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Team der Schwanebecker Fleischerei Bendler begeht heute Doppel-Jubiläum / 1986 gelang Otto Bendler der Sprung in die Selbstständigkeit: Otto III. ist Fleischer mit Leib und Seele

Von Dennis Lotzmann 01.10.2011, 06:24

In der Schwanebecker "Fleischerei Bendler" wird heute ein Doppeljubiläum gefeiert: Auf den Tag genau vor 25 Jahren gelang Inhaber Otto Bendler Mitte der 1980-er Jahre und damit noch zu DDR-Zeiten der Sprung in die wirtschaftliche Selbstständigkeit. Seit nunmehr zehn Jahren produziert das Unternehmen im jetzigen Firmenstandort am Friedensplatz. Dort wird heute Abend ein Oktoberfest gefeiert.

Schwanebeck/Nienhagen. Nein, Otto Bendler lässt in dieser Hinsicht nicht die Spur eines Zweifels aufkommen - der Schwanebecker ist genau das, was man gemeinhin als Handwerker mit Leib und Seele bezeichnet. Und so wird jeder Satz des 58-Jährigen zur Bestätigung der eigenen Lebensphilosophie und gipfelt schließlich in eine glasklare Feststellung: "Ich wollte das immer werden - von kleinauf."

Jenes "das" steht dabei für das Fleischer-Handwerk, das Otto Klaus Richard Bendler mittlerweile in der dritten Generation ausübt. Als "Otto der Dritte", wie er scherzhaft und mit Blick auf die Geschichte des Familienbetriebs hinzufügt. Und die ist es allemal wert, etwas genauer betrachtet zu werden. Schließlich gelang jenem "Otto III." im Jahr 1986 das Kunststück, den staatlichen Stellen den Schritt (zurück) in die Selbstständigkeit abzutrotzen. Und damit stieg Otto Bendler geradewegs in die Fußstapfen seines Großvaters.

"Ich wollte immer Fleischer werden - von kleinauf"

Jener Otto Bendler Senior - in der Familie "Otto der Erste" genannt - gründete die "Fleischerei Bendler" im Jahr 1924 in Hötensleben. Zum 1. Oktober 1935 zog er mit seiner Familie nach Schwanebeck, wo das Grundstück in der Büblinger Straße 19 zum neuen Firmensitz wurde.

Im Jahr 1945 starb Otto Bendler Senior. Seine Frau Anna trat das Erbe an und führte die Fleischerei mit ihrem damals erst 16-jährigen Sohn Otto Friedrich weiter. Auch er hatte jenes "Fleischermeister-Gen" vom Vater vererbt bekommen. Für ihn - Sohn Otto Klaus Richard Bendler nennt seinen Vater Otto Friedrich kurzerhand "Otto den Zweiten" - stand von Anfang an fest, dass er nach seiner Lehre die Fleischerei des Vaters übernehmen würde.

1954 war es soweit: Otto Friedrich Bendler setzte gemeinsam mit seiner Frau Lotti die Tradition fort und übernahm das Geschäft. Die wirtschaftliche und unternehmerische Freiheit der zweiten Unternehmer-Generation währte allerdings nicht lange: "1958 musste sich mein Vater ebenso wie alle anderen Fleischer in der Region seinem Schicksal fügen und in die PGH Harzland eintreten", berichtet der jetzige Firmenchef.

Die Konsequenz dieser realsozialistischen Entmachtung liest sich geradezu skurril: Die staatliche Handelsorganisation "HO" übernahm im Ladengeschäft, das weiter im Eigentum der Familie Bendler war, das Zepter, und Otto Friedrich Bendler wurde im eigenen Geschäft angestellter Beschäftigter der HO.

Eine Konstellation, in die der 1952 geborene Spross "Otto der Dritte" quasi hineinwuchs. Er wurde mit der Fleischerei und den Realitäten in den 1960-er Jahren groß. "Schon damals kam nicht nur der Wunsch auf, eines Tages selbst in der Fleischerei zu arbeiten, sondern dies auch selbstständig zu tun", erinnert sich der heutige Unternehmer.

"1958 musste mein Vater in die PGH Harzland eintreten"

Ein Ansinnen, das mit Blick auf die einstigen Realitäten geradezu utopisch war und dessen Erfüllung noch zwei Jahrzehnte auf sich warten lassen sollte. Gleichwohl kämpfte "Otto III." für seine Ziele: Von 1969 bis 1971 lernte er im Volkseigenen Betrieb Halberstädter Fleisch- und Wurstwaren den Beruf von der Pike auf. Danach folgte bis 1975 ein Fachschulstudium zum Ingenieur für Fleischwirtschaft.

Fachliche Grundlagen, die bei Otto Klaus Richard Bendler nach der Rückkehr vom Grundwehrdienst und dem Tod des Vaters den Wunsch nach wirtschaftlicher Selbstständigkeit aufkommen ließen. "Ich wollte 1977 auf keinen Fall zurück in den staatlichen Handel", erinnert sich Bendler.

Allerdings war sein Wunsch damals eben alles andere als realistisch. Im Gegenteil: In einem Jahrzehnt, in dem noch einmal viele Handwerker auf Druck von oben ihre Selbstständigkeit aufgeben mussten, bekam auch der Schwanebecker eine vergleichsweise schroffe Abfuhr.

Bendler fügte sich zunächst seinem Schicksal und arbeitete als angestellter Fleischer in der HO-Filiale. Zugleich aber sammelte er Fakten und Zeitungsausschnitte, um irgendwann einen zweiten Anlauf zu wagen. Schließlich gab es damals durchaus selbstständige Fleischer, wie den Medien zu entnehmen war. Nur eben nicht im Halberstädter Raum.

Tatsächlich habe es in dieser Frage durchaus Unterschiede zwischen den einzelnen DDR-Bezirken gegeben, wusste Bendler recht schnell. "Während bei uns im Bezirk Magdeburg und insbesondere in Halberstadt keine Chance bestand, sah es im Raum Quedlinburg und damit im DDR-Bezirk Halle schon ganz anders aus", hatte er recherchiert.

Gleichwohl scheiterte 1985 auch sein zweiter Anlauf, der staatlich gelenkten Planwirtschaft zu entfliehen. Diesmal aber hatte der 33-jährige Fleischer die besseren Karten: "Ich war fest entschlossen, eine Fleischerei in Thale zu übernehmen und wollte dorthin wechseln. " Die daraus resultierende Gefahr vor Augen, die funktionierende Versorgung der Bevölkerung in Schwanebeck zu riskieren, versetzte plötzlich Berge: Auf einmal, erinnert sich Bendler, sei alles ganz schnell gegangen. "Ich wurde noch einmal nach Halberstadt einbestellt und bekam überraschend grünes Licht für den lange ersehnten Schritt."

Nach umfangreichen Umbauarbeiten war es am 1. Oktober 1986 soweit: Otto Klaus Richard Bendler eröffnete - auf den Tag genau 51 Jahre nach seinem Großvater Otto Bendler - das Familiengeschäft in der Büblinger Straße "neu". Endlich am Ziel angekommen, verschwand damals auch ein letztes Erbe des Großvaters vom Haus, erinnert sich Bendler heute augenzwinkernd: "Obwohl seit 1958 die HO dort das Sagen hatte, prangte über dem Laden noch das Holzschild von Rind- und Schweineschlachter Otto Bendler."

Seither ist viel Zeit ins Land gegangen, hat Fleischer Bendler so ziemlich alle Facetten der unternehmerischen Selbstständigkeit durchlebt. Erfolgreiche Jahre, aber auch bange Momente und natürlich der ständige Kampf gegen Billigangebote. Trotz aller Klippen, die es zu umschiffen galt, hat "Otto III." mit seinem heute 25-köpfigen Team ein viertel Jahrhundert mit stürmischen Umwälzungen überstanden. Mehr noch: Das Unternehmen ist Schritt für Schritt gewachsen, so dass irgendwann in den 1990-er Jahren der Platz im angestammten Firmendomizil zu knapp wurde.

Bei der Suche nach einer Alternative hatte Otto Bendler schließlich irgendwann die zündende Idee: Er kaufte die leerstehende frühere Kaufhalle am Friedensplatz und baute sie zum universellen Firmenstandort mit Laden, Schulküche sowie Betrieb und Bewirtungsbereich um. Fast 500 000 Euro habe er noch einmal investiert, um schließlich - und wieder an einem 1. Oktober - einen neuen Schritt nach vorn zu unternehmen: Heute auf den Tag genau vor zehn Jahren startete er zusammen mit seiner Frau Petra und den Mitarbeitern am Friedensplatz.

In den vergangenen Jahren expandierte Bendler weiter. Heute gibt es neben dem Stammsitz auch Filialen in Halberstadt und Emersleben sowie ein rollendes Ladengeschäft. Hinzu kommen der Partyservice und Essen auf Rädern. Obendrein gewann der Unternehmer mit dem Wechsel zum Friedensplatz in der Büblinger Straße genügend Platz, um dort eine EU-zertifizierte Schlachterei einzurichten.

"Ich war fest entschlossen nach Thale zu gehen"

"Insofern schließt sich der Kreis - unsere Schweine stammen aus Derenburg und wir haben kurze und regionale Kreisläufe, auf die wir Wert legen", erklärt Bendler, der durchaus auch als "Hansdampf in allen Gassen" bezeichnet werden kann: Ehrenamtlich engagiert sich der 58-Jährige auch als Innungsobermeister im Bördekreis, ist Mitbegründer des Schwanebecker Erntedankfestes und singt zudem seit 37 Jahren im Männerchor Schwanebeck, wo er seit einem Jahr auch den Vorsitz innehat.

Und - wie fällt die persönliche Bilanz aus nach gut vier Jahrzehnten? "Es waren harte, aber auch schöne Jahre mit Höhen und Tiefen und sehr viel Arbeit", bringt es Bendler auf den Punkt. Noch immer sei er täglich von 4.30 Uhr bis 19 Uhr auf den Beinen. Neben dem regulären Geschäft gelte es zahlreiche Volksfeste und Veranstaltungen zu begleiten. Bereut habe er seinen Schritt indes nie: "Auch wenn es zuweilen recht hart war - ich bin mit Leib und Seele Fleischer."

"Es waren harte, aber auch schöne Jahre"

Natürlich hätte er es auch ruhiger angehen können, habe er einst doch auch das Angebot gehabt, als Lehrausbilder zu arbeiten. Damals hätten die Familientradition und die unvermeidliche Mitgliedschaft in der SED dagegen gesprochen. Heute kennt Bendler einen dritten Fakt, der für seinen Lebensweg spricht: Jenen Lehrbetrieb gibt es seit 20 Jahren nicht mehr. Gleichwohl aber hat sich der Innungsobermeister zugunsten des Berufsnachwuchses engagiert: "30 Lehrlinge lernten bei ihm bislang das berufliche A und O."

Allesamt gute Gründe, heute Abend zusammen mit den Schwanebeckern sowie Kunden und Geschäftspartnern in der Region zu feiern. Ab 19 Uhr geht es im Festzelt am Friedensplatz ausgelassen zur Sache - mit Disco, Tombola, Überraschungen und natürlich allerlei kulinarischen Offerten. Und vielleicht geht eines Tages noch ein Traum von Otto Bendler in Erfüllung. Die Hoffnung, dass die Kinder einmal die Familientradition in der vierten Generation fortführen.