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Coronavirus Vor dem Einkauf wird desinfiziert

Warum bleiben einige Regale leer? Katrin Bienek, Chefin eines Halberstädter Lebensmittelhandels, antwortet.

Von Sandra Reulecke 31.03.2020, 04:00

Halberstadt l „Nehmen Sie sich bitte einen Wagen, sonst dürfen Sie den Markt nicht betreten.“ Chris Giesches Stimme ist freundlich, aber bestimmt. Der Kunde schaut ihn verdutzt an, offensichtlich hat ihn die Aufforderung aus seinen Gedanken gerissen. „Aber ich brauche doch nur ein paar Kleinigkeiten ...“, erwidert der Mann. „Trotzdem, das gehört zu den neuen Bestimmungen“, erläutert Giesche geduldig. Solche Situationen hat er schon Dutzende Male erlebt. „Die meisten Kunden sind verständnisvoll, andere reagieren erbost“, berichtet der Halberstädter. „Dabei geht es doch auch um ihre Gesundheit.“

Chris Giesche ist einer von 82 Mitarbeitern im Edeka Bieneck in Halberstadt. Seitdem sich die Meldungen über Corona häufen, ändert sich auch der Arbeitsalltag für sie immer mehr. Die Kassierer sitzen seit drei Wochen hinter Plexiglas-Scheiben, sie tragen Handschuhe, viele von ihnen haben einen Mundschutz dabei.

„Den trage ich, wenn ich im Laden Ware verräume“, erläutert Diana Mundt. Angst vor einer Ansteckung habe sie eigentlich nicht, sagt die 36-jährige Verkäuferin. „Aber man darf die Situation nicht unterschätzen, den Fehler haben wohl viele am Anfang gemacht. Mittlerweile begreifen die meisten den Ernst der Lage.“

Das zeige auch das Verhalten der Kunden. Mittlerweile halten viele den Mindestabstand untereinander und zu den Verkäufern ein. Sie beachten die roten Markierungen auf dem Boden, die anzeigen, wo sie in der Warteschlange zu stehen haben und halten sich die Beschränkungen, die die Geschäftsführer festgelegt haben.

„Klar kaufen die Menschen mehr, wenn jetzt die ganze Familie zu Hause ist und nicht mehr in der Schule oder auf Arbeit gegessen wird“, sagt die Markt-Inhaberin Katrin Bieneck. „Das ist gar nicht das Problem.“ Für – künstliche – Knappheit in den Geschäften sorgen die Kunden, die Hamsterkäufe tätigen, also viel mehr kaufen, als sie tatsächlich benötigen. Toilettenpapier, Nudeln, Reis, Konserven, Dosensuppen, Mehl, Milch und Aufbackbrötchen seien derzeit der Renner.

Im Edeka Bienek werden diese Waren nur noch in begrenzter Anzahl verkauft. „Pro Einkauf gibt es zum Beispiel nur eine Packung Toilettenpapier“, erläutert Katrin Bienek. „Das handhaben wir schon seit einigen Wochen so. Mit Erfolg.“ Sie blickt auf die Uhr. „Gleich ist es 16 Uhr und es sind noch ein paar Packungen vorhanden.“ Auswahl gibt es nicht, nur eine Sorte ist vorrätig.

Auch an anderen Stellen bleiben die Regale leer. Das liege nicht daran, dass zu wenig davon produziert wird, sondern an der Logistik. So lohne es sich bei manchen Waren – Toilettenpapier – das Verräumen in die Regale nicht mehr, weil sie eh innerhalb weniger Stunden wieder vergriffen sind. Deshalb werden gleich die gesamten Paletten in den Markt geräumt.

„Außerdem ist der Bedarf überall gestiegen, nicht nur bei uns“, gibt Katrin Bienek zu bedenken. „Aber es gibt deshalb nicht mehr Lkw und Fahrer, die die Ware bringen können und wir haben nicht auf einmal mehr Lagerfläche.“ Zugunsten besonders häufig nachgefragter Waren sowie wichtiger Lebensmittel werden deshalb andere Sachen seltener geliefert. „Wein, Chips, Süßigkeiten oder Katzenstreu zum Beispiel“, informiert die Quedlinburgerin.

Die Kette habe in der Logistik aufgestockt, stoße aber dennoch an Grenzen. „Die Mitarbeiter in den Großlagern, die Fahrer, die unterwegs nicht einmal mehr auf Toilette gehen oder duschen können, und das Team im Laden geben wirklich alles, aber es ist nicht mehr zu schaffen“, sagt Karin Bieneck.

Zudem stehe für sie die Gesundheit ihrer Mitarbeiter an erster Stelle – nicht erst seit Corona. „Die meisten arbeiten schon viele Jahre für uns und das soll auch so bleiben.“ Deshalb lehne sie es ab, die Öffnungszeiten auszudehnen und sonntags zu öffnen, Überstunden sollen eine Ausnahme bleiben.

„Die Mitarbeiter sollen Zeit für die Familie haben, die meisten haben Kinder.“ Trotz der Schul- und Kita-Schließungen sei kein Mitarbeiter ausgefallen. Bienek versuche die Dienstplanung so zu gestalten, dass Eltern ihre Kinder gut betreuen können. Innerhalb des Teams seien Verständnis und Rücksicht füreinander selbstverständlich.

Das gelte jedoch nicht für alle Kunden. „Zehn Prozent zeigen null Verständnis. Sie pöbeln, wenn sie auf den Mindestabstand und die Begrenzungen hingewiesen werden. Manche beschimpfen meine Mitarbeiter“, berichtet Katrin Bienek. Sie habe schon Kunden des Ladens verweisen müssen.

„Aber 90 Prozent sind richtig lieb. Die bedanken sich, dass wir in dieser Zeit am Ball bleiben. Manche bringen Geschenke vorbei“, berichtet die 54-jährige Chefin. Seit 1982 ist sie im Verkauf tätig. Es sei ihr Traumberuf, noch immer, daran könne auch Corona und der damit verbundene Stress nichts ändern.