Kerstin Römer wagt Bahnausflug und sammelt viele Erfahrungen Selbstversuch im Rolli macht noch viele Barrieren im Alltag deutlich
Kerstin Römer verreist gern. Doch mit dem Rolli in der Bahn ist das kein
leichtes Unterfangen. Jetzt fuhr die Halberstädterin für drei Tage nach
Goslar und machte auf ihrer Tour mit der Bahn sehr unterschiedliche
Erfahrungen.
Halberstadt l Größere Distanzen bewältigt Kerstin Römer gern mit dem Auto. Reisen mit dem Zug liegen schon geraume Zeit zurück. Aus gutem Grund: Fahrten mit der DDR-Reichsbahn nach Berlin verbindet sie kaum mit guten Erinnerungen. Entweder musste sie die Zeit in den total überfüllten Abteilen verbringen oder sie war im Gepäckwagen von den anderen Reisenden getrennt. Beides empfand Kerstin Römer alles andere als schön.
"Nun wollte ich mal ausprobieren, wie das heute ist", nennt die Vorsitzende des Halberstädter Rolli-Clubs den Grund ihrer Kurzreise in den Westharz. Sie schlüpfte dabei ganz bewusst in die Rolle der Testerin, um ihre Erfahrungen an andere weitergeben zu können. Einen Nachteil benennt sie sofort: "Eine spontane Tour per Zug ist nicht möglich. Das geht nur mit dem Auto."
"Nach meinen früheren Erlebnissen in DDR-Reichsbahn-Zügen wollte ich einfach mal ausprobieren, wie das heute so ist"
Wolle man als Mensch mit einem körperlichen Handicap verreisen und sei man dabei auf die Unterstützung anderer angewiesen, bedürfe es einer längeren Vorbereitungsphase, sagt die Betroffene. "Ich wusste, was ich wollte und dass ich dabei die Hilfe der Mitarbeiter der Bahnhofsmission in Anspruch nehmen kann", sagt die Halberstädterin. Also buchte sie im Reisebüro zwei Übernachtungen in einem Goslarer Hotel, das mit Barrierefreiheit warb. Dann kümmerte sie sich um die Fahrkarte und meldete sich bei der Mobilitätsservice-Zentrale der Deutschen Bahn an. Diese beauftragte wiederum die Halberstädter Bahnhofsmission, die Rollstuhlfahrerin auf Hin- und Rücktour zu begleiten.
So weit, so gut. An einem Montagvormittag ging es los. Pünktlich war Kerstin Römer am Halberstädter Hauptbahnhof, wo sie von drei ehrenamtlichen Mitarbeitern der Bahnhofsmission schon erwartet wurde. Das Trio begleitete sie auf Bahnsteig 5, was dank der Aufzüge kein Problem ist. Zehn Minuten später fuhr der Zug ein.
Dort offenbarte sich Problem Nummer eins: Da der Zug nicht an der vorgesehenen Stelle hielt, musste der sperrige Hublift rasch einen Waggon weiter bugsiert und genau an dessen Tür platziert werden. Kerstin Römer fuhr auf die Rampe, die hochgepumpt wurde und es ihr ermöglichte, ins Großraumabteil zu rollen. Dorthin folgten ihr Petra Galisch und Kathrin Siebert von der Bahnhofsmission, um sie bis nach Vienenburg persönlich zu begleiten. Dort endete deren "Hoheitsgebiet".
Die Zugfahrt war nach Römers Worten okay. "Im Abteil war genügend Platz. Auch wenn dort Fahrräder mit transportiert werden, ist das für mich kein Probelm. Es war ein angenehmes Reisen", erinnert sie sich.
Am Zielbahnhof Goslar wartete ein Taxifahrer, dessen Unternehmen den Mobilitätsservice im Auftrag der Bahn AG ausführt. Er half der Rollifahrerin mit dem Hubwagen aus dem Zug. Eine weitere Begleitung erfolgte jedoch nicht, sodass die Besucherin im ihr unbekannten Bahnhof erstmal den Aufzug suchen und selbstständig die Gegebenheiten erkunden musste.
"Im Hotel bekam ich zwar ein Rollstuhlzimmer mit geräumigem Bad, ansonsten war das Haus aber alles andere als rollstuhlgerecht"
"Im Hotel bekam ich zwar ein Rollstuhlzimmer mit geräumigem Bad, ansonsten war das Haus aber alles andere als rollstuhlgerecht. Ins Zimmer zu gelangen, war schon ein wenig abenteuerlich. Irgendwie erinnerte mich das an Erfahrungen aus DDR-Zeiten", schildert Kerstin Römer.
Doch nicht nur im Hotel war die Zeit stehengeblieben. Bei ihren Touren durch die Stadt musste die Touristin feststellen, dass nur einige Geschäfte über privat errichtete Rampen problemlos erreichbar waren. "Die meisten Häuser in der Altstadt haben hohe Stufen an den Eingangstüren. Deshalb hat es auch eine Weile gedauert, bis ich problemlos in ein Café oder eine Gaststätte gelangen konnte." Irgendwie hat es dann aber doch geklappt. Wo sie Negatives entdeckte, habe sie sich kritisch geäußert, bei Positivem indes nicht mit Lob gespart, versichert die Testbesucherin.
So habe es ihr eine sehr hohe Stufe unmöglich gemacht, die Touristinformation selbstständig zu befahren. Allerdings habe sofort jemand aufs Klingeln reagiert. "Wir arbeiten daran, die Situation zu ändern", sei ihr versichert worden. Im Infopunkt selbst wies man sie auf ein Projekt "Mobilitätsgerechte Rundtour" hin und gab Hinweise, welche Ecken und Geschäfte von Goslar für Rollstuhl-Fahrer unerreichbar sind.
"In Goslar wird der Barrierefreiheit keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei ist diese Stadt doch eine Touristenhochburg."
"Meinem Empfinden nach wurde und wird in dieser Stadt der Barrierefreiheit keine allzu große Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei ist diese schöne Stadt doch eine Touristenhochburg", bedauert Kerstin Römer und vergleicht Goslar mit ihrer Heimatstadt: "Ich musste meine manchmal negative Meinung über Halberstadt revidieren. Auch wenn in Halberstadt noch einiges zu tun ist, wurde und wird hier doch kontinuierlich daran gearbeitet, Barrieren zu überwinden und Angebote für Menschen mit eingeschränkter Mobilität zu machen. Unsere Stadt bemüht sich um Gäste mit Handicap."
"Ich musste meine manchmal negative Meinung über Halberstadt revidieren. Hier wird daran gearbeitet, Barrieren zu überwinden."
Auch die angemeldete Bahnrückfahrt verlief nicht ganz reibungslos. Im Alltag sind viele Umstände oft nicht vorherseh- und planbar. So war auf dem Goslarer Bahnhof ein Aufzug ausgefallen. Dort gibt es - anders als in Halberstadt - aber keine Bahnhofsmission, sodass Menschen mit Handicap in Problemsituationen auf sich allein gestellt sind. Allein der Umsicht einer Bahnmitarbeiterin sei es zu verdanken gewesen, dass der Zug kurzfristig auf einen anderen Bahnsteig umgeleitet wurde.
"Als meine Begleiterinnen, die mich unterwegs wieder in Empfang genommen hatten, und ich schließlich in Halberstadt einfuhren, wunderten wir uns, dass der Zug nicht auf dem vorbestimmten Bahnsteig hielt." Der Grund: Zufällig war auch hier ein Fahrstuhl blockiert. "Wir haben über die Mobilitätsservice-Zentrale für die Umleitung gesorgt", erklärt Constantin Schnee, der gemeinsam mit Marion Schaper und Norbert Fransewitz den Ausstieg via Hublifter organisierte.
"Es ist gut, wenn Menschen mit Einschränkungen etwas unternehmen", sagt der Leiter der Bahnhofsmission. "Doch die Rahmenbedingungen müssen passen, nicht umgekehrt." Damit spricht er Kerstin Römer aus dem Herzen:
Die Mitarbeiter der Bahnhofsmission sind tolle und hochmotivierte Helfer. Ohne ihre Hilfe hätte ich die Reise nicht unternommen."
"Ich wollte etwas ausprobieren, dabei Vorurteile abbauen und anderen Betroffenen Mut machen, mal allein mit der Bahn zu verreisen. Es funktioniert, aber eben nicht ohne Helfer. Die Mitarbeiter der Bahnhofsmission sind solche Helfer. Sie sind hochmotiviert und haben mich professionell betreut. Von Anfang an habe ich mich bei ihnen gut aufgehoben und sicher gefühlt", bedankt sich Kerstin Römer. "Ohne ihre Hilfe hätte ich die Reise nicht unternommen."
Der Leiter der Halberstädter Bahnhofsmission freut sich über den "Selbstversuch" von Kerstin Römer. Mache er doch Mut, auch mit einer Mobilitätseinschränkung am Bahnverkehr und damit am öffentlichen Leben teilzuhaben. "Damit mehr Rollstuhlfahrer mit der Bahn unterwegs sein können, brauchen wir aber dringend ehrenamtliche Helfer", so Schnee. "Denn viele Menschen mit Handicap wollen gern verreisen und die Hilfe der Bahnhofsmission in Anspruch nehmen."