1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halberstadt
  6. >
  7. Katerstimmung bei Harzer Verkehrsbetrieben

Probleme Katerstimmung bei Harzer Verkehrsbetrieben

Wie prekär ist die wirtschaftliche Situation der Harzer Verkehrsbetriebe (HVB)? Der Landkreis Harz will eine Insolvenz verhindern.

Von Dennis Lotzmann 17.07.2019, 15:00

Halberstadt l Insolvenzgefahr bei den Harzer Verkehrsbetrieben? Die Spekulationen um eine drohende Zahlungsunfähigkeit bei der HVB sorgen für Debatten. Insbesondere mit Blick auf die Konstellation – der Landkreis hält mit 74 Prozent Gesellschafteranteilen den Löwenanteil – stellen sich viele Fragen: Ist die Situation wirklich so besorgniserregend? Können die Verkehrsbetriebe überhaupt in Insolvenz geraten oder sind die Gesellschafter – neben dem Kreis auch die Städte Wernigerode (21 Prozent) und die Stadt Blankenburg (fünf Prozent) – in der Pflicht, Defizite auszugleichen? Eines ist in jedem Fall Fakt: Der Dampfer HVB ist schwer im Trudeln, die Gründe dafür sind nach Recherchen der Volksstimme vielschichtig.

Die rein finanziellen Fakten sind wenig erbaulich. Demnach sind die Jahresabschlüsse der HVB seit Jahren sechsstellig im Minus. Für das Jahr 2017 wird der Verlust auf rund 586.000 Euro beziffert. Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Aufgrund der Misere rund um die Umstellung des Fahrplans im vorigen Jahr stieg der Fehlbetrag noch weiter an – unter der Hand ist von bis zu 800.000 Euro die Rede. Und auch das ist nur eine Facette, denn wegen besagter Fahrplanmisere droht das Land, die offene Schlusszahlung von Fördermitteln für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Jahr 2018 in Höhe von rund 695.000 Euro zu stoppen.

Insider finden mit Blick auf die Zahlen und Fakten deutliche Worte: Die HVB hätten seit Jahren mit Dumpingpreisen am Markt agiert und sich damit in einen wirtschaftlichen Teufelskreis begeben. Die Gründe dafür sind durchaus nachvollziehbar. Im Harzkreis wurden die Transportleistungen nicht ausgeschrieben, sondern per öffentlichem Dienstleistungsvertrag an die HVB übertragen. Um die so entstandene Monopolposition nicht zu riskieren, sollen die HVB gegenüber dem Landkreis als Träger des ÖPNV besonders günstige Preise gemacht haben. Mit der fatalen Konsequenz von jährlichen Verlusten, die letztlich mit dem Griff ins Stammkapital ausgeglichen wurden. „Unsere Verkehrsbetriebe wurden jahrelang ausgeblutet“, so ein Insider.

Jahrelang funktionierte das Kaschieren der wirtschaftlichen Situation mit besagtem Griff ins Stammkapital. In 2018 soll die Situation jedoch derart aus dem Ruder gelaufen sein, dass die Defizite die internen Ausgleichsmöglichkeiten der HVB wohl überschreiten.

Ursache ist der Wechsel vom bisherigen Fahrplanangebot zum vertakteten Fahrplan mit Verknüpfung von öffentlichen Angeboten und Schülerverkehr. Dieser startete – trotz massiver Kritik und nach mehrmaligen Verschiebungen – im Frühjahr 2018. Anschließend folgte gerade im Schülerverkehr ein Chaos, das der Kreistag im Spätsommer 2018 beendete, indem die HVB im Kern zum vorherigen – funktionierenden – Fahrplan zurückkehrte.

Seither ist die Kritik der Busnutzer faktisch verstummt. Was dafür spricht, dass jene Offerten – also der frühere Fahrplan – den Wünschen der Fahrgäste entsprechen. Die finanziellen Folgen jenes Fahrplan-Chaos‘ für die HVB wurden bislang öffentlich nicht wahrgenommen. Doch sie haben es in sich.

Nach Recherchen der Volksstimme wäre die Zahl der Fahrplankilometer (gefahrene Kilometer pro Bus) hochgerechnet auf ein Jahr von veranschlagten 7,7 Millionen um 1,4 Millionen auf 9,1 Millionen Kilometer gestiegen. Die Crux dabei: Ein großer Teil dieser Mehrfahrten waren Leerfahrten, denen keine oder nur sehr geringe Einnahmen gegenüberstanden. Kosten entstanden dennoch. Bei veranschlagten 2,25 Euro pro Fahrplankilometer unterm Strich rund 3,15 Millionen Euro.

Und das sei schön gerechnet, weil jene 2,25 Euro pro Fahrplankilometer aufgrund gestiegener Sprit- und Personalkosten längst nicht mehr auskömmlich seien – Stichwort Dumpingpreise. Der kostendeckende Kilometersatz müsste wohl bei 2,36 Euro liegen. Was bei 9,1 Millionen Fahrplankilometern im Jahr noch einmal gut eine Million Euro Mehrkosten verursacht.

Kosten, die der HVB wohl entstanden wären, hätten die Kreistagsmitglieder im Sommer 2018 nicht die Notbremse gezogen und die weitgehende Rückkehr zum vorherigen Fahrplan beschlossen. Dafür droht nun aber der vom Land angekündigte Auszahlungsstopp der Fördermittel über 695 000 Euro. Begründet wird die Versagung damit, dass der jetzige HVB-Nahverkehrsplan nicht gesetzeskonform sei. Weil Schüler- und öffentlicher Verkehr nicht vom Grundsatz her gebündelt sind.

Vor diesem Hintergrund stehen die Mitglieder im HVB-Aufsichtsrat und im Kreistag nun vor grundsätzlichen Weichenstellungen: Am jetzigen – funktionierenden – Fahrplan festhalten und dafür geringere Zuwendungen vom Land in Kauf nehmen. Oder doch wieder zum vertakteten – nicht funktionierenden – Fahrplan nach Gesetzesvorgabe zurückkehren, um die Zuwendungen in voller Höhe zu kassieren.

Weil dann aber wieder besagter Kostenaufwuchs aufgrund der Mehrkilometer entstehen würde, spricht vieles dafür, dass Aufsichtsrat und Kreistag am jetzigen Fahrplan festhalten. Die ersten Weichenstellungen sollen im August erfolgen.

CDU-Fraktionschef Thomas Balcerowski gibt sich bekannt kämpferisch und hält mit Blick auf diesen Spagat mit seiner Kritik an den Verantwortlichen in Magdeburg nicht hinterm Berg: „Da werden einfach die falschen Zeichen gesetzt.“ Deshalb werde man es auf eine Auseinandersetzung mit dem Land ankommen lassen, auf dass Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) Farbe bekennen müsse. „Da müssen in Magdeburg ein paar Uhren anders gestellt werden“, so dessen Parteifreund Balcerowski.

Derweil hoffen die Verantwortlichen im Landratsamt auf Grundsatzentscheidungen im HVB-Aufsichtsrat und im Kreistag. Es gehe um die zukünftige Ausrichtung der HVB, so Vize-Landrätin Heike Schäffer. „Es geht um die Frage, was wir an öffentlichem Nahverkehr brauchen und was wir uns noch leisten können.“

Teuer ist und bleibt es in jedem Fall: Um die im HVB-Chaos-Jahr 2018 aufgelaufenen Verluste zu kompensieren – und der HVB-Chefetage den Gang zum Insolvenzgericht zu ersparen, wurden im Kreishaushalt zwei Millionen Euro zusätzlich eingestellt. Wie prekär die Lage tatsächlich ist und um welche Summe es geht, belegen die von der Kreisverwaltung auf Anfrage der Volksstimme genannten und nebenstehend publizierten Zahlen rund um die HVB-Bilanz. HVB-Geschäftsführerin Nora Wolters, die erst seit März im Amt ist, äußerte sich auf Anfrage nicht und verwies auf die Kreisverwaltung.

Trotz der Misere scheint die Tendenz aber klar: „Der Dampfer ist schon schwer am Trudeln – aber wir lassen ihn nicht untergehen“, so ein Kenner der Materie.