Landkreis Börde Die Jagdgründe der Frauen
Haldensleben
„Unter Jagen verstehe ich Warten, Dasein, Einssein, Verschmelzen mit der Natur. Man jagt mit ihr, mit dem Wind, mit den Jahreszeiten, abgeschnitten von der menschlichen Zivilisation“, sagt Diana Ahlvers. Ihre Augen leuchten, wenn sie von ihren Erfahrungen und Erlebnissen berichtet. Die junge Frau versteht das Jagen vor allem als Revierarbeit, bei dem das Schützen von Populationen und Pflegen der Wildtiere und ihres Lebensraums in Wald und Flur.
Diana Ahlvers wurde das Jagen als Familientradition sozusagen in die Wiege gelegt. Sie erzählt begeistert: „Schon als Kind wollte ich jagen. Ich stellte mit meinem Opa Fallen auf, fuhr mit meinem Papa in den Wald, zwängte mich durch das Dickicht, suchte Spuren, Fährten und Pflanzen.“ Die heute 35-Jährige erinnert sich an Zeiten zurück, in denen sie mit einer selbstgebauten Zwille loszog.
Das Schießen übte sie von Kindesbeinen an täglich auf Zielscheiben. Heute geht sie immer dann auf die Pirsch, wenn sie neben dem Job, Familie und Haus den Kopf freibekommen muss. Dann nimmt sie ihre Waffe, eine Steyr Mannlicher Kaliber 8x57IS, und zieht bekleidet in grüner Montur mit Hut und Fernglas los und sucht sich ihren Lieblingshochsitz in der Nähe von Calvörde. Dort angekommen positioniert sie die Waffe und lehnt sich zurück.
Adrenalin steigt ins Unermessliche
Für sie war das sogenannte Weidwerk, das Handwerk des Jagens, schon als Kind sehr spannend und auch jetzt erzählt die junge Frau vom Jagen wie von einem aufregenden Abenteuer: „Man ist ein Stück der Natur. Dementsprechend muss man sich auch bewegen und positionieren, damit die Tiere einen nicht so schnell wittern. Wenn du dann die Sicherung der Waffe herausnimmst, steigt das Adrenalin ins Unermessliche.“
Das Schießen ist die größte Herausforderung beim Jagen. Die Umgebung muss sicher, der Moment perfekt abgepasst sein. Wenn Diana Ahlvers ein Tier erlegt hat, ist sie auch nach vielen Jahren Erfahrung noch so aufgeregt, dass sie es kaum erwarten kann, das Wild zu bergen. „Einmal bin ich beinahe vom Hochsitz gestürzt, weil ich so aufgeregt war“, erzählt die Jägerin und lacht. Nach dem Schuss folgt grundsätzlich die „rote Arbeit“, also das Ausnehmen oder sogenannte „Aufbrechen“ des geschossenen Tieres. Das sollte im besten Fall aus hygienischen Gründen unverzüglich nach Eintritt des Todes erfolgen.
Auch dieses Prozedere kennt Diana Ahlvers bereits aus ihrer Kindheit. „Wenn spät abends das große Hoflicht anging, wusste ich, dass mein Papa ein erlegtes Tier bei sich hat. Im Schlafanzug und voller Aufregung half ich ihm dann beim Zerlegen der Kreatur“, erzählt sie. Schon damals habe ihr Papa seiner Tochter vermittelt, dass das Wichtigste die Achtung und der Respekt gegenüber der Kreatur ist.
Jagen ist mehr als stupides Töten
Das Jagen ist für Diana Ahlvers kein Verbrechen an der Natur oder stupides Töten, wie es oftmals von Tierschützern verschrien wird. Als Jägerin steht man immer wieder im Kreuzfeuer. Doch was viele nicht wissen: Jagen ist laut Ahlvers mit aktivem Naturschutz verbunden. Die Überwachung der Wildpopulationen, Land- und Waldbau, Wildkrankheiten und die Pflege des Ökosystems sowie Tier- und Naturschutz seien ganz komplexe Themen, die Jäger in ihrer täglichen Arbeit begleiten.
„Der Ansitz, also das tatsächliche Erspähen von Wild und mehrstündige Warten vom Hochsitz aus, und die Jagd an sich sind der geringste Teil, was das Tun der Jägerschaft ausmacht“, betont sie. Ihr ist die Aufklärung deshalb besonders wichtig: „Man kann uns bei der Revierarbeit begleiten. Wir wollen zeigen, dass wir nicht nur Wild erlegen.“
Grundsätzlich sei es nämlich auch Aufgabe der Jäger, bestimmte Überpopulationen durch bewusstes Erlegen zu regulieren. Beispielsweise haben Waschbären keine natürlichen Feinde und vermehren sich schnell, weshalb sie sogar ganzjährig zum Abschuss freigegeben sind und somit keiner Schonzeit unterliegen.
Diana Ahlvers betont: „Ich finde es gut, die Sinnhaftigkeit vom Jagen zu hinterfragen. Doch dafür ist es immer am besten, sich ein eigenes Bild von der Materie zu machen und zu schauen: Was macht ein Jäger überhaupt?“ Es geht darum, den Blick zu schärfen und biologische Zusammenhänge zu verstehen.
Den Moment auf dem Hochsitz genießen
Für Diana Ahlvers scheinen jedoch besonders die vielen Stunden auf dem Hochsitz eine ganz eigene Magie zu haben. „Das Rausfahren, die Natur und die Ruhe genießen, das Wild beobachten – das ist einfach etwas ganz Tolles! Wenn man im August auf dem Hochsitz sitzt und das Treiben der Böcke beobachtet, muss ich keine Kugel fliegen lassen. Man genießt einfach den tollen Moment geht wieder nach Hause“, erzählt sie. Auch
Doch in der Jägerschaft gibt es nicht nur Alteingesessene, sondern auch Neulinge. Ivonne Risch wuchs nicht mit der Jagd auf. Sie erzählt: „Ich war Stadtkind und hatte im Gegensatz zu vielen Jägerinnen bis vor fünf Jahren nie etwas mit der Jagd zu tun. Ich war zwar immer draußen in der Natur, aber ich hätte wahrscheinlich nie den Jagdschein gemacht, wenn ich nicht eine Freundin kennengelernt hätte, die Jägerin ist. Sie hat mich damals mitgenommen ins Revier.“
Die 44-Jährige findet in dem Weidwerk vor allem Ruhe und einen Ausgleich zum stressigen Arbeitsalltag: „Bin ich einmal draußen, schalte ich sofort ab. Man hört dann ganz genau hin, fokussiert sich auf die Vögel oder auf ein Knacken irgendwo - da ist so viel, was einen spüren lässt, ein Teil der Natur zu sein.“ Für Ivonne Risch ist es grundsätzlich nicht ungewöhnlich, als Frau auf die Pirsch zu gehen und sich für das Weidwerk zu begeistern.
So wie sie schließen sich deutschlandweit immer mehr Frauen der Jägerschaft an. Aktuell zählt die aktive Jägerschaft Haldensleben 58 Frauen. Die Jüngste ist 24 Jahre alt, die Älteste 74. Damit machen die Frauen etwa elf Prozent der Mitglieder der Jägerschaft aus, doch vom Stigma, dass Jäger männlich sein müssen, habe man sich schon lange verabschiedet. „Wir Frauen sind genauso integriert wie Männer“, so Risch. Die Jägerin betont: „Gerade in den letzten Jahren merken wir, dass sich immer mehr Frauen für die Jagd interessieren.“
Tradition der Damenjagd wiederbelebt
Anfang der 80er Jahre gab es Jagden in Haldensleben, an denen ausschließlich Frauen teilnehmen durften, damals noch organisiert vom Rat des Bezirkes Magdeburg. Ivonne Risch erzählt: „Nach der Wende gab es schon Damenjagden in der Region, die damals großen Zuspruch fanden. Leider verlief sich diese mit der Zeit.“ Im Jahr 2019 fasste sie den Entschluss, die Damenjagd wieder aufleben zu lassen. Diese Tradition erfahre seitdem wieder großen Zuspruch. Selbst Jägerinnen, die nicht mehr im Landkreis Börde leben, aber noch Mitglied der Jägerschaft Haldensleben e.V. sind, reisen aus dem Harz oder Bayern an, um an der Jagd teilzunehmen.
In der winterlichen Morgendämmerung brechen die Damen dann zur gemeinschaftlichen Jagd auf. „Es ist immer wieder eine tolle Gemeinschaft, die da zusammenkommt“, freut sich Ivonne Risch. Die Tradition der Jägerinnen lebt in dieser alljährlichen Drückjagd fort. Dem erlegten Wild wird stets gemeinschaftlich die letzte Ehre erwiesen.
Man tauscht sich aus, fachsimpelt und genießt das Beisammensein. Ivonne Risch liebt diese Atmosphäre, die ihr immer wieder auch eine Art der Geborgenheit schenkt. „Der Erfahrungsaustausch, der über viele Generationen hinweg unter den Jägerinnen stattfindet, ist einfach unbeschreiblich. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl verbindet und beschert mir immer wieder Gänsehaut“, erzählt sie.
Dieses Gefühl ist es, dass den beiden Frauen auch als Vorstandsmitglieder der Jägerschaft wichtig ist - Das Weitergeben von Wissen, Erfahrungen und Werten sind elementare Faktoren, die die Tradition und das Brauchtum der Jägerschaft ausmachen. Ivonne Risch betont: „Gerade als Neuling, wie ich es anfangs war, wurde ich sehr unterstützt.“ Dabei steht ein Gedicht von Oskar von Riesenthal als Leitsatz für jeden Jäger: „Das ist des Jägers Ehrenschild, dass er beschützt und hegt sein Wild, waidmännisch jagt wie sich„s gehört, den Schöpfer im Geschöpfe ehrt.“