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Hermes-Einsatz Tag nach Todesfällen in Haldensleben

Am Tag nach dem Tod zweier Hermes-Mitarbeiter blieb das Paketzentrum Haldensleben geschlossen. Mitarbeiter trauern um Kollegen.

16.10.2019, 23:01

Haldensleben l Christian Lübke ist die Aufregung noch immer anzumerken, als er über den Dienstagabend spricht. Er sei erschrocken, als er vom Großeinsatz gehört habe, berichtet der 43-Jährige. Und dann besorgt. Seine Frau arbeitet bei Hermes. Sie hat am Dienstagabend Spätschicht.

Lübke schaltet den Fernseher an, liest die Meldungen im Internet. Es gibt viele Gerüchte in den sozialen Medien. Sein Pieper meldet sich nicht, obwohl er Feuerwehrmann in Satuelle ist. Nicht alle Feuerwehren der Region werden zum Einsatz gerufen. Lübke macht sich trotzdem bereit, für alle Fälle. Und überlegt, einfach hinzufahren. Dann kommt seine Frau nach Hause, etwa zwei Stunden früher als sonst. Die Betriebsleitung hat die Belegschaft vorzeitig nach Hause geschickt.

Etwa 135 Feuerwehrleute sind am Dienstagabend in Haldensleben im Einsatz. Dazu einige Polizisten sowie Einsatzkräfte des Landkreises vom Amt für Brand-, Katastrophenschutz und Rettungswesen. Insgesamt rund 170 Frauen und Männer.

Viele Feuerwehrmänner stehen am Abend nur bereit vor den Toren von Hermes und warten, während andere auf dem Gelände nach giftigen Substanzen suchen. Auch der Kleinbus des 45-jährigen Paketboten, der am Nachmittag tot am Waldring auf dem Süplinger Berg aufgefunden wurde, wird von Fachleuten durchsucht. Sie finden keine Stoffe, die den Tot der beiden Männer sofort erklären könnten.

Am Tag danach sind auf dem Süplinger Berg vor dem Haus mit der Adresse Waldring 83 weiße Rosen und Kerzen niedergelegt. Rot-weißes Flatterband mit der Aufschrift „Polizeiabsperrung“ hängt noch in den Büschen und an Laternen. Immer wieder bleiben Anwohner dort stehen. Auch Dirk Probst. Er wohnt in der Nachbarschaft. Als er am Unglücksort steht, zückt er sein Smartphone und fotografiert Rosen und Kerzen. „So etwas habe ich hier noch nie erlebt“, sagt er. In der vergangenen Nacht sei die ganze Straße in blauem Licht erschienen, überall seien Polizei und Feuerwehrautos zu sehen gewesen, berichtet der 52-Jährige. Was da passiert ist, sei richtig schlimm, betont er.

Dann kommt eine andere Anwohnerin mit ihrem Hund zur Tür heraus, aus dem Aufgang mit der 83, der Aufgang, vor dem der Paketbote gefunden wurde. Die Frau war dabei.

Ein Nachbar und ihr Schwager hätten den Mann aus seinem Kleinbus geholt, berichtet die 63-Jährige, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Dann hätten sie ihn in die stabile Seitenlage gelegt, gegen 16 Uhr sei das gewesen. Die Rettungskräfte konnten dann nur noch den Tod des Mannes bestätigen.

„Es war wirklich schlimm“, betont sie, sichtlich bedrückt. Mit einem mulmigen Gefühl sei sie spät in der Nacht ins Bett gegangen und habe dann doch nicht richtig schlafen können. „Das lässt einen nicht los, ich bin emotional aufgewühlt. Ich glaube, das geht vielen hier so“, sagt sie. Später wolle auch sie noch eine Kerze dazustellen.„Ich bin sehr traurig“, betont sie.

Bedrückt ist die Stimmung am Mittwoch auch unweit des Ortes, an dem der andere Hermes-Mitarbeiter starb. In kleinen Grüppchen stehen die Mitarbeiter am Nachmittag vor den Toren des Paketzentrums an der Hamburger Straße zusammen. Es ist 14 Uhr, gleich sollte die Spätschicht im Logistik-Zentrum beginnen. Mit eben jenen Leuten, die am Tag zuvor wegen des Großeinsatzes früher nach Hause geschickt wurden.

Dieses Mal beginnen sie die Schicht nicht einmal. Die Mitarbeiter sollen gleich wieder nach Hause fahren.

Viele hatten aus dem Radio erfahren, dass der Betrieb zur Spätschicht wieder aufgenommen werde. Einige sind von der Informationspolitik ihres Arbeitgebers irritiert. Eine Frau aus Haldensleben berichtet, sie seien auch während des Großeinsatzes im Unklaren gelassen worden. Um 19.30 Uhr hätten die Bänder im Versandzentrum stillgestanden, sagt sie. Während dann draußen vor den Toren das Großaufgebot von Feuerwehr und Polizei in Stellung ging, habe man sie ratlos am Band zurückgelassen, zwei Stunden lang. Angst habe sie gehabt, wirft ihre Kollegin ein. Die beiden Frauen sagen, sie hätten erst zu Hause vom toten Paketboten erfahren.

Auch am Mittwoch habe beide niemanden im Unternehmen erreicht, der ihnen hätte sagen können, ob sie zur Spätschicht kommen müssten. „Es ist schon traurig, dass keiner Bescheid weiß“, sagt eine von ihnen. Ihren Namen in der Zeitung lesen möchten die Hermes-Besschäftigten nicht.

Etwas abseits vom Eingangstor stehen drei Männer zusammen und diskutieren. Auch sie sind vergeblich zur Spätschicht gekommen. Sie kannten den Mitarbeiter, der am Dienstagmorgen an seinem Arbeitsplatz verstorben war, nach Erkenntnissen der Polizei vom Mittwoch wahrscheinlich an einem Herzinferkt.

Unter den Kollegen sei der 58-Jährige Magdeburger beliebt gewesen, berichtet einer der drei. Nachdem sie von seinem Tod erfahren hätten, sei die Stimmung am Dienstag ohnehin schon schlecht gewesen. Dass der Großeinsatz mit dem Tod ihres Kollegen zusammenhänge, habe sie dann überrascht.

„Eine Störung“ hieß es, berichtet eine weitere Mitarbeiterin über den Dienstagabend. „Wir dachten zuerst, die Feuerwehr würde eine Übung machen.“ Seit 24 Jahren arbeite sie im Unternehmen, sagt sie. „So etwas haben wir hier noch nicht erlebt“, betont die Haldensleberin. Dass niemand am Standort arbeite, habe es selbst während der Streiks nicht gegeben.

Auch Unternehmenssprecher Thomas Voigt kann sich nicht daran erinnern, dass die Bänder bei Hermes in Haldensleben schon einmal so lange still gestanden haben. Zur Informationspolitik der Firma betont er, auch die Betriebsleitung habe am Dienstagabend „keine Klarheit über die Situation“ gehabt.

Am Mittwochvormittag sei dann nicht ersichtlich gewesen, dass die Polizei erneut eine Prüfung wolle. Das hab dann kurzfristig zum Ausfall der Spätschicht geführt. Am frühen Abend ging Voigt davon aus, das der Betrieb im Haldensleber Paketzentrum am Abend um 22 Uhr wieder aufgenommen werden kann.