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Oldtimertreffen Das Wohnzimmer wird angekuppelt

Hobby und mobiles Zuhause. Werner Brusch legt 220 Kilometer mit seinem Traktor zurück. Sein Ziel ist Osterwieck.

Von Gerald Eggert 09.06.2016, 23:01

Osterwieck l „Als Treckerfahrer muss man schon ein wenig verrückt sei, sonst hat man keinen Spaß“, gesteht Werner Brusch. Der Niedersachse muss es wissen, denn er sitzt seit Jahren regelmäßig am Steuer seines 40 PS starken, luftgekühlten Eicher-Traktors EM 300 und tuckert mit dem 50 Jahre alten „Königstiger“ gern zu Treffen mit Gleichgesinnten.

Einziger Begleiter auf den meist langen Touren ist ein Plüsch-Gorilla. „Der ist ein toller Beifahrer, weil er nicht redet“, sagt er und schmunzelt. Diesmal machte sich der 73-Jährige mit dem Stoff-Affen zum 15. Oldtimertreffen in der Fallsteinstadt, zu dem die Interessengemeinschaft historischer Fahrzeuge Osterwieck eingeladen hatte, auf.

Gestartet in seinem zwischen Hamburg und Bremen gelegenen Heimatort Sittensen bei Rotenburg, legte der Rentner 220 Kilometer zurück.„Neun Stunden war ich unterwegs“, sagt er und verweist darauf, dass er sich Zeit lassen und deshalb die Fahrt genießen kann.

Sehen und gesehen werden. Oft winken ihm die Leute vom Straßenrand oder aus dem Fenster zu. Und bei so manchem Halt kommen sie mit ihm ins Plaudern. Besonders Neugierige möchten aber nicht nur etwas über seinen Trecker erfahren, sondern gern in den angekuppelten kleinen Wohnwagen schauen.

„Das ist mein Wohnzimmer. Ich habe es immer dabei“, sagt er in Osterwieck. Den Hamburger Straßenbauwagen Baujahr 1956 habe er vor einigen Jahren entdeckt, für „Kleingeld“ erworben und für seine Zwecke hergerichtet. Auf wenigen Quadratmetern wurden Küche und Schlafzimmer vereint.

„Ich habe alles dabei, was ich unterwegs benötige, und bin damit total unabhängig. Strom liefert die Batterie, Wasser ist immer genug im Kanister, gekocht wird mit Gas und ein kleiner Kühlschrank sorgt unter anderem für erfrischende Getränke. Wenn ich mich schlafen lege, wird mit wenigen Handgriffen umgebaut. Der pure Luxus“, berichtet der Niedersachse mit einem Augenzwinkern.

Auch beim Osterwiecker Treffen macht Werner Brusch es sich für die Nacht gemütlich. „Gestern habe ich an der ehemaligen Grenze bei Mattierzoll angehalten und mich direkt neben dem alten Wachturm für die Nacht eingerichtet. Das war schon ein besonderes Erlebnis.“ Am Sonntagfrüh tuckerte er weiter und sicherte sich nach pünktlicher Ankunft einen guten Platz auf dem Hof der ehemaligen Druckerei in Osterwieck.

Nach und nach gesellen sich zu seinem „Königstiger“ nicht nur jede Menge Traktoren anderer Fabrikate und Jahrgänge, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher historischer Fahrzeuge. „Ich bin total begeistert. Die Fahrt hierher hat sich gelohnt“, sagt er erstaunt über die Größe und Vielfalt der ausgestellten, zumeist liebevoll restaurierten, Zwei- und Vierräder, freut sich über das enorme Besucherinteresse und lobt die Veranstalter.

Werner Brusch weiß, wovon er redet. Denn er hat Erfahrung mit solchen Treffen. Seine längste Tour führte ihn nach Österreich zur Trecker-Weltmeisterschaft am Großglockner. „Es ist ein Traktor-Familientreffen, zu dem Hunderte Fahrer historischer Trecker aus mehreren Nationen tuckern. Jeweils fünf Tage habe ich für die Hin- und Rückfahrt benötigt. Sechs Tage war ich vor Ort. Höhepunkt unter den zahlreichen Veranstaltungen ist die WM-Fahrt, bei der die steil verlaufende Großglockner-Hochalpenstraße ganz den betagten Arbeitsgeräten vorbehalten ist. Ziel ist das Fuschertörl auf fast 2500 Meter Höhe. Bei diesem Spektakel muss man dabei gewesen sein.“ Brusch war es bereits dreimal.

Osterwieck ist für ihn dagegen eine Premiere. Am Sonntagnachmittag verabschiedet er sich nach einem erlebnisreichen Wochenende und fährt über Braunschweig und Celle gen Norden. Unterwegs nutzt er sein „rollendes Wohnzimmer“ für die Nachtruhe und kommt am Montag um 11 Uhr wieder im Heimatort an.

Der begeisterte Treckerfahrer gehört übrigens den Oldtimer-Freunden Wistedt an, die sich im November 1995 gegründet haben. Die 35 Mitglieder verfügen über einen Bestand von mehr als 50 Fahrzeugen. Ihr oberstes Gebot ist die Pflege und Erhaltung des historischen Kulturgutes Oldtimer.

Sie kommen bei monatlichen geselligen Klönabenden zusammen, unternehmen Ausfahrten und besuchen Treffen. Und scheuen dabei auch Fahrten mit Trecker und Wohnwagen zum Großglockner und Stilfser Joch nicht.