zu hoch ist. Und Türen, die sich nicht automatisch öffnen, sind schier nicht aufzubekommen. Wer im Rollstuhl sitzt, kämpft tagtäglich mit solchen Problemen. Für Gehende sind sie dagegen fast unsichtbar.

Am heutigen Freitag, dem 7. Aktionstag für Barrierefreiheit in Halberstadt, soll das geändert werden. Ausrichter ist dieses Mal die Diakonie Werkstätten Halberstadt gGmbH. Um 11 Uhr berichten Lokalpolitiker auf dem Fischmarkt von ihren Erfahrungen als Rollstuhlfahrer in der Domstadt. Um diese zu sammeln, haben Hans-Jürgen Scholz (Linke), Michael Kröber (SPD), Kristine Paul (Grüne) und Daniel Szarata (CDU) an einem Experiment teilgenommen. Jeder von ihnen hat unterschiedliche Alltagssituationen im Rollstuhl zu bewältigen gehabt.

Die Strecken hat Kerstin Römer ausgearbeitet. Sie ist nicht nur Mitglied im hiesigen Rolli-Club, sondern setzt sich seit vielen Jahren in unterschiedlichen Gremien dafür ein, dass Halberstadt barrierefreier wird.

Kerstin Römer hat die Rollstuhl-Neulinge auf ihren Touren begleitet, um ihnen Tipps zu geben, und wird bei der Diskussionsrunde auf dem Fischmarkt dabei sein, berichtet Carolin Reinitz, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Cecilienstifts.

Ihre Kollegin Heike Meier – Assistentin der Bereichsleitung Behindertenhilfe – leitete das Rollstuhl-Projekt. „Wir haben die Hoffnung, dass das Thema durch die Politiker mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt und im Stadtrat zum Thema wird“, sagt sie. „Vielleicht können so schnell Änderungen herbeigeführt werden.“

Die Mitarbeiterin des Cecilienstifts betont, dass es in Halberstadt bereits viele Initiativen und bauliche Veränderungen für mehr Barrierefreiheit gegeben habe – aber längst nicht ausreichend. So können fehlende Geländer an Rampen zur echten Gefahrenquelle werden. „So lange man nicht selbst betroffen ist, fällt es einem gar nicht auf“, sagt Heike Meier. „Meistens scheitert es aber an Kleinigkeiten.“ Zum Beispiel an Klingeln, die Rollstuhlfahrer nutzen sollen – die jedoch zu hoch für sie angebracht sind, oder an Hinweisschildern für rollstuhlgerechte Toiletten, die außerhalb des Sichtfelds von Betroffenen befestigt wurden – und einige der WCs werden als Abstellraum genutzt, ein zusätzliches Ärgernis für die Betroffenen.

„Es wurde offensichtlich, dass Rollstuhlfahrer in vielen Situationen auf fremde Hilfe angewiesen sind“, resümiert Heike Meier. „Das hat dann nicht mehr viel mit Eigenständigkeit zu tun“, ergänzt Carolin Reinitz.

Die junge Mutter kann die Ergebnisse des Experiments aus eigener Erfahrung bestätigen. „Viele Schwierigkeiten wie enge Gänge und hohe Bordsteine betreffen auch Leute, die mit einem Kinderwagen unterwegs sind.“

Das sehen auch die Ausrichter des heutigen Aktionstages so. „Viele Lösungen, die für Barrierefreiheit entwickelt werden, können nicht nur Menschen mit Behinderung zugute kommen. Barrierefreiheit ist ein Querschnittsthema“, heißt es in der Einladung.

Der Tag unter dem Motto „Barrierefreiheit – eine Chance für alle“ startet um 9.50 Uhr auf dem Fischmarkt mit Trommelklängen der Musiker der Diakonie-Werkstätten. Ab 10 Uhr stellen Sozialverbände, Behinderteneinrichtungen, Pflegezentren, Selbsthilfegruppen und Aktionsbündnisse ihre Angebote an Info-Ständen vor, zeitgleich hält Oberbürgermeister Andreas Henke (Linke) die Eröffnungsrede. Anschließend singt der Chor der Reinhard-Lakomy-Schule. Sozialministerin Petra Grimm-Benne spricht um 12 Uhr ein Grußwort, um 12.30 Uhr wird Zumba geboten. Eine Gebärdendolmetscherin wird das Programm des Aktionstages übersetzen.

Ab 13 Uhr übernehmen die Akteure der Interkulturellen Woche den Veranstaltungsort für ihren Markt der Kulturen.