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Ungewissheit Weiter Ausnahmezustand für Nachbarn

Auch Tage nach der Explosion in einem Wohnhaus in Halberstadt sind noch viele Fragen offen.

Von Dennis Lotzmann 30.05.2019, 01:01

Halberstadt l Entsetzen, Wut und schiere Hilflosigkeit treiben die Halberstädterin um. Seit Sonntag lebt die der Volksstimme namentlich bekannte Frau im Ausnahmezustand. Sie ist direkte Nachbarin des Hauses an der Minslebener Straße in Halberstadt, in dem am Sonntag eine Explosion ereignet hat. Sie musste mitten in der Nacht – die Detonation hatte sich gegen 0.30 Uhr ereignet – Knall auf Fall ihr Haus verlassen und ist zusammen mit ihrem kranken Mann bei der Tochter untergekommen. „Wir sind fix und fertig“, sagt sie.

An jene Nacht denke sie mit Grausen zurück. Plötzlich hätten in der Dunkelheit Unbekannte mit Taschenlampen vor ihrer Tür gestanden und Alarm geschlagen. „Ich habe erstmal überlegt, ob ich überhaupt öffne“, erinnert sich die Halberstädterin. Alles weitere sei ein Schock gewesen: Man habe ihr erklärt, dass sie ihr Haus sofort verlassen müsse, weil das angrenzende Haus möglicherweise explodieren könnte.

In jenem Gebäude hatte ein 43-Jähriger im großen Stil Chemikalien gehortet und – vorsätzlich oder versehentlich – Substanzen zur Detonation gebracht.

Jenes Haus befindet sich im hinteren Teil des Areals. Auf dem am Dienstag in der Volksstimme abgedruckten und im Internet publizierten Foto mit einem Fahrzeug der Tatortgruppe des Landeskriminalamtes und einer Polizeibeamtin ist im Vordergrund das mit Blockbohlen gebaute Haus der Frau zu sehen. Vor Jahren sei das Grundstück geteilt und später auf dem hinteren Grundstück ein zweites Haus gebaut worden. Darin kam es nun zur Explosion.

Die Folgen sind auch für die Frau und ihren Mann fatal. „Wenn ich mir vorstelle, dass wir buchstäblich auf einem Pulverfass gelebt haben. Wir hatten keine Ahnung, was unser Nachbar dort hinten gemacht hat.“

Keine Ahnung – das ist auch das Stichwort mit Blick auf die Rückkehr zur Normalität. „Ich habe keine Ahnung, wann wir in unser Haus zurück können“, sagt sie. Zwar gebe es mittlerweile teilweise grünes Licht dafür – „wir dürfen uns aber nur im Wohnhaus aufhalten. Wie sollen wir da leben?“.

Wann sich dieser Zustand ändern wird, ist laut Staatsanwaltschaft unklar. „Aktuell ist der Tatort noch beschlagnahmt“, so Hauke Roggenbuck, Chef der Anklagebehörde in Halberstadt. Im Moment müsse noch geklärt werden, ob und in welchem Umfang Chemikalien als Beweismittel sichergestellt werden müssten. Das könne wiederum nur mit Blick auf die laufenden Ermittlungen erfolgen, so der Oberstaatsanwalt.

„Wir arbeiten aktuell eifrig daran, diese Frage zeitnah zu klären.“ Anschließend können alle Substanzen, die nicht als Beweismittel benötigt würden, entsorgt werden. Dafür müssten aber spezielle Entsorgungsfirmen gefunden werden.

Die Chemikalien, die literweise in dem Haus gehortet wurden, stellten am Sonntag auch für die Einsatzkräfte eine große Herausforderung dar. Nur mit Schutzanzügen und Atemmasken wagten sie sich hinein. Um was es sich in den Behältnissen handelt, wussten die Männer und Frauen nicht, die Untersuchungen der Substanzen dauerten bis zur nächsten Nacht an.

Die Ersten am Einsatzort – Rettungssanitäter und Polizisten eilten dem schwerverletzen Bewohner jedoch noch ganz ohne Masken und Co. zur Hilfe. „Sie mussten sich im Krankenhaus untersuchen lassen. Zum Glück zeigte niemand Symptome“, berichtet Chris Buchold, Sprecher der freiwilligen Feuerwehr. Er war am Sonntag selbst vor Ort. So ein Fall sei weder für Polizei noch Feuerwehr im Harz alltäglich. „Und so etwas passiert hoffentlich so schnell nicht wieder.“

Die umliegenden Häuser mussten evakuiert werden, 670 Personen ihre Wohnungen verlassen. Rund 100 Polizeibeamte sowie mehr als 110 Feuerwehrleute waren im Einsatz. Unterstützt wurden die hauptberuflichen und freiwilligen Kameraden aus Halberstadt von den Wehren aus Langenstein, Athenstedt, Aspenstedt, Klein Quenstedt, Emersleben, Sargstedt, Ströbeck, Cattenstedt, Blankenburg, Hasselfelde, Wegeleben und Hoym.

Derweil waren Spezialisten im Einsatz, um die gefundenen Stoffe zu analysieren. „Das kostete viel Zeit.“ Und brachte Probleme mit sich. So gibt es zwar Schutzanzüge im Landkreis Harz, aber nur in begrenzter Anzahl. Und bei Einsätzen, die so lange dauern, müssen die Anzüge gewechselt werden. „Die Luftfilter werden mit Akku betrieben“, erläutert Buchold.

Nachschub stellte die Uniklinik Braunschweig zur Verfügung. Kameraden der dortigen Berufsfeuerwehr fungierten als Boten.

Doch mit Schutzanzügen allein ist es nicht getan. Wie Buchold erläutert, mussten die Kameraden, nachdem sie aus dem Haus kamen, dekontaminiert werden. Auf solche Einsätze sind die Kameraden aus Cattenstedt spezialisiert, gegen 20 Uhr wurden sie von Feuerwehrleuten aus Hoym abgelöst. Zusätzlich zu diesem Einsatz musste die Halberstädter Wehr noch zu zwei weiteren – weitaus kleineren– am Sonntag ausrücken.