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Kiesabbau Sorge vor Lärm und Staub an der Grenze

In Wülperodes niedersächsischem Nachbarort kocht der Volkszorn. Am Ortsrand soll nach Jahrzehnten wieder Kies gefördert werden.

Von Mario Heinicke Aktualisiert: 28.07.2021, 17:15
Am Grenzdenkmal Wülperode vorbei sollen in einigen Jahren die Kieslaster aus Wiedelah gen Norden zur Bundesstraße 82 rollen.
Am Grenzdenkmal Wülperode vorbei sollen in einigen Jahren die Kieslaster aus Wiedelah gen Norden zur Bundesstraße 82 rollen. Foto: Mario Heinicke

Wiedelah/Wülperode - Die amtliche Nachricht erteilte das Osterwiecker Rathaus vor zwei Wochen. Der Regionalverband Braunschweig informierte die Stadtverwaltung über ein anstehenden Genehmigungsverfahren zum Vorhaben „Bodenabbau Wiedelah“. Demnach plant ein Unternehmen aus Oker südlich des Wiedelaher Sees auf einer Fläche von 27 Hektar Kies zu gewinnen. Die Stadt hat bis zum 31. August Gelegenheit, eine Stellungnahme dazu abzugeben.

Die Unterlagen wurden an die Ortsbürgermeister von Wülperode und Lüttgenrode weitergeleitet, berichtete Rathaus-Referent Peter Eisemann. Jetzt ist allerdings Urlaubszeit, Sitzungen der Ortschaftsräte sind bisher nicht geplant.

Für die Stadtverwaltung ist es binnen weniger Wochen schon die zweite Stellungnahme zu einem Kiesabbauvorhaben im Wülperöder Gebiet. Denn auch am Ortsrand von Suderode soll wieder Kies gewonnen werden. Die Stadt hatte ihre Bedenken vor allem hinsichtlich des Lkw-Verkehrs und Geräuschbelästigungen geäußert. Das könnte auch jetzt beim Wiedelaher Vorhaben in der Stellungnahme angesprochen werden, blickte Eisemann voraus. Zwischen Wülperode und dem geplanten Kiesfeld liegen nur eineinhalb Kilometer Luftlinie.

Okertal in Niedersachsen wie ein Schweizer Käse

Die Oker bildet auf etwa vier Kilometer im Gebiet zwischen Wülperode und Göddeckenrode auch die Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Schaut man sich den Verlauf der Oker vom Goslarer Stadtteil Oker bis zur Ilsemündung bei Börßum an, so wirkt die Tallandschaft wie ein Schweizer Käse. Seit Jahrzehnten wird hier auf niedersächsischer Seite Kies abgebaut. Entstanden ist eine Seenlandschaft, ohne dass diese aber zum Baden freigegeben ist. Das nördlichste Abbaugebiet an der Oker zwischen Börßum und Heiningen wird bald erschöpft sein. Das dort tätige Unternehmen will danach in Wiedelah tätig werden. Der Vorrat könnte für etwa 25 bis 30 Jahre reichen.

Der nördlich angrenzende See, heute ein Naturschutzgebiet, reicht bis direkt an die Landesgrenze. Die Kiesgewinnung hier war aber schon vor der Wende eingestellt worden.

Dass sich Wiedelaher Kieslaster durch Wülperode quälen werden, ist eher nicht zu erwarten. Die Transporter sollen von Wiedelah nach Norden zur Bundesstraße 82 und dann bis hoch nach Stade fahren. Somit auch über den sachsen-anhaltischen Teil der Landesstraße 90, die Wülperode und Göddeckenrode tangiert. An dieser Straße liegt auch das Grenzdenkmal Wülperode.

Morgen Versammlungder Bürger

In Wiedelah, dem Ort, dem Wülperode seit der Grenzöffnung freundschaftlich eng verbunden ist, formiert sich derweil Widerstand. Für den morgigen Freitagabend um 19 Uhr ist eine Versammlung der Bürgerinitiative geplant. Eigentlich im Sportheim, aber Ortsvorsteher Hans-Joachim Michaelis (CDU) geht davon aus, dass diese wegen der vielen Menschen draußen auf dem Sportplatz stattfinden wird. Bis in Höhe des Sportplatzes soll sich übrigens auch das neue Kiesgebiet erstrecken.

Nach einer Karte des Regionalverbandes Braunschweig soll sich das Abbaugebiet bis 200 Meter an die Eigenheimbebauung heran erstrecken. Die Sorge ist groß vor Lärm, Staub und Erschütterungen.

Ortsvorsteher Michaelis weiß, dass großer Bedarf an Kies als Rohstoff besteht. Mit dem Betreiber habe er ein sachliches Gespräch geführt, erklärte er gegenüber der Volksstimme. Demnach sollen 700 Tonnen Kies pro Tag abgebaut werden, was 28 Lkw entspreche. Er geht davon aus, dass nicht aller Kies gen Norden Richtung Braunschweig fährt, sondern ein Teil vor Ort im Betonwerk bleiben wird, gleich auf der anderen Straßenseite gelegen.

Kiesfeld vor nagelneuemWohngebiet

Hans-Joachim Michaelis sorgt sich aber um die Zukunft seines Dorfes, um die Zukunft von Schule und Kinderkrippe, falls der Kiesabbau kommt. Vor dem geplanten Kiesfeld entsteht gerade das Wohngebiet Schneckenkamp. Eine neue Erschließungsstraße ist schon bebaut. Für die nächste Etappe mit elf Bauplätzen gebe es nach seinen Worten bereits Vorverträge, die ruckzuck vergeben und geschlossen waren. Doch da wusste noch niemand etwas vom Kiesabbau. Eigentlich Bauplätze, um junge Familie an Wiedelah zu binden. Sonst werde man bald nur noch ein Dorf von Rentnern sein.

Der Ortschef befürchtet, dass die Interessenten abspringen.

Michaelis’ Bestreben ist es, die Diskussionen und Bedenken in einigen Punkten zu versachlichen. Im Vorfeld der morgigen Bürgerversammlung habe er deshalb auch versucht, involvierte Behördenvertreter zur Teilnahme zu gewinnen. Doch vergeblich, weil erst mal alle den 9. September abwarten wollen. Das ist der Termin einer digitalen Antragskonferenz.

Die Vorhabenbeschreibung, Karten und weitere Unterlagen sind unterdessen öffentlich einsehbar auf der Homepage des Regionalverbands Braunschweig.

Demnach hat der Kies eine Mächtigkeit von 13,5 bis 15,5 Metern. Der durch den Abbau entstehende See soll später eine Fläche von 450 mal 550 Meter einnehmen. Ein elektrisch betriebener Schwimmgreifer soll den Rohkies gewinnen. Über Bänder gelangt das Material zum eingedeichten Betriebsgelände, wo es bei Bedarf gebrochen und aufgehaldet wird. Das ist direkt an der Landesstraße vorgesehen.

Einige Jahre dürften noch ins Land gehen, bis tatsächlich ein Kieswerk bei Wiedelah die Arbeit aufnimmt. Mit höchstens einem Lichtblick für kommende Generationen. Denn für einen Teilbereich in Höhe des Sportplatzes wird die Nutzung als Badesee vorgeschlagen – mit Sandbuchten, Liegewiesen, flachen Uferböschungen und Wanderwegeanbindung.

Das ist der schon vor der Wende entstandene Kiessee bei Wiedelah. Ein fast so großer See soll in etwa drei Jahrzehnten hinzukommen.
Das ist der schon vor der Wende entstandene Kiessee bei Wiedelah. Ein fast so großer See soll in etwa drei Jahrzehnten hinzukommen.
Foto: Heinicke
Vis-a-vis vom  geplanten Kiesfeld sind in Wiedelah gerade neue Eigenheime entstanden. Die weitere Bebauung des Gebiets ist nun offen.
Vis-a-vis vom geplanten Kiesfeld sind in Wiedelah gerade neue Eigenheime entstanden. Die weitere Bebauung des Gebiets ist nun offen.
Foto: Heinicke