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Rückblick Wie in Osterwieck eine Investruine verhindert wurde

Vor 25 Jahren sind die Gebäude Neukirchenstraße 34 bis 36 zu neuem Leben erweckt worden. Bis heute hat kein zweites Sanierungsvorhaben in der Altstadt so lange gedauert.

Von Mario Heinicke 01.12.2024, 10:00
Die Fachwerkhäuser Neukirchenstraße 34 bis 36 sind vor 25 Jahren mit riesigem Aufwand gerettet worden.
Die Fachwerkhäuser Neukirchenstraße 34 bis 36 sind vor 25 Jahren mit riesigem Aufwand gerettet worden. Fotos (2): Mario Heinicke

Osterwieck. - Es hat schon einige mehrjährige Gebäudesanierungen in der Osterwiecker Altstadt gegeben. Der Bunte Hof in der Rössingstraße benötigte bis zur Einweihung mit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) 2016 etwas mehr als vier Jahre; am Fachwerkobjekt Tanne in der Rosmarinstraße wird jetzt seit vier Jahren saniert. Ob dieses das bisher langwierigste Bauvorhaben seit Beginn der Altstadtsanierung 1991 wird, muss sich erst noch zeigen. Denn dieser keinesfalls erstrebenswerte Rekord steht bisher bei sechs Jahren. Aufgestellt vor genau 25 Jahren, als nach dem Malergewerk die Baugerüste an den Fachwerkhäusern Neukirchenstraße 34 bis 36 fielen und in einen Geschäftsraum Augenoptikermeister Detlef Kleinfeld eingezogen war. Die acht Wohnungen konnten dann Anfang 2000 bezogen werden.

Der Zustand dieser Häuserzeile war nach der Wende kaum besser als später beim Bunten Hof oder der Tanne vor deren Sanierungsbeginn. Aber immerhin haben sie alle die DDR überlebt. Denn Tanne und Neukirchenstraße 34 bis 37 waren ebenso wie die Alte Post, Nikolaistraße 2, Mitte der 1970er Jahre in einer Sanierungskonzeption der Stadt Osterwieck zum Abriss vorgesehen gewesen – im Zuge eines ersten zur sozialistischen Umgestaltung vorgesehenen Stadtquartiers. Das ist aber zum Glück für die Altstadt nie realisiert worden.

Bei den drei Hausnummern 34 bis 36 handelt es sich auch historisch nur um zwei Gebäude, denn die Nr. 34/35 dürfte 1562 schon als ein Haus erbaut worden sein.

Der Osterwiecker Ortschronist und Ehrenbürger Theo Gille (1918 bis 2011) hatte 57 Jahre in der Neukirchenstraße gleich gegenüber gewohnt und deshalb mit ganz besonderem Interesse den Bau verfolgt sowie auch dessen Geschichte recherchiert. Als die Häuser im Dezember 1999 mit den bunten Fassaden ihr neues Gesicht zeigten, schrieb er in einem Volksstimme-Beitrag begeistert von einem Wunder. Fünf Jahre zuvor hatten nur noch Teile der Fassaden gestanden.

Ein dänischer Architekt, der in Osterwieck tätig war, hatte einen Landsmann als Investor geworben. Nachdem dieser die Häuser 34 bis 36 von der Stadt Osterwieck erworben hatte, begannen die Arbeiten Anfang 1994.

Die Hölzer wurden aus Dänemark geliefert. Ein Harzer Holzbildhauer schnitzte fehlende beziehungsweise beschädigte Rosetten nach. Schon im Oktober 1995 begannen die Malerarbeiten. Anfang 1996 wurden die Arbeiten allerdings eingestellt. Das Geld des Investors war alle gewesen. Zu dem Zeitpunkt war das Vorhaben zu drei Viertel abgearbeitet.

Dem Objekt drohte das Schicksal einer Investruine. Im Juli 1998 kam es zur Zwangsversteigerung. Die Volksbank Halberstadt gab mit 510.000 Mark das höchste Gebot ab – und wurde damit neuer Eigentümer. Die Bautätigkeit konnte fortgesetzt werden.

Die Bauleitung übernahm ein Osterwiecker Architekt. Doch nun wurde das Ausmaß einer zuvor mangelhaften Bauausführung sichtbar. Die Innenräume mussten in der Folge teilweise entkernt und alte Balken ausgewechselt werden. Sogar die obere Saumschwelle des Hauses Nr. 36 musste durch eine neue ersetzt werden. „Das Ergebnis ist eine solide Handwerksarbeit“, brachte Theo Gille in einem Volksstimme-Beitrag vor 25 Jahren seine Freude über die Fertigstellung zum Ausdruck. Sein Dank dafür galt damals ausdrücklich der Volksbank Halberstadt für deren Engagement.

Bewahrt wurden somit auch für Osterwieck einmalige Fachwerk-Schnitzereien: ein Dudelsackpfeifer mit Eule und Davidstern. Was diese symbolisieren, konnte damals selbst von Fachleuten im Denkmalpflegezentrum Fulda nicht geklärt werden.

Was den Stern betrifft, stieß dann aber Ortschronist Willy Hahn, Gilles gleichaltriger, lebenslanger Weggefährte, auf eine Deutung als Brauhaus. Die beiden Dreiecke stehen demnach als Symbole für Feuer und Wasser, die man zum Brauen benötigt. Zum Erbauungszeitpunkt der Neukirchenstraße 34/35 besaß Osterwieck als eine von nur drei Städten (außerdem Aschersleben und Halberstadt) im Bistum Halberstadt das Brau-Monopol.

Ein Foto aus der Bauphase unter dänischer  Leitung.  Später  mussten  Konstruktionsfehler und Folgen des zwischenzeitlichem Leerstands mit großem Aufwand behoben werden.
Ein Foto aus der Bauphase unter dänischer Leitung. Später mussten Konstruktionsfehler und Folgen des zwischenzeitlichem Leerstands mit großem Aufwand behoben werden.
Archivfoto: Mario heinicke
Für Osterwieck einmaliger Fachwerkschmuck: Dudelsackpfeifer mit Eule und Davidstern. Zumindest der Sechsstern konnte gedeutet haben: Es soll sich im 16. Jahrhundert um ein Brauhaus mit Gastwirtschaft gehandelt haben.
Für Osterwieck einmaliger Fachwerkschmuck: Dudelsackpfeifer mit Eule und Davidstern. Zumindest der Sechsstern konnte gedeutet haben: Es soll sich im 16. Jahrhundert um ein Brauhaus mit Gastwirtschaft gehandelt haben.
Heinicke