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Warnstreik  Erzieher kämpfen für mehr Anerkennung

Rund 50 Mitarbeiter von Kitas und Horten haben für einen Warnstreik in Halberstadt die Arbeit niedergelegt.

Von Sandra Reulecke 14.04.2018, 01:01

Halberstadt l Für sich selbst streike sie nicht, sagt Sybille Strehlow und winkt ab. „Wozu? Ich habe bald mein letztes Arbeitsjahr.“ Der Halberstädter Hortleiterin geht es um die Qualität der Kinderbetreuung, der derzeitigen und der künftigen. Um eine gute zu gewährleisten, seien Fachkräfte nötig. „Wenn wir gute Leute wollen, muss auch die Bezahlung stimmen“, betont sie. Deshalb beteilige sie sich am Warnstreik, zu dem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für Freitag aufgerufen hatte.

Die Forderung: Eine Tariferhöhung um sechs Prozent, beziehungsweise 200 Euro monatlich mehr bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Praktikanten und Auszubildende sollen 100 Euro monatlich mehr erhalten.

In die roten Westen der Gewerkschaft gehüllt, streiken rund 50 Mitarbeiter von mehreren Kindertagesstätten und Horten, die sich in Trägerschaft der Stadt Halberstadt befinden. Sie wollen nicht nur mehr Geld, sie wollen vor allem, dass ihr Job an Ansehen gewinnt, sagen viele der Teilnehmer. Zu ihnen gehört Franziska Grahl. „Ich finde es schade, dass unser Beruf nicht mehr wertgeschätzt wird“, sagt die 29-Jährige. „Viele denken, wir verbringen den Tag mit Spielen und Kaffee trinken – dass wir ein Bildungsprogramm umsetzen, ist ihnen nicht bewusst.“ Dabei sei gerade die Umsetzung der pädagogischen Konzepte eine größer werdende Herausforderung.

Wie die GEW mitteilt, sind bei Erziehern überdurchschnittlich hohe Krankenstände zu verzeichnen. Diese seien die Folge von Arbeitsverdichtung und wachsenden Anforderungen. Und je mehr Leute erkranken, desto mehr müssen die Kollegen, die arbeiten, versuchen, zu kompensieren, berichtet Franziska Grahl.

„Wenn ich ausgeglichen und zufrieden zur Arbeit komme, merken die Kinder das. Im umgekehrten Fall aber auch“, sagt Martin Pasewald. Seit einem Jahr leitet er die Kita „Holzbergwichtel“ in Sargstedt. Mit 24 Kindern zählt sie zu den kleineren Einrichtungen der Stadt. „Bei uns ist die Situation eigentlich gut“, sagt der zweifache Familienvater. Deshalb haben einige Eltern bei der Ankündigung der Arbeitsniederlegung mit Unverständnis reagiert. „Ich streike aus Solidarität mit denen, bei denen es schlechter aussieht. Ich möchte ein Teil des Ganzen sein“, erläutert Pasewald. Eine bessere Bezahlung sei für die Arbeit der Erzieher eine Anerkennung und trage zu deren Zufriedenheit bei. „Und davon profitieren dann auch die Kinder.“

Die Arbeit eines Erziehers sei in den vergangenen Jahrzehnten generell schwieriger geworden, berichtet Sybille Strehlow mit Blick auf ihre 42-jährige Berufserfahrung. Inklusion sei ein Grund dafür. Kinder mit besonderen Bedürfnissen bräuchten mehr Aufmerksamkeit, gibt die Hort-Leiterin zu bedenken. „Auf vieles, was sie erwartet, werden die Erzieher in ihrer Ausbildung gar nicht vorbereitet.“

Hinzu kämen Erwartungen, die einige Mütter und Väter an die Erzieher stellen. Es gebe Eltern, die die Verantwortung für ihre Kinder regelrecht abladen wollen. Diesen Eindruck hat André Stadler. „Manche erwarten, dass Erzieher den Kindern vermitteln, wie Schuhe zugebunden und wie mit der Schere umgegangen wird“, berichtet der Ergotherapeut mit einer Zusatzqualifikation zur pädagogischen Fachkraft. „Aber auch die Eltern müssen in der Erziehung ihren Beitrag leisten.“

Rechte und Pflichten sind auch während des Warnstreiks Thema. Die Gewerkschaft hat am Freitag eine Fortbildung mit einer Juristin organisiert. „Fürsorge, Aufsicht und Haftung“ lautet das Thema.

Ab Montag können Mütter und Väter aus Halberstadt wieder aufatmen: Alle Tagesstätten und Horte im Stadtgebiet öffnen dann zu den regulären Zeiten. Zumindest vorerst. Denn – sollte es zu keiner Einigung zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern kommen – drohen unbefristete Streiks, kündigt Frank Wolters vom GEW-Landesverband. „Zuletzt war das 2015 der Fall.“ Ob es auch dieses Mal soweit kommt, entscheidet sich bei den weiteren Tarifgesprächen an diesem Wochenende in Potsdam.