Mutter erhebt Vorwürfe: Neunjährige Schülerin wurde verletzt und Pädagogen haben weggesehen / Polizei ermittelt Nach Schulschlägerei drei Tage in Klinik
An einer Halberstädter Grundschule hat es offenbar eine schwere Prügelei gegeben. Die Mutter des Opfers erhebt schwere Vorwürfe gegen andere Schüler, insbesondere aber gegen Pädagogen, die weggeschaut haben sollen. Das Kultusministerium prüft die Umstände, die Polizei ermittelt. Sicher ist nur: Der Tag endete für die Drittklässlerin im Krankenhaus.
Halberstadt l Ein verbaler Schlagabtausch zwischen Kindern. Eine Rangelei unter Schülern. Das Kräftemessen unter Gleichaltrigen. Hat es immer schon gegeben, wird auch künftig an der Tagesordnung sein. In der Freiherr-von-Spiegel-Grundschule in Halberstadt scheint es vor wenigen Tagen aber einen Fall besonders krasser Schlägerei gegeben zu haben. Und das Aufsichtspersonal soll, so der Vorwurf, trotz Hilferufe weggeschaut haben.
Das Opfer war nach Darstellung der Mutter ein neujähriges Mädchen aus einer dritten Klasse. Es soll von sechs bis sieben Jungen verprügelt worden sein. Was genau passiert ist, ist bislang nicht abschließend geklärt. Sicher ist aber: Als das Mädchen an jenem Dienstag gegen 17 Uhr aus dem Hort abgeholt wird, geht es nicht nach Hause, sondern direkt in die Notaufnahme des Ameos-Klinikums. Dort wird das Kind anschließend drei Tage stationär behandelt. Mittlerweile ist der Vorgang ein Fall für Polizei und Justiz. Die Ermittlungen laufen.
Rückblende: Es ist Dienstag, der 15. Januar. Drittklässlerin Anna besucht wie an jedem Tag ebenso wie ihre ein Jahr jüngere Schwester Beate die Spiegel-Grundschule. Der richtige Name der Drittklässlerin ist der Volksstimme ebenso bekannt wie der weiterer beteiligter Personen. Aus Gründen des Schutzes der Familie sowie der noch laufenden Ermittlungen, wird jedoch auf das Nennen jeglicher Namen verzichtet.
An diesem Dienstag steht für Drittklässlerin Anna unter anderem Englisch auf dem Stundenplan. Anschließend geht es kurz nach 11 Uhr in die große Hofpause. Offenbar hat es bereits kurz zuvor einen Disput zwischen Anna und einem Mitschüler gegeben. Jener Junge soll nun nach Annas Darstellung in der Hofpause auf das Mädchen losgegangen sein.
Und nicht nur er: "Insgesamt waren es sieben Jungen", schildert die Drittklässlerin die Abläufe. Sie sei gegen die Schulwand und gegen den Zaun gestoßen worden. Die Jungen hätten ihr Schal und Handschuhe weggenommen, sie gewürgt, an den Haaren gezogen, ins Gesicht geschlagen und obendrein - als sie schon am Boden lag - auf brutale Weise getreten. "Ich habe geschrien, um Hilfe gerufen und gehofft, dass mir die Erwachsenen, die aufgepasst haben, helfen", erzählt das Mädchen. Mehr noch: Sie habe versucht, sich als Schutz vor den Jungen hinter einer Frau zu verstecken. Erfolglos.
"Ich habe geschrien, um Hilfe gerufen und gehofft, dass mir die Erwachsenen helfen."
Betroffene Grundschülerin
Schwester Beate bestätigt dies. "Ich habe auch geweint und bin dann mit meiner Freundin ins Sekretariat gelaufen, um Hilfe zu holen." Doch auch dort habe sie nicht die Unterstützung bekommen, die sie sich erhofft hatte. Die Schulleiterin habe ihr lediglich gesagt, dass es auf dem Hof Aufsichtspersonal gebe, das verantwortlich sei.
Das Fazit nach der Schlägerei: Nicht nur Anna ist verletzt, auch eine Freundin, die nach Schilderung des Mädchen beherzt dazwischen gegangen ist, um ihr zu helfen, hat einiges abbekommen.
"Die Aufsichtspersonen und die Schulleiterin können die Schlägerei nicht bestätigen."
Martin Hanusch, Kultusministerium
An der Tatsache, dass der Schulbetrieb für das Mädchen anschließend weitergeht, als sei nichts geschehen, ändert das freilich nichts. Anna hat jetzt Sport. Sie rettet sich mit der Notlüge, das Sportzeug vergessen zu haben, auf die Zuschauerbank und verhindert so womöglich Folgeverletzungen. Dass das Mädchen augenscheinlich schwer zugerichtet und verweint ist, scheint niemanden der Pädagogen zu registrieren.
Erst später - im Matheunterricht - sei die Lehrerin auf sie zugegangen und habe sich erkundigt, was denn passiert sei. Anna berichtet ihr von den schrecklichen Momenten in der Hofpause. Die Mathelehrerin habe daraufhin einen Jungen aus ihrer Klasse, der an der Prügelei wohl beteiligt war, zur Rede gestellt. Die Entschuldigung, die der Junge im Beisein seiner Klassenlehrerin herausgebracht habe, "konnte ich aber nicht annehmen", sagt Anna.
Als die Mutter gegen 17 Uhr Anna und Beate vom Hort abholen will, erkennt sie sofort, dass etwas nicht stimmt. "Die Kleine hat geweint und die Große ist mit geschwollenem Gesicht auf mich zugekommen", sagt die Mutter. Beate habe ihr dann geschildert, was vorgefallen sei.
Die Mutter zögert keine Minute. Sie sucht sofort die Kinderklinik im Ameos-Klinikum auf und wird in die Notaufnahme gebracht. "Dort hat sich eine Ärztin intensiv um Anna gekümmert und sie genau untersucht", erzählt die Tage später noch immer sichtlich schockierte Mutter. Anna hat unter anderem eine blutende Kopfverletzung erlitten, außerdem sind ihr Haare herausgerissen worden. Sie wird geröntgt und per Ultraschall untersucht. Es ist längst Dienstagabend, als die Ärzte entscheiden, Anna vorsorglich stationär im Krankenhaus aufzunehmen. Drei Tage, bis zum Freitag, dem 18. Januar, liegt Anna nach der Prügelei in der Klinik.
Die genauen Folgen jenes Raufhändels finden sich im Arztbrief: Anna erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades, Prellungen der Brustwirbelsäule und ein stumpfes Bauchtrauma. Weil sich während ihres Klinikaufenthaltes auch noch heftige Kopfschmerzen einstellten, erfolgte vorsorglich eine Computer-Tomografie.
Gehirnerschütterung und weitere Verletzungen plus Klinikaufenthalt nach einer Prügelei unter Grundschülern - an etwas ähnliches könne er sich nicht erinnern, sagt der Chefarzt der Unfallchirurgie im Ameos-Klinikum, Dr. Rüdiger Birr. "Das Mädchen hat uns berichtet, dass ihr die Verletzungen gegen 12 Uhr in der Schule zugefügt wurden. Bei uns in der Notaufnahme ist es um 17.48 Uhr vorgestellt worden." Und die Schwere der Verletzungen? Als Notfallmediziner sei er ja einiges gewohnt - "das Kind war alles in allem schon ziemlich erheblich beeinträchtigt", so Chefarzt Birr.
In der Freiherr-von-Spiegel-Grundschule indes gibt man sich verschlossen. Die Schulleiterin verweist auf das Kultusministerium. Dort heißt es, dass es verschiedene Sichtweise zu den Vorfällen gebe. Da die Mutter zwischenzeitlich die Schüler sowie die auf dem Schulhof anwesenden Erwachsenen angezeigt habe, werde man sich nicht im Detail äußern, so Martin Hanusch. Nur soviel: "Die drei aufsichtsführenden Personen und die Schulleiterin können die Schlägerei in der zweiten Hofpause zwischen 11.10 Uhr und 11.35 Uhr auf dem Schulhof jedenfalls nicht bestätigen." Und: Laut Horterzieherin sei das Mädchen nach dem Hortbesuch "ohne gesundheitliche Einschränkungen der Mutter übergeben" worden. Die Ermittlungen müssten abgewartet werden, so Hanusch.
"Das Kind war alles in allem schon ziemlich erheblich beeinträchtigt."
Dr. Rüdiger Birr, Chefarzt der Unfallchirurgie im Ameos-Klinikum
In der Tat liegt der Fall längst im Polizeirevier auf dem Tisch, bestätigt Sprecher Uwe Becker. Die Mutter habe am Tag nach der Schlägerei die Jungen wegen gefährlicher Körperverletzung ebenso angezeigt wie jene drei Aufsichtspersonen wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. "Wir ermitteln und können uns zu Details nicht äußern", sagt der Polizeihauptkommissar. "Nach allen bisherigen Erkenntnissen gibt es für uns jedoch keinerlei Anhaltspunkte, die an der Darstellung der Mutter Zweifel aufkommen lassen", stellt Becker erst am Montag noch einmal klar.
Die Mutter selbst ist derweil einfach nur noch schockiert von dem Vorfall und den Konsequenzen und Reaktionen. So habe es zwei Tage nach dem Vorfall eine Aussprache mit Schulleiterin und Pädagogen in der Schule gegeben. "Statt einer Erklärung, entschuldigenden Worten oder Angeboten zur Hilfe habe ich mich eher verhöhnt gefühlt", sagt die Mutter. Allein jene Mathelehrerin, die Anna bereits im Unterricht geholfen hatte, habe sich ihr gegenüber schockiert und auch reumütig gezeigt. Eine andere Pädagogin, gegen die Vorwürfe im Raum stünden, habe hingegen mit einer Gegenanzeige gedroht.
Die Mutter der beiden Mädchen hat inzwischen jegliches Vertrauen in diese Schule und deren Pädagogen verloren. "Nicht nur wegen der schroffen Haltung mir und meinen Kindern gegenüber. Ich glaube, dass hier etwas unter den Teppich gekehrt werden soll." Sie selbst habe keinerlei Zweifel an der Darstellung ihrer Töchter. "Zwei Klassenkameraden waren später bei uns zum Krankenbesuch und haben das alles so bestätigt."
Mittlerweile haben Anna und Beate die Schule gewechselt. Ihre Mutter hofft, dass die beiden an ihrer neuen Schule gut aufgenommen werden und das Umfeld vor allem eines ist: weniger brutal.