Die 51 Einwohner von Hilgesdorf machen zur Feier des 800-jährigen Bestehens von sich reden "Vergessenes Dorf" beweist Lebendigkeit
Von wegen "hier sagen sich Fuchs und Hase Gute Nacht". Mit einer kleinen, aber feinen Feier haben die Hilgesdorfer ihren Ort anlässlich der Ersterwähnung vor 800 Jahren in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.
Hilgesdorf l Kein pompöses Fest mit großer Außenwirkung wollten die Hilgesdorfer anlässlich ihrer 800-Jahr-Feier, sondern ein kleines, aber feines Fest mit ehemaligen und jetzigen Einwohnern. Trotzdem dürfte ihnen in ihrer leid- und wechselvollen Geschichte am Wochenende etwas Einzigartiges und Schönes gelungen sein: Ein Fest, das die gesamte Dorfbevölkerung mobilisiert hat und viele unvergessliche Momente in der Geschichte brachte.
An den Ortseingängen im Norden und Süden wurden Warnbaken aufgestellt, die eine sonst unbescherte Durchfahrt erschwerten und zum Langsamfahren zwangen.
Diesen einen Wunsch bezüglich der Ortsdurchfahrt, nämlich den Verkehr zu verlangsamen, hatte Hubertus von der Schulenburg, der Vorsitzende des Heimatvereins, am Sonnabend an die Flechtinger Gemeinde formuliert. Und prompt konnte Bürgermeister Dieter Schwarz wenigstens eine positive Meldung vortragen. Die Kreisstraße 1658 wird an der Kreuzung bei den Natursteinwerken und auch aus Richtung Ivenrode kommend künftig auf Tempo 60 begrenzt werden. Die 51 Einwohnern honorierten die Ankündigung mit Applaus.
Der Bürgermeister hatte seinen Gemeinderat und - sehr zur Überraschung der Hilgesdorfer - die Schalmeienkapelle Flechtingen mitgebracht. In historischen Roben marschierten die Ratsmitglieder unter musikalischer Begleitung vom nördlichen zum südlichen Ortsausgang und wieder zurück zum Festzelt in der Mitte des kleinen Dorfes.
Die Kühe der Agrar- genossenschaft staunten auf ihrer Weide am nördlichen Rand nicht schlecht, als ihnen plötzlich ein Ständchen vorgespielt wurde. Sie gebärdeten sich außerordentlich untypisch, trabten bis an den Zaun heran, um dann beim Verklingen der Melodie im Laufschritt loszutraben. Doch beim nächsten Lied waren sie prompt wieder zur Stelle.
Im Festzelt hatten am Freitagabend die Feierlichkeiten mit einem historischen Abend begonnen, denn "wir wollen unsere eigene Geschichte erkunden", sagte Hubertus von der Schulenburg zur Begrüßung.
Hans-Jürgen Bauer und seine Frau hatten sich Stunden durch Archive gewühlt, um Geschichte aufzuarbeiten. Mehrere Schreibweisen liefen ihnen dabei im Laufe der Jahrhunderte über den Weg, die Hans-Jürgen Bauer als Leitfaden dienten - angefangen 1212 als Hillerikesdorf. Manchmal nur kleine Veränderungen wie das doppelte L oder statt d ein t hatten den Namen verändert.
Ob das Hillige wirklich auf das alte Wort für Heilige oder vielleicht doch auf einen Personennamen zurückzuführen ist, konnte der Hobby-Geschichtsforscher nicht eindeutig belegen, doch dass die wechselvolle Geschichte stets mit einem schweren Alltag in Armut und drückenden Lasten seitens der Lehnsherren verbunden war, das konnte anhand zahlreicher Dokumente, alter Aufzeichnungen und in Erzählungen belegt werden.
Die ersten Bauern waren ebenso Untertanen, damals eines Klosters, wie sie später in Diensten der Familie von Schenck standen. Im Jahr 1498 bestand Hilgestorp aus 16 Hufen Land, und die von Schencks nahmen wegen eines Schuldenberges eine 600-Taler-Hypothek auf das Gut auf.
Das älteste, noch erhaltene Haus ist das Försterhaus im Ort, belegt eine Karte, die Bauers im Landesarchiv in Magdeburg aufgespürt hatten. Doch Hilgesdorf war damals von primitiven Häusern geprägt. Mensch und Vieh lebten unter einem Dach.
Wegen fehlender Holzsammelrechte lehnten die Hilgesdorfer sich eines Tages gegen ihren Herren auf. Sie zogen nach Dönstedt, um dort vor dem Gut zu protestieren - und landeten nach einem Gespräch mit ihrem Herrn bei einer Bierrunde im Gasthaus, die auf den Herrn ging. Um 1900 gab es noch ganze drei Gehöfte mit Vieh und 35 Einwohner, dafür aber auch sechs Haushalte mit Viehhaltung, 10 Pferde, 79 Rinder und bemerkenswerte 2222 Obstbäume.
Die Natur spielt bis heute eine wichtige Rolle im Leben der Einwohner. Sie schätzen ihr naturnahes Wohnen und sorgen wie mit dem Anlegen einer Streuobstwiese für entsprechende Aufforstung.
Ab dem Jahr 1945 übernahmen Annemarie Kaiser und Bianca Damm die geschichtliche Darstellung.
Ein Zeitungsausschnitt aus der Volksstimme hatte Hilgesdorf einmal als "vergessenes Dorf", ein anderes Mal als "Schmerzenskind" bezeichnet. Selbst der Versuch, es zu einem sozialistischen Musterdorf zu machen, scheiterte schon an den überaus bescheidenen Voraussetzungen.
Dabei sollten Schule, Gasthaus, Bäckerei, Ställe, Wirtschaftsgebäude und 13 Neubauernstellen entstehen. Weil es an Pauspapier mangelte, konnte das Dorf zum Beispiel noch nicht einmal wie geplant vermessen werden. Während Flechtingen seit 1910 elektrisches Licht hatte, musste Hilgesdorf noch bis 1951 darauf warten.
Die von der Regierung verordnete zwingende Notwendigkeit eines Gasthauses wurde von den Einwohnern heute belächelt, doch damals wäre das die einzige Möglichkeit gewesen, Handwerker ins Dorf zu bekommen, die beim Aufbau helfen sollten. Jahreszeitlich bedingt war Hilgesdorf oft wegen schlammiger Wege nicht mit dem Wagen zu erreichen. Heute schätzen die 51 Bewohner die Ruhe und Abgeschiedenheit ihrer Heimat.