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Der Halberstädter Hauptbahnhof wird heute als "Bahnhof des Jahres 2011" ausgezeichnet Von der "Blechbüchse" zum "Schmuckkästchen"

Von Ulrich Kasten 24.10.2011, 04:29

Dem Halberstädter Hauptbahnhof wird heute der Preis "Bahnhof des Jahres 2011" in der Kategorie Stadt unter 100 000 Einwohnern verliehen. Ulrich Kasten, Verkehrspolitischer Sprecher des BUND-Landesverbandes Sachsen-Anhalt, ruft die wechselhafte Geschichte des Bahnhofsgebäudes in Erinnerung.

Halberstadt l Die Arbeiten an den Strukturen des Bahnhofes und seines Umfeldes begannen schon im November 1996. So ist es mehr als gerechtfertigt, jetzt noch einmal allen unmittelbar Beteiligten, Unterstützern, Geldgebern und Genehmigungsbehörden für ihr Engagement zu danken! Kernstück für den Personenverkehr ist das sanierte Bahnhofsgebäude nebst Nebengebäude (Bahnhofsmission). Hier wurde eine Arbeit "abgeliefert", die sowohl historische Wurzeln aufnimmt, die Zerstörung des Halberstädter Bahnknotens am 7. und 8. April 1945 nicht ignoriert oder kaschiert und die Ansprüche an ein Reisezentrum im 21. Jahrhundert in der Kreisstadt des Landkreises Harz vollinhaltlich erfüllt.

1843: Erste Bahnstrecke nach Halberstadt nimmt Betrieb auf

Dazu sollte man sich noch einmal die Historie des Eisenbahnknotens Halberstadt ins Gedächtnis rufen: Am 15. Juli 1843 wurde die erste Bahnstrecke nach Halberstadt feierlich in Betrieb genommen. Sie endete damals im Kopfbahnhof an der Schützenstraße vor den damaligen Toren von Halberstadt. Es folgte die Inbetriebnahme der Strecke Halberstadt-Wegeleben-Thale im Juli 1862, der Strecke Halberstadt-Wasserleben-Vienenburg im März 1869, des Anschlusses Heudeber-Danstedt-Wernigerode im Mai 1872, der Strecke Halberstadt-Halle im Oktober 1872 und der Strecke Halberstadt-Blankenburg im März 1873. Von diesen Strecken zweigten in verschiedenen Bahnhöfen weitere lokal wichtige Strecken zur Flächenerschließung ab. Deren Bau konzentrierte sich auf das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts.

Schon bald nach der Eröffnung des Halberstädter Kopfbahnhofes zeigten die geplanten Streckenerweiterungen seine Kapazitätsgrenzen. Im Jahr 1865 wurden erste Pläne für einen Bahnhofsneubau als Durchgangsbahnhof nordöstlich des Kopfbahnhofs bekannt. Schon drei Jahre später erfolgte die Eröffnung des neuen Personenbahnhofes mit neuem Empfangsgebäude am heutigen Standort.

Ab 28. Juni 1887 verband die erste Pferdestraßenbahn mit zwei Linien die Kernstadt mit dem neuen Halberstädter Hauptbahnhof. Das Bahnhofsgebäude selbst wurde in den Jahren bis etwa 1910 regelmäßig erweitert und architektonisch verbessert.

Am 7. und 8. April 1945 wurde der Eisenbahnknoten Halberstadt fast vollständig zerstört, das Empfangsgebäude dabei zu knapp 50 Prozent. Bis 1950 wird dessen Funktionsfähigkeit wiederhergestellt.

Dazu gehörten Fahrkartenschalter, Gepäck- und Fahrradaufbewahrung, Diensträume und eine Mitropa-Gaststätte. Zum 20. Jahrestag der DDR 1969 erfolgte im Zeitraum 1968 bis 1970 eine optische Aufwertung des Gebäudes - so entstand unter anderem die "Blechbüchse" genannte Vorhangfassade.

Mit Gründung der BRD sank die Bedeutung des Bahnhofs

Die Bedeutung des Eisenbahnknotens Halberstadt sank mit der Gründung der BRD 1948 und der DDR 1949, da die Hauptverkehrsstrecken in Richtung Westen durch die Grenzziehung geteilt wurden. Es entstanden mehrere Stichstrecken, die bis Ende der 1960er Jahre komplett bedient, dann im Nebenstreckenbereich stillgelegt oder nur noch im Güterverkehr bedient wurden. Vielen wird noch in Erinnerung sein, dass der Halberstädter Hauptbahnhof auch wichtiger Stützpunkt der Transportpolizei war. Diese befragte in den von Norden und Osten nach Halberstadt fahrenden Zügen regelmäßig besonders jüngere Leute und Alleinreisende nach ihren Reisezielen und kontrollierte zumindest die Personalausweise. Technische Entwicklungen bei der Deutschen Reichsbahn - zum Beispiel Diesel- statt Dampfloks - änderten nichts am provisorischen, zusammengeflickten Zustand der Gebäude aus der Zeit von 1946 bis 1950. Das war auch zum großen Bahnhofsfest im Juli 1993 zum 150. Jahrestag der Eröffnung der Strecke Magdeburg-Halberstadt und 125 Jahren Personenbahnhof Halberstadt die Sachlage.

Mit der offiziellen Inbetriebnahme der Neubaustrecke zwischen Stapelburg und Vienenburg am 1. Juni 1996 war Halberstadt wieder direkt in das niedersächsische Streckennetz eingebunden. Diese Strecke ersetzte die alte Hauptstreckenverbindung Halberstadt-Heudeber-Danstedt-Wasserleben-Vienenburg und die Nebenstreckenverbindung Heudeber-Danstedt-Wernigerode-Stapelburg-Bad Harzburg. Alles beherrschendes Thema im Bahnbereich war in diesen Jahren allerdings die 1994 vollzogenen Fusion von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn und die damit eingeleitete Aufspaltung in viele selbständig - manchmal auch gegeneinander - agierende Struktureinheiten. Trotzdem gelang es DB Netz nebst Partnern das Projekt "Expo-Referenzstrecke Halle-Halberstadt-Goslar-Hannover" auf den Weg zu bringen. Die von Fachleuten bevorzugte Wiederherstellung der durchgängigen Zweigleisigkeit wurde verworfen. Auch elf Jahre nach der Expo ist weder durchgängig die für die Neigetechniktriebwagen vorgesehene Höchstgeschwindigkeit gesichert, noch erlaubt das von der DB eingesetzte Fahrzeugmaterial diese Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h auch zu fahren!

Die Notwendigkeit einer Sanierung des Halberstädter Empfangsgebäudes wurde immer offensichtlicher. Das scheiterte weiterhin an sich ändernden Zuständigkeiten bei der Deutschen Bahn, zum Teil an der Mittelbereitstellung und der Definition der zukünftigen Funktionen in diesem Hauptgebäude. Nachdem der Landtag von Sachsen-Anhalt am 28. September 1995 das erste ÖPNV-Gesetz des Landes mehrheitlich beschlossen hatte, nahm 1996 die Nahverkehrsservicegesellschaft des Landes Sachsen-Anhalt (NASA) als "Ausführungsorgan" des Landesverkehrsministeriums ihre Arbeit auf. Schon im November 1996 erfolgte der erste Spatenstich für die Neugestaltung des Bahnhofsumfeldes. Die Bauarbeiten für die Schnittstellen des städtischen und kreislichen ÖPNV wurden 2001 abgeschlossen.

Empfangsgebäude wird unter Denkmalschutz gestellt

1997 wurde der Klinkerziegelbau des Empfangsgebäudes unter seiner Verblendung unter Landesdenkmalschutz gestellt. 1998 waren die Schäden an der Verkleidung so augenscheinlich, dass die Deutsche Bahn die gesamte Hülle entfernen ließ. Das war trotz vieler und hoher bereitstehender Landesfördermittel leider nicht der Auftakt zur Sanierung des Gebäudes. Die von der Bahn 1998 veranlassten Bauarbeiten im ehemaligen Mitropa-Bereich waren Voraussetzung für den Einzug eines Supermarktes.

Im Juli 1999 wurde anlässlich des Sachsen-Anhalt Tages in Halberstadt die vom Land geförderten Projektunterlagen in Form der Ansichten des sanierten Bahnhofsgebäudes in der Schalterhalle ausgehängt. Einmütig stellten Landesverkehrsministerium und Landtag für 2001 für dessen Sanierung 18 Millionen Mark in den Landeshaushalt 2001 ein. Diese Mittel wurden von den zuständigen Stellen der Deutschen Bahn nicht abgerufen. Grund war ein von Bahnchef Hartmut Mehdorn 2001 verfügter Investitionsstop für alle Bahnprojekte in Sachsen-Anhalt. Trotzdem brachte der Halberstädter Bahnhof weiter Gewinn durch Stationsgebühren, sechsstellige Mietzahlungen pro Jahr des Verbrauchermarktes, Mieteinnahmen durch Bäcker, Bistro und Buchhandlung. Allerdings flossen diese Einnahmen nicht in die Sanierung des Bahnhofsgebäudes. Inzwischen hatte sich der Halberstädter Bahnhof den Titel "Deutschlands schäbigster Bahnhof" erschlichen.

Im Jahr 2003 wurde das Nordharznetz als erste Ausschreibung für Schienenverkehr-Leistungen in Sachsen-Anhalt europaweit ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt die Connex Sachsen-Anhalt GmbH (2006 in Veolia Verkehr Sachsen-Anhalt GmbH umbenannt), die am 11. Dezember 2005 den planmäßigen Betrieb im Nordharznetz aufnahm.

2006/2007 setzte die DB Netz AG den kompletten Neubau des Gleisfeldes des Halberstädter Bahnhofs um. Es blieben lediglich einige Gleise im Bereich der alten Güterzuggleise liegen. Der Supermarkt verlängerte seinen Mietvertrag in diesem "Gebäudeambiente" und bei gesetzlich verfügter Öffnung der Ladenschlusszeiten nicht. Die Deutsche Bahn verlor ihr Interesse an einer weiteren Nutzung des Gebäudes. Die Stadtverwaltung Halberstadt und ihre Partner konnten 2006 endlich den Durchbruch erzielen: Am 22. Dezember unterzeichnete die Geschäftsführung der städtischen Holding Nosa den Kaufvertrag für das Bahnhofsgebäude.

Das ursprünglich dazugehörige Grundstück mit Wasserturm an der Wehrstedter Brücke wurde an einen privaten Käufer veräußert. Dieser hat aus dem "rostigen Entlein" inzwischen ein Schmuckstück gemacht.

Um einen zügigen Baubeginn zu sichern, wurden die genehmigten Planungen von 1999 als Arbeitsgrundlage und gegebener baulicher Rahmen genutzt. Nach Übergabe des Fördermittelbescheid des Landes Sachsen-Anhalt am 16. Mai 2008 und der Bestätigung des Gesamtprojektes durch das Eisenbahnbundesamt erfolgte am 17. November 2008 der offizielle Baustart. Am 4. Dezember 2009 war Richtfest und am 15. August 2010 konnte das sanierte Bahnhofsgebäude feierlich der allgemeinen Nutzung übergeben werden.

Zwei Wermutstropfen mindern die Freude

Halberstadt hat jetzt einen Bahnhof, der bundesweit für positive Bewertungen sorgt und in seinem Gesamtansatz beispielgebend ist. Darauf können nicht nur die Halberstädter, sondern alle Nordharzer stolz sein. Nun kommt es darauf an, dieses in diesem Bereich stadtbildbestimmende Ensemble bestmöglich zu nutzen und für die kommenden Generationen zumindest in dieser Form zu erhalten!

Allerdings gibt es noch zwei Wermutstropfen: Das Reiterstellwerk "Hw" am westlichen Bahnhofskopf steht unter Denkmalschutz. Sein Zustand ist erbärmlich und muss dringend verbessert werden. Die gusseisernen Bahnsteigüberdachungen der ehemaligen Bahnsteige 1a/1b und 2a/2b stehen unter Denkmalschutz und sollten nach Abschluss der Umgestaltung des Gleisfeldes auf dem Hausbahnsteig wieder aufgebaut werden. Das ist bis heute nicht erfolgt.