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Coronavirus Morgens um halb zehn in Wieglitz

Trotz Corona-Krise beweisen Dorfbewohner in Wieglitz Geduld. Dacharbeiten finden an der Schifferkirche statt.

Von Anett Roisch 20.04.2020, 01:01

Wieglitz l Morgens halb zehn in Wieglitz – Mischlingshund Ben wird unruhig. Sein wachsamer Blick fällt auf den Kirchplatz. Im Moment, in dem das Fleischerauto um die Ecke kommt, ist der Vierbeiner nicht mehr zu bremsen. Der struppige Wieglitzer ist der erste Kunde, als Vera Weißschnur die Verkaufsklappe öffnet. „Unser Ben geht einkaufen“, sagt Günter Redlich schmunzelnd. Die mobile Fleischverkäuferin weiß ganz genau, was ihr Kunde mit dem treuen Blick und der kalten Schnauze will. „Er kriegt immer einen Knochen. Manchmal ist es ein Schweineschwanz. Heute ist es auch noch ein Schweineohr“, erklärt Margarete Redlich, die als zweite ihre Bestellung bei der hundefreundlichen Verkäuferin aufgibt.

„Auf dem Dorf merkt man es den Menschen nicht so doll an, dass der Coronavirus sie belastet. Alle versuchen, mit der Situation klar zu kommen“, beschreibt Vera Weißschnur, die mit ihrem Mann Bodo ein Fleischergeschäft in Lössewitz betreibt. Sie lobt die Vernunft der Leute, die geduldig den vorgeschriebenen Abstand halten und überaus freundlich und höflich miteinander umgehen.

Über fehlende Einnahmen kann die Geschäftsfrau sich nicht beschweren. „Ostern hatten wir richtig viel zu tun. Die Leute sind alle zuhause und mussten selbst kochen, weil ja alle Gaststätten zu sind“, erklärt die Lössewitzerin. Auch das schöne Frühlingswetter inspiriert – nach den Ausführungen der Fleischverkäuferin – viele Menschen, den Grill für Steaks und Würstchen anzuheizen. Außerdem seien die Dorfbewohner in der jetzigen Situation froh, auf dem Land zu wohnen. „Wenn man hingegen sieht, wie die Familien mit Kindern in ihren Neubaublöcken wohnen und dort eingesperrt sind. Da haben wir es noch richtig gut“, weiß Vera Weißschnur.

Nicht weit von ihrem Verkaufswagen entfernt haben die Dachdecker Andy Losinski und Dirk Vollbeding die Hebebühne ausgefahren. „Wir haben einen Sturmschaden. Sturm Sabine, der vom 9. bis zum 11. Februar in Wieglitz sein Unwesen trieb, hat den Dachschaden verursacht. Bemerkt haben wir die Zerstörung aber erst am 11. Februar“, denkt Helmut Huchel von der evangelischen Kirchengemeinde Wieglitz zurück.

Damit der Makel nicht größer wird, sind jetzt die Fähigkeiten der Dachdecker gefragt. Auch ihr Chef, Dachdeckermeister Ralf Claßen aus Vahldorf, kommt, um sich von der Hebebühne aus das Ausmaß des Schadens anzusehen. „Einige Dachfirsten und auch einige Schieferplatten sind beim Sturm kaputt gegangen. Wir versuchen, die Arbeiten heute noch fertig zu bekommen“, sagt Claßen, der – wie auch seine Mitarbeiter – den Mund- und Nasenschutz dabei hat. Diese Vorsichtsmaßnahme ist für alle noch ungewohnt.

Die Tür der Kirche steht zum leisen Gebet tagsüber offen. „Oft kommen Menschen zum Stillen Gebet und zünden eine Kerze an“, sagte Helmut Huchel.

Einen guten Platz, um das Geschehen auf dem Kirchplatz zu verfolgen, hat Familie Schröder. Mutter Maria Schröder sitzt mit ihren Töchtern Martha, Merle und Minnie auf der Bank. Gemeinsam wird an der frischen Luft gelesen. Auch Katze Schmusi schleicht um die Bank herum und freut sich über jede Streicheleinheit.

Reinhard Schulze, Arbeiter der kommunalen Gemeinde Bülstringen/Wieglitz, dreht mit seinem Rasenmähertraktor auf den Grünflächen vor den Häusern am Kirchplatz seine Runden. Aus allen Ecken des Dorfes bekommt er ein freundliches „Guten Morgen!“ Und auch Wachhund Ben kriegt noch einen Extra-Knochen und liegt zufrieden vor seinem Hoftor.