Tiershow Abschied vom Rampenlicht

Der Halberstädter Michael Bussenius nimmt Abschied von seinen Tiershows und berichtet nun über die Gründe seines Rückzugs.

Von Sandra Reulecke 27.08.2017, 11:01

Halberstadt l Sie ist eingeschlagen wie eine Bombe, die Nachricht von seinem Rückzug. Nachdem Michael Bussenius beim Tiergartenfest am vergangenen Wochenende angekündigt hat, aus gesundheitlichen Gründen keine Tiershows mehr zu geben, steht sein Telefon nicht mehr still. „Das ist eine neue Form von Stress“, berichtet er. Und der ist ihm anzusehen. Er ist blass, sein Gesichtsausdruck ungewohnt ernst. „Es war ein hoch emotionaler und einschneidender Entschluss.“

Einer, der von langer Hand geplant und alles andere als eine Kurzschlussentscheidung war. Er habe den Zeitpunkt bewusst gewählt. „Die erste Tiershow hatten wir beim ersten Tiergartenfest“, berichtet Bussenius, der auch weiterhin Zooinspektor im Tiergarten bleiben wird.

1981 war das. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder Matthias Bussenius hat er eine Interpretation der Bremer Stadtmusikanten präsentiert – die beim Publikum gut ankam, erinnert sich der 59-Jährige.

Im Umgang mit Tieren sind die Brüder, die nur ein Jahr Altersunterschied haben, seit der Kindheit vertraut. Hunde und Vögel hatte die Familie immer. Beide Söhne besuchten die heutige Europa-Schule „Am Gröpertor“ in Halberstadt. Dort stand schon damals die Pflege von Ponys auf dem Stundenplan. „Für mich gab es nie etwas anderes als Tiere. Ich hatte nie Interesse daran, in der Freizeit Fußball zu spielen wie andere Jungs“, berichtet Michael Bussenius. Er habe zwar Instrumente gelernt. Aber weniger aus eigenem Interesse als deshalb, weil in der Familie Hausmusik üblich war.

Dass sich die Brüder beide nach der Schule für eine Ausbildung in der Tierpflege interessierten, stieß bei den Verwandten nicht besonders auf Zustimmung. „Der Berufswunsch wurde akzeptiert, aber nicht mit großer Freude unterstützt“, sagt Bussenius. „Mein Opa war Pfarrer, es gab noch andere Pastoren in der Familie und Zahnärzte, bei uns war es eigentlich üblich, zu studieren. Aber für mich war das nie eine Option.“

Mit einem Jahr Abstand begannen die Brüder also ihre Ausbildungen im Magdeburger Zoo und in Berlin, um anschließend nach Halberstadt zurückzukehren – zum Tiergehege, in dem damals noch keine exotischen Arten lebten, hatten die beiden schon in der Schulzeit Kontakt geknüpft. Michael Bussenius legte nur einen kurzen Zwischenstopp in Wernigerode ein, bevor er als Zooinspektor in Halberstadt begann. Ein halbes Jahr lang war er zuvor bei der Reit- und Fahrtouristik beschäftigt.

Klingt, als seien sich die Brüder sehr einig und ähnlich – doch das Gegenteil ist der Fall. „Wir sind wie Tag und Nacht. Da fliegen auch schon mal richtig die Fetzen“, verrät Michael Bussenius und lacht. Er sei aufbrausender und perfektionistischer als sein Bruder. Letztlich ergänzen sie sich aber, versichert Matthias Bussenius. Und die Liebe zu den Tieren verbinde sie. Verzicht auf private Urlaube, lange Arbeitszeiten – auch an Wochenenden und Feiertagen nehmen sie dafür gern in Kauf, versichern sie.

Den Tieren verdanken sie es schließlich, dass sie weit über die Grenzen Halberstadts bekannt sind. Denn bei der Premiere beim 1. Tiergartenfest sollte es nicht bleiben. Es folgten Shows und Fernseh-Auftritte von Hamburg bis Süddeutschland. Mit bis zu 60 Tieren waren sie auf Reisen, für rund 150 Auftritte im Jahr.

Nicht immer verlief dabei alles nach Plan – trotz guter Vorbereitung und Absprachen mit den Veranstaltern. Tiere haben eben auch ihren eigenen Kopf: Esel bocken, Papageien erschrecken sich und fliegen weg. „Dann muss man einfach so tun, als ob es zur Show gehört und von Anfang an so geplant war“, verrät Michael Bussenius augenzwinkernd.

Besonders gern sei er vor Kindern und Familien aufgetreten. Aber auch in Seniorenheimen wurde er positiv überrascht. „Wir haben eine Show für eine Bekannte gegeben. Es war ihr 100. Geburtstag, aber im Kopf war sie noch fit – und sie hatte ihr Leben lang Angst vor Mäusen.“ Dennoch haben die Brüder einen der Nager in ihren Auftritt eingebaut. „Danach hat sie die Maus gestreichelt und wollte sie gar nicht mehr hergeben. Das hat mich beeindruckt.“

Auch Niederschläge musste das Brudergespann erleben. Matthias Bussenius ist vor fünf Jahren schwer erkrankt. „Ich hatte eine schwere Herz-OP“, berichtetet der Ältere. Der Schicksalsschlag hat auch für Michael Bussenius die Prioritäten verändert. Für Monate hat er die Show eingestellt und darüber nachgedacht, keine mehr zu geben. Bis zum Parkfest, das neben dem Tiergarten veranstaltet wurde. „Da spielte eine wunderbare Kapelle, und ich dachte, die Musik würde gut zu einer Show passen.“ Dank dieses Schlüsselerlebnisses hat er eine Choreografie für Papageien entwickelt.

Nach seiner Genesung war Matthias Bussenius hinter den Kulissen häufig bei den Shows dabei und unterstützte seinen Bruder als Berater. Der Wechsel hinter die Kulissen sei ihm nicht schwergefallen. „Ich bin dankbar, dass ich überlebt habe und wenigstens im Hintergrund tätig sein konnte.“

Die Krankheit des Bruders war nicht der einzige Rückschlag. „Viermal sind uns Papageien gestohlen worden.“ Keiner der Diebstähle konnte aufgeklärt werden. „Damals bin ich in ein tiefes Loch gefallen. Das Schlimme ist, dass man eine emotionale Bindung zu den Tieren aufbaut. Es sind Lebewesen, die zusammen mit uns den Lebensweg gehen.“ Gerade Papageien – manche Arten werden bis zu 80 Jahre alt – hängen sehr an ihren Bezugspersonen und den Tieren, an die sie gewöhnt sind, sagt Bussenius.

Und es sind schlaue Tiere. „Sie wollen gefordert werden und brauchen Abwechslung.“ Die erhalten sie in den Tiershows. „Ich zwinge den Tieren nichts auf, was sie nicht ohnehin tun würden.“ Laura zum Beispiel, der älteste der Vögel, legt sich gern hin und lässt sich kraulen. Apollo hangelt dafür gern. „Im Gegensatz zu denen mit Huftieren, sind die Shows mit Papageien einfach“, sagt der 59-Jährige. „Mit Ponys muss man täglich trainieren und sich an feste Abläufe halten – das ist mit Papageien nicht nötig.“

Wenn er von den Tieren und den Auftritten der vergangenen 37 Jahre spricht, lächelt Bussenius. Es sei eine schöne Zeit gewesen. Dennoch bereue er es nicht, beim Tiergartenfest seinen Rücktritt angekündigt zu haben. „Jetzt schließt sich der Kreis. Es endet da, wo es angefangen hat.“ Termine, die er bereits angenommen hat, absolviert er dennoch. 15 bis 20 werden es bis zum Jahresende sein.

Perfekt geplant, wie er es gern tut. „Ich bin pflichtbewusst, immer pünktlich und akribisch.“ Dieser Perfektionismus sei der Grund, warum er kürzer treten möchte. Es wäre das Schlimmste für ihn, mit einer Show zu enttäuschen.

Was die Zeit danach angeht, habe er ein wenig Angst, gesteht er. „Es wird mir fehlen.“ Unterstützung in der neuen Situation bietet der Bruder. „Wir werden noch mehr Zeit mit den Tieren verbringen“, kündigt dieser an.