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Expertentagung Pilzesammeln kommt aus der Mode

Sachsen-Anhalts Pilz-Experten haben sich in Haldensleben zur Tagung getroffen. Neben der Theorie stand auch die Praxis auf dem Programm.

Von Julia Schneider 16.09.2016, 01:01

Haldensleben l Den Flockenstieligen Hexenröhrling, der von außen eine rote Farbe hat, nennt man auch Hexenpilz. „Weil er tintenblau wird, wenn man ihn anschneidet“, demonstriert Eckhard Preikschas. „Er ist auch als Schusterpilz bekannt, weil er auf dem Hut samtig-ledern ist, fast wie ein Schuh“, erläutert der in Hödingen wohnende Pilzsachverständige.

Wie etwa 30 andere ehrenamtliche Pilzsachverständige nimmt Preikschas an einem Treffen des Landesverbandes Sachsen-Anhalt der Pilzsachverständigen in der Haldensleber Jugendherberge teil. Dazu gehört auch, dass die Sachverständigen gemeinsam Pilze sammeln gehen. „Diesmal waren wir bei Pieplockenburg und Kämkerhorst unterwegs“, berichtet Preikschas. Dabei haben die Teilnehmer weitaus mehr gefunden, als sie vermutet hatten. Rund 70 Pilze verschiedener Arten konnten sie zur Auswertung mit zu ihrem Treffen bringen. „Das ist noch immer wesentlich weniger als in den vergangenen Jahren, denn in der Regel finden wir etwa 200 Arten. Aber wenn man die Trockenheit in der letzten Zeit betrachtet, ist das schon eine gute Ausbeute“, sagt Martin Groß, Vorsitzender des Landesverbandes.

Unter den mitgebrachten Exemplaren ist also der „Hexenpilz“. „Den esse ich fast lieber als einen Steinpilz“, gibt Eckhard Preikschas zu. Denn der Flockenstielige Hexenröhrling sei fester und weniger oft von Maden befallen. Sein „Bruder“, der Netzstielige Hexenröhrling, sei allerdings mit Vorsicht zu behandeln. Roh gegessen sei er giftig; in Verbindung mit Alkohol vertragen ihn die meisten Menschen auch in gegartem Zustand nicht. Sie habe es selbst schon ausprobiert – der gebratene Pilz zusammen mit einem Bier habe ihr keine Probleme bereitet, sagt eine Teilnehmerin der Weiterbildung.

„Manche Pilzsachverständigen machen das – sie testen auch giftige Pilze, sozusagen zu Forschungszwecken“, erzählt Waldtraut Kerstan aus Haldensleben schmunzelnd. Sie selbst habe als junge Frau auch einmal getestet, was es mit den Lorcheln auf sich habe. Diesen sage man nämlich nach, giftig zu sein. „Aber erst, wenn man sie das zweite oder dritte Mal aufwärmt“, weiß Waldtraut Kerstan. Getrocknet und gut abgekocht könnten Lorcheln gegessen werden, sagt die 91-jährige. Im Landesverband Sachsen-Anhalt ist sie die älteste Ehrenamtliche, bereits seit 1963 ist Waldtraut Kerstan offizielle Pilzberaterin, hat den Job zuvor aber schon viele Jahre gemacht.

Der Rat, den sie Laien im Umgang mit Pilzen gibt, ist ebenso einfach wie eindringlich: „Sie sollten sich nicht überschätzen. Lieber einen Pilz nicht anrühren oder eben zu einem Pilzberater bringen, als ihn einfach mal zum Test zu essen!“. Die Natur, so sagt Waldtraut Kerstan, lasse sich so schnell nicht in die Karten gucken.

Meist müsse auch ein Sachverständiger einen Pilz über eine längere Zeit beobachten, um etwas über ihn herauszufinden. So gebe es von den einzelnen Pilzgattungen etliche Unterarten, diese sehen je nach Stadium völlig unterschiedlich aus. „Die können auch wir nicht immer sofort zweifelsfrei bestimmen“, erklärt Waldtraut Kerstan. Trotzdem sei es noch nicht vorgekommen, dass sie einen Pilz partout nicht hätte bestimmen können.

Einen Lieblingspilz habe die äußerst erfahrene Rentnerin nicht. „Sie sind alle so sehr interessant und vielseitig. Sie tarnen sich – wie ein Chamäleon“, erzählt sie begeistert. Und auch bei der Zubereitung von Pilzen ist die älteste Pilzberaterin des Landes phantasievoll. „Es gibt so viele Rezepte, man kann jeden Tag ein anderes Pilzgericht essen“, sagt sie.

Für den Laien, der nur Steinpilze und Maronen kennt, hat sie den einfachen Tipp, dann eben auch nur diese Pilze zu sammeln. Denn wer sich nicht auskennt, könne viel verkehrt machen und schneller einen Giftpilz erwischen als ihm lieb ist. „Die hübschesten Pilze sind oft die gefährlichsten“, bringt es Waldtraut Kerstan auf eine einfache Formel und hat dabei den Knollenblätterpilz im Kopf, dessen Aussehen sie sehr mag.

Für Hilfesuchende im Umgang mit Pilzen steht Waldtraut Kerstans Tür Am Kamp in Althaldensleben stets offen. Und so ist es auch mit anderen Pilzberatern der Region – ihre Adressen sind im Internet auf der Seite www.lvps.de/pilzberatung.htm  in einer Liste zusammengefasst.

Jederzeit zur Pilzbestimmung bereit ist auch Renate Schmidt. Die Haldensleberin bietet in jedem Jahr zu Beginn der Pilzsaison – und zwar immer am ersten Sonnabend im September – eine Pilzwanderung an.

So einige Sachverständige gibt es in Sachsen-Anhalt und in der Region um Haldensleben noch. Trotzdem wünschen sich die Pilzberater Nachwuchs in ihren Reihen. Die jungen Leute, so lautet der Konsens, würden sich einfach nicht mehr für das Pilzesammeln interessieren, das noch nach Kriegszeiten ganzen Familien zum Überleben diente. Gerne, so sagen viele der Pilzberater, seien sie bereit, junge Leute „anzulernen“. Im Internet könnten sich Interessenten mit dem Verband in Verbindung setzen.

An dem Nachmittag in der Haldensleber Jugendherberge ist die Ausstellung der gesammelten Pilze auch für Außenstehende einsehbar. Einige Gäste staunen darüber, was Fachmann Hartmut Schubert erzählt, der zur Auswertung der Fundstücke aus dem Harz angereist ist. Er geht beispielsweise näher auf bestimmte Baumpilze ein und erzählt auch von einer Rarität, die die Pilzsammler an diesem Tag mit im Körbchen hatten. Der sogenannte Fliegentöter sei ein echter „Killer-Pilz“, denn er setze sich an Fliegen fest und töte sie letztendlich.

Wissen wollten die Pilz-Laien von den Profis aber auch, wann denn nun endlich Pilze im Wald sprießen werden. „Erst muss es natürlich anständig regnen. Dann dauert es so eine Woche, bis die Pilze wieder wachsen“, erklärt Landesverbands-Vorsitzender Martin Groß.