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Unglücke Mit 67 Jahren vor Trümmerberg

Wie sieht es drei Monate nach der Gasexplosion in Halberstadt aus? Das Opfer steht vor den Trümmern seines Lebens.

Von Dennis Lotzmann 18.05.2018, 19:20

Halberstadt l Keine Frage: Rüdiger Hampe ist ein ordentlicher Mensch. Sein Grundstück ist tipptopp gepflegt und aufgeräumt. Zumindest im hinteren Teil, im Gartenbereich, ist das auffallend. Vorn, direkt an der Gartenstadt-Siedlungsstraße, versucht der 67-Jährige zu leisten, was in seinen Möglichkeiten steht. Dort, wo bis zum 23. Februar seine Doppelhaushälfte gestanden hat, herrscht gähnende Leere. Das Haus ist abgebrochen, der Schutt verschwunden, das dabei malträtierte Gartentor längst wieder repariert. Gerade räumt Hampe Möbel und Stühle – und damit ein Stück seines Lebens – für die Sperrmüllentsorgung auf die Straße. Ist drei Monate nach der Tragödie mit der verheerenden Explosion alles wieder halbwegs im Lot?

Keineswegs. Zwar ist das Opfer mittlerweile für den Schaden finanziell entschädigt, gleichwohl sieht es sich weiter als Opfer. „Alles Geld kann doch den unwiederbringlichen materiellen Verlust nicht kompensieren“, erinnert Hampe. Genau den habe er erlitten. Was die Gasexplosion nicht sofort vernichtet habe oder vom Löschwasser beschädigt wurde, sei spätestens beim Abriss des einsturzgefährderten Hauses zerstört worden. Angefangen bei ganz persönlichen Erinnerungen wie Fotos und Schriftstücken bis hin zu Computern.

Doch was ist mit der finanziellen Kompensation seitens seiner Versicherung? Es sei richtig, dass die längst gezahlt habe, bestätigt Hampe. Über konkrete Zahlen mag er öffentlich nicht reden. „Eines ist aber ganz klar: Was ich tatsächlich bekommen habe, liegt sehr weit unter dem, was hier teilweise als Gerücht umher geistert“, sagt er . Und: „Der Betrag reicht nicht ansatzweise aus, um das wieder aufzubauen, was ich verloren habe.“

Verloren habe er sein Elternhaus, das er seit 1990 schrittweise aus- und umgebaut habe, um darin nun gut und altersgerecht leben zu können. „Jetzt, mit fast 68 Jahren fehlt mir neben dem nötigen Geld auch die Kraft, um einen Neuaufbau zu wagen.“

Letztlich sei im Moment auch noch völlig unklar, wohin die Reise für ihn und seine Partnerin mal gehen werde. „Vielleicht finden wir irgendwo zusammen ein kleines Häuschen, um einen Neuanfang zu starten“, sagt er vage. Angesichts explodierender Immobilienpreise sei dies nicht einfach.

Eines zumindest sei sicher: Von dem Grundstück in der Gartenstadt werde er sich trennen. Es zu halten sei unrealistisch und für ihn nervlich zu viel. Allein die Versuche, mit den Erben des direkten Nachbarn in Kontakt zu kommen und wichtige Dinge zu klären, sei schwierig. So sei bis heute völlig unklar, ob und welche Pläne die Hinterbliebenen des bei der Explosion getöteten 84-Jährigen haben. Das mache eine Neubebauung des Grundstücks mit Doppelhauszuschnitt nicht einfacher.

Nebenan, auf der spiegelbildlichen Seite des Doppelhaus-Grundstücks dominiert drei Monate nach der Explosion das gegenteilige Bild von Hampes Grundstück. Nachdem das zerstörte Haus, in dem die Explosion stattgefunden hatte, abgetragen und die Leiche des 84 Jahre alten Bewohners aus dem Keller geborgen worden war, ist dort augenscheinlich nichts mehr passiert. Die Trümmer liegen wüst umher, ein demoliertes Auto steht im Carport. Rüdiger Hampe hat, wie er berichtet, Bauzäune so aufgestellt, dass niemand aufs Nachbargrundstück gelangt und in den offenen Keller stürzt.

Auch Versuche der Volksstimme, mit Hinterbliebenen des 84-Jährigen ins Gespräch zu kommen, blieben erfolglos. Telefonate wurden sofort beendet.

Womöglich auch wegen der Tragik der Geschichte. Sicher ist, dass an der Gas-Hauptzuleitung im Keller dieses Hauses manipuliert worden ist. Die Leitung war laut Polizei geöffnet, sodass Gas ausströmte und es am 23. Februar gegen 4 Uhr zur verheerenden Explosion kam. Zwar hat die Polizei hinsichtlich der Ursache für das Trennen der Leitung keine Angaben gemacht – letztlich deutet aber alles auf einen Selbstmord des 84-Jährigen hin.

Eine Vermutung, die vor Ort in der Siedlung Bestätigung findet. Anwohner berichten, dass der Senior, der allein in dem Haus lebte, schon drei Tage zuvor nicht mehr gesehen worden sei. „Er ging sonst immer zum Mittagessen in die Siedlungsgaststätte“, sagt jemand. Obendrein sei ungewöhnlich gewesen, dass schon Tage vor der Explosion die Rollläden unten geblieben seien.

Rüdiger Hampe mag gar nicht weiter darüber nachdenken, dass er so schwer vom Schicksal getroffen wurde, weil jemand in direkter Nachbarschaft ohne Rücksicht auf andere ganz offensichtlich diesen fatalen Weg gewählt habe. „Für mich ist damit fast alles zusammengebrochen“, sagt er. „Dass ich heute hier stehen kann, grenzt schon an ein mittleres Wunder. Ich hatte drei Schutzengel“, erinnert der 67-Jährige.

In jener Nacht wurde er aus seinem Bett geschleudert, das direkt neben der Grenzwand zum Nachbarhaus stand. Wahrscheinlich war das sein Überlebensglück – dort wo das Bett stand, lag später eine eingestürzte Mauer.

Auch drei Monate nach der Tragödie kämpft Rüdiger Hampe, um sein Leben wieder halbwegs zu ordnen. Zermürbend sei vor allem das Ringen mit manchen Ämtern, Behörden oder Institutionen – Bankkarten mussten ebenso neu beschafft werden wie beispielsweise die Steuer-Identifikationsnummer. Besonders nervenaufreibend sei aktuell der Kampf mit dem Gebührenservice des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. „Die wollen weiterhin Geld, auf Briefe reagieren die einfach nicht.“ Dabei dürfte der Fall eindeutig sein: Der Haushalt existiert aktuell nicht, Hampe lebt bei seiner Partnerin.

Der 67-Jährige hofft, dass er mit ihrer Unterstützung weiter genug Optimismus für den Blick in die Zukunft hat – trotz aller Hürden und Rückschläge. Und Rüdiger Hampe dankt ausdrücklich allen Nachbarn im Viertel und den Verantwortlichen im Sargstedter Siedlerverein, die ihn nach der Katastrophe unterstützt haben. „Das war wirklich sehr schön.“