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Abtreibung Paragraph 218 brachte Frauen ins Gefängnis

Das Wochenblatt im Landkreis Börde nannte einst Namen der Frauen, die wegen versuchter Abtreibung vor Gericht standen.

Von Marita Bullmann 03.01.2019, 00:01

Haldensleben l Seit Monaten wird im Bundestag und in anderen Gremien über den Paragraphen 219a diskutiert. Bisweilen wurde dabei auch der § 218 mit hinzugezogen. Vor einem Jahrhundert drohte Frauen Gefängnis, wenn sie eine ungewollte Schwangerschaft beenden wollten. Der Paragraph 218 des Reichsstrafgesetzbuches war 1872 in Kraft getreten und sah bei Abtreibung eine Zuchthausstrafe von bis zu fünf Jahren vor.

Vor 100 Jahren gibt es im Wochenblatt zahlreiche Veröffentlichungen zu Vergehen gegen den besagten Paragraphen. Nachgelesen werden kann das im Kreis- und Stadtarchiv. Am 21. Juni 1918 war nachzulesen, dass eine junge Frau aus Beendorf dem Amtsgerichtsgefängnis Weferlingen zugeführt wurde, sie stehe im Verdacht, gegen § 218 SGB verstoßen zu haben.

Kurz vorher stand in der Zeitung über eine Verhandlung des Magdeburger Landgerichts: „Die Kammer verurteilte 1. die ledige Dorothee Meinecke zu Klein Ammensleben, geb. 1895, wegen versuchten Verbrechens gegen den § 218 des Strafgesetzbuches zu sieben Wochen, 2. die Badeanstaltsbesitzerin und Masseuse Luise Seidel geb. Rilius, Magdeburg geb. 1883, wegen Beihilfe zu 1 Jahr, 3. die verehelichte Elise Behns geb. Wesemann zu Klein Ammensleben, geb. 1891, wegen Beihilfe zu 2 Wochen Gefängnis.“

An einem anderen Tag hieß es: „Das Schwurgericht zu Magdeburg verurteilte in nichtöffentlicher Sitzung das Dienstmädchen Marie Middendorf zu Gutenswegen wegen versuchten Verbrechens gegen § 218 SGB zu 4 Monaten, die verehelichte Anna Hartig, geb. Pohl, aus Magdeburg wegen Beihilfe dazu zu 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis, auf die Strafen werden je zwei Monate Untersuchungshaft angerechnet.“

Aus dem Gericht gab es weitere Beispiele: „Wegen Verbrechens gegen § 218 des SGB wurden die verehelichte Elisabet A. zu Neuhaldensleben und die verehelichte Elisabeth Z. daselbst zu je sechs Monaten Gefängnis verurteilt.“ „Im Schwurgericht in nichtöffentlicher Sitzung wurde gegen 1. die verehel. Sattlermeister Anna Markworth geb. Walter zu Ohrsleben geb. 1884 wegen Verbrechens gegen § 218 SGB die verehel. Eisenbahnarbeiter Luise Borstel, geb. Dier, zu Biederitz geb. 1861, wegen Verbrechens gegen § 219 SGB und Beihilfe zu einem versuchten Verbrechen gegen § 218 verhandelt. Die Geschworenen bejahten nur die Schuldfrage nach dem versuchten Verbrechen und Beihilfe dazu in zwei Fällen, billigten auch der Frau M. mildernde Umstände zu. Der Gerichtshof verurteilte diese zu 6 Monaten Gefängnis, Frau Borstel zu 1 Jahr Gefängnis.“

Im Juni 1918 erfuhren die Leser auch, dass der Buchhändler Flügge aus Helmstedt wegen Vergehen gegen Paragraph 219 Strafgesetzbuch am 20. des Monats festgenommen wurde. Danach hieß es aus Emmerstedt: „Festgenommen wurde die Ehefrau des zum Heere eingezogenen Bergmanns M., weil sie sich in Gemeinschaft mit dem in Helmstedt bereits festgenommenen Buchhändler Fl. des Verbrechens gegen § 218 SGB schuldig gemacht hat.“

Doch nicht nur um versuchte Abtreibung und Beihilfe dazu nach den Paragraphen 218 und 219 ging es damals im Wochenblatt. Leider wurde auch mehrfach über die Tötung von Neugeborenen berichtet.

So veröffentlichte das Wochenblatt am 28. September 1918 diese Meldung: „Wegen Kindesmordes hatte sich die Arbeiterin verehelichte Josefa Skupin, geb. Zyba aus Hötensleben vor dem Schwurgericht zu Magdeburg zu verantworten. Sie soll am 1. März des Jahres ihr Kind gleich nach der Geburt auf dem Vorwerk Neubau in die Abortgrube geworfen haben, so dass es erstickte. Die Geschworenen bejahten auf Grund der Verhandlung nur die Schuldfrage wegen fahrlässiger Tötung, demgemäß verurteilte der Gerichtshof die Angeklagte zu 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis und rechnete darauf 2 Monate Untersuchungshaft als verbüßt an.“

Über einen Leichenfund in Oschersleben schrieb das Wochenblatt: „Unter dem Dach der Kaserne des früheren Bodensteinschen Hofes wurde eine in einen Unterrock eingewickelte Leiche eines neugeborenen Kindes vorgefunden. Nach Lage der Sache hatte die Leiche schon längere Zeit dort gelegen, sie war ganz zusammengetrocknet.“

Nach Hoffnung für Frauen sah es aus, als über die „Besserstellung der Unehelichen“ berichtet wurde. Dazu hieß es: „Der rührige ,Bund für Mütterschutz‘ unter der unermüdlichen Leitung von Helene Stöcker hielt jüngst in Berlin eine Versammlung ab, in der auch mehrere Reichsbehörden vertreten waren. Das ist wahrlich eine Genugtuung für die vielen Kämpfe, die der Bund bisher durchzufechten hatte, seine Bestrebungen sind nunmehr anerkannt. Er verlangt insonderheit eine Reform der Rechtsverhältnisse der Unehelichen und zwar möglichst noch während des Krieges, sodann eine erhöhte Liebe und Fürsorge durch die Gesamtheit für alle unehelichen Kinder, denen das Elternhaus fehlt, ihre Erziehung zu vollwertigen Gliedern der Volksgemeinschaft usw. Von welcher Bedeutung diese Bestrebungen sind, erkennt man am besten daraus, dass im Durchschnitt des letzten Jahrzehnts jährlich 178.000 Kinder in Deutschland unehelich geboren wurden.“

Grundlegende Veränderungen vollzogen sich damit allerdings noch nicht. Davon allerdings schrieb das Wochenblatt nichts. Helene Stöcker gehörte auch zu den Mitbegründerinnen des Verbands für Frauenstimmrecht sowie des Bunds für Mütterschutz und Sexualreform. In der Generalversammlung des Bunds deutscher Frauenvereine wurde auf Stöckers Anregung über die Straffreiheit von Abtreibungen und eine Streichung des § 218 abgestimmt. Doch die Mehrheit der Delegierten lehnte die Forderung ab, ist im Internet nachzulesen.

Selbst nach der Einführung des Frauenwahlrechts im Jahr 1918, das erstmals auch Frauen einen Sitz im Reichstag ermöglichte, änderte sich nichts. Die Sozialdemokraten beantragten 1920 im Reichstag, dass der Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten straffrei sein soll.

Eine wirkliche Änderung der Gesetzeslage begann erst 1950 in der DDR. In der BRD wurde 1953 die Todesstrafe für Fremdabtreibung aufgehoben. 1972 wurde ein sehr moderates Gesetz über die Unterbrechung der Schwangerschaft beschlossen. Ein paar Jahre später gab es auch in der BRD neue gesetzliche Regelungen, allerdings nicht so weitreichende wie in der DDR. Nach der Wiedervereinigung stand das Gesetz erneut auf der Tagesordnung, wurde neu gefasst. Jetzt steht der § 219a zur Diskussion. Darin geht es allerdings nicht nur um das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche.