Mit den Haldensleber Pilzberaterinnen Renate Schmidt und Waldtraut Kerstan unterwegs Vom Samtfußrübling ziehen sie den Hut
Pilze sammeln ist nicht schwer, sie zu erkennen dagegen sehr - wer an diesem langen Wochenende noch einmal in die Pilze gehen will, findet keinen typischen Steinpilz mehr, dafür andere schmackhafte Arten.
Haldensleben l Der Pilz ist klein, beige und hat Lamellen. Renate Schmidt hebt ihn hoch, kneift die Augen zusammen und meint: "Da bin ich mir jetzt nicht sicher. Es könnte ein Fälbling sein." Waldtraut Kerstan schaut über ihre Schulter ebenfalls auf den Pilz und runzelt die Stirn. Sie einigen sich auf den Dunkelscheibigen Fälbling. An diesem kühlen, aber sonnigen Oktobervormittag begegnen ihnen noch viele -linge. Täublinge, Röhrlinge, Grünlinge, Ritterlinge, Schleierlinge oder Trichterlinge. Manche davon können für ein Mischpilz-Gericht im Kochtopf landen. Und noch andere sehr schmackhafte Pilze schießen gern im Spätherbst aus dem Boden.
"Wer sich nicht auskennt, sollte die Finger davon lassen."
Renate Schmidt aber warnt: "Wer sich nicht auskennt, sollte die Finger davon lassen." Und Waldtraut Kerstan, 86 Jahre alt und seit Jahrzehnten erfahrene Pilzberaterin, rät: "Wer Einsteiger ist, sollte zunächst eher die Röhrlinge sammeln, nicht die Lammellen-, also Blätterpilze." Denn während die falschen Freunde unter den Röhrlingen ungenießbar oder giftig sind und Ärzte noch handeln können, enden schwere Vergiftungen durch Blätterpilze teilweise tödlich.
Wer in der Pilzkunde schon sicherer ist, für den kann ein Waldspaziergang in diesen Tagen einen Korb voller Zutaten für ein Sonntagsmahl bringen. "Wichtig ist, dass die Pilze alle noch frisch sind, wenn sie jetzt gesammelt werden. Sie dürfen nicht labbrig oder verfärbt sein", erklärt Renate Schmidt, die seit ihrer Kindheit gern auf Pilzjagd durch die Wälder zieht.
Wo zwischen dem Laub und dem Moos etwas aus dem Boden hervorlugt, muss Renate Schmidt genau hinschauen. Vielleicht verpasst sie sonst einen interessanten Pilz, den sie lange nicht in Natura gesehen hat. Zum Beispiel eine Espenrotkappe, die unter Naturschutz steht und einige Verwandte hat. Die Rotkappe leuchtet an diesem Tag tatsächlich einmal regelrecht vom Boden in Renate Schmidts Gesicht. Auch Rotfußröhrlinge und Sandröhrlinge sind noch einige zu finden. Und die Pilzberaterin strahlt. Denn kaum ist es draußen zu trocken oder zu kalt, machen sich viele Röhrlinge rar. Diese hier und einige andere, wie zum Beispiel der Halimasch, werden nun in ihrem Kochtopf landen. Eine lange Garzeit, wie bei vielen Pilzen nötig, wird sie einrechnen. Sonst könnten Unverträglichkeiten auftreten. Ebenso wird sie sich den Safranschirmpilz schmecken lassen, der auf der Spazierstrecke einfach so am Wegesrand sprießt. Der Safranschirmpilz hat einen braun-weiß gefleckten Hut. Wenn man ihn drückt, läuft er safrangelb an. "Der ist sehr schmackhaft", freut sich Renate Schmidt über diesen Pilzfund.
"Es ist wichtig, die Pilze immer sofort beim Sammeln zu putzen"
Als die beiden Frauen dann den Keulenfuß Trichterling entdecken, kommt ihre Mitstreiterin Waldtraut Kerstan richtig ins Schwärmen: "Der hat einen sehr feinen Geschmack." Viel zu oft werde dieser Pilz in der Literatur als belanglos abgetan, ärgert sich die Kennerin fast ein wenig. Nur in Kombination mit Alkohol darf man ihn nicht essen, erklärt sie. Das mache den cremefarbenen Gesellen ungenießbar, der - wie sein Name schon sagt - einen nach unten hin keulenartig verlaufenden Stiel besitzt und einen trichterförmigen Hut.
Die beiden Frauen freuen sich, dass an diesem Vormittag so verschiedene Pilzarten zu finden sind - obwohl der Frost schon über die Waldböden gezogen war. Moos und Laub haben die Pilze beschützt, als die Kälte nachts dort entlang gekrochen ist. Ein Glück. Manchmal auch ein Muss, zum Beispiel für den Frostschneckling, den sie trotz Hoffens und Suchens an diesem Tag nicht finden. "Der kommt erst hoch, wenn der Frost einmal da war", wissen die beiden Haldensleberinnen.
Und auch wenn die Klassiker wie Steinpilze oder Maronen sich nach solch kalter Witterung nicht mehr blicken lassen, gibt es noch leckere Alternativen zwischen den Bäumen zu entdecken. Dazu gehören zum Beispiel auch der Violette Rötelritterling, der Butterpilz und der Büschelrasling. Auch der Frauentäubling findet sich. Weiße, dicht aneinander geschmiegte, aber biegsame Lamellen verbergen sich bei diesem Pilz unter einem Hut, der gewölbt bis abgeflacht sein kann. In verschiedenen Farben zeigt sich dieser schmackhafte Pilz, zum Beispiel in grün-violett, wie an diesem Vormittag. Renate Schmidt hockt sich hin, zückt ihr kleines Küchenmesser und schneidet zackig die wenigen verfärbten Stellen von Hut und Stiel. Sie putzt noch schnell die Erde ab, bevor sie den Pilz zu den anderen in den Korb legt. "Es ist wichtig, die Pilze immer sofort beim Sammeln zu putzen", empfiehlt sie.
"Für Pilze kann man sich schon wegen der Ästhetik begeistern"
Ein Hinweis nicht nur im Sinne der Sauberkeit in der heimischen Küche. "Damit lässt man die Teile der Natur im Wald, die wir nicht brauchen", ergänzt sie. Und Waldtraut Kerstan fügt an: "Damit können sich die Pilze weiter vermehren." Nachhaltigkeit im Kleinen. Und in gewisser Weise eine Ehrerweisung an die Natur, die die Menschen in schlechten Zeiten versorgt hat, wie sich Waldtraut Kerstan noch genau erinnert. Nach dem Krieg haben Pilzgerichte vielfach den Hunger geschmälert, erzählt die 86-Jährige von früher.
Nur ein paar Schritte, nachdem die beiden das erklärt haben, gerät Renate Schmidt regelrecht aus dem Häuschen. Sie stapft dumpf durch das feuchte Laub an einen Baumstumpf heran. Der holzbewohnende Samtfußrübling hat dort viele Köpfchen gebildet. Sie geht in die Hocke und schnippelt los. "Die Stiele sind zäh. Man sollte sie gleich abschneiden und nur den Hut mitnehmen", sagt die Pilzkennerin, während sie Gesagtes gleich tut. Ihr Körbchen fürs Mittagsmahl füllt sich.
Unterwegs geraten die beiden Frauen auch an viele giftige Pilzarten: vom Fliegenpilz bis zu ungenießbaren Fälblingen, Duftmilchlingen, Weißen Trichterlingen oder blutblättrigen Hautköpfen. Mancher davon ist dafür in anderer Hinsicht nützlich. "Der Frauengruppe Bartha aus der Spinnstube in Hundisburg habe ich einmal blutblättrige Hautköpfe mitgebracht", berichtet Renate Schmidt. Sie haben damit prompt ihre Wolle schön rot gefärbt.
Die weniger bekannten Arten sind aber auch für Spaziergänger interessant - weil sie sehr schön anzusehen sind. Das betrifft zum Beispiel die violetten Lamellen mancher Lacktrichterlinge oder Blutreizker. Wer also bei einem ausgiebigen Spaziergang am langen Wochenende einfach die Freude an der Natur genießen will, dem legt die Pilz-Freundin Renate Schmidt ans Herz: "Für Pilze kann man sich schon wegen der Ästhetik begeistern. Die schönen Lamellen und wie schön sie gebaut sind. Einfach wunderbar."