1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Haldensleben
  6. >
  7. Mit Abstand und Zeitplan einkaufen

Coronavirus Mit Abstand und Zeitplan einkaufen

Wie gehen Menschen in ländlichen Gebieten mit dem Coronavirus um? Die Volksstimme hat sich in Dorst, Calvörde und Uthmöden umgesehen.

Von Anett Roisch 27.03.2020, 00:01

Dorst/Uthmöden/Calvörde l Menschenleer scheint Dorst zu sein. Plötzlich rollt hupend ein Verkaufswagen durch das Dorf. Einen Einkaufsladen gibt es im kleinen Ort am Rand der Colbitz-Letzlinger Heide schon lange nicht mehr.

An altgewohnter Stelle hält deshalb der rollende Laden vom Calvörder Bäckermeister Denni Nitzschke nach einen wöchentlichen Zeitplan direkt vor dem Jagdschloss. Eilig kommen Dorster aus verschiedenen Richtungen. Per Knopfdruck öffnet Wenke Bohne, die in Kusey zuhause ist, die Theke. Anders als sonst weist ein großes Schild darauf hin, dass die Einkäufer den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von 1,5 Meter einhalten müssen. Die Dorster kennen längst die neuen Verhaltensregeln, die es nun zu beachten gibt. Statt Händeschütteln gibt es ein freundliches „Guten Morgen“ und ein aufmunterndes Lächeln. „Ich habe das Brotauto per Telefon unter 039051/98 81 60 herbestellt“, verkündet Herbert Lüddecke nicht ohne Stolz auf seine Idee. Der Dorster erklärt, dass es ihm sehr wichtig sei, dass das Versorgungsfahrzeug nicht von „sonst woher“ kommt, sondern ein einheimisches Unternehmen ist.

„Durch den Coronavirus habe ich einige Haltestellen mehr als sonst. Deshalb bin ich auch in Dorst einige Minuten zu spät“, entschuldigt sich die mobile Verkäuferin, die laut Fahrplan im Internet immer mittwochs und freitags kurz nach 9 Uhr in Dorst Station macht. Trotz der aktuellen Situation seien – nach ihren Ausführungen – die meisten Menschen auf dem Lande noch guter Dinge. „Viele sind überaus froh und dankbar, dass wir trotz Corona Pandemie noch unsere Waren anbieten“, weiß Wenke Bohneberg. Viele der älteren Herrschaften hätten selbst keine Fahrerlaubnis. Da sei der mobile Einkaufsmarkt oft die Rettung in der Not.

„In Dorst haben viele ältere Leute noch ihre Kinder, die für sie alles mit organisieren, damit sie selbst nicht losfahren müssen“, sagt Holmer Pankrat. Auch er erledigt für seine Eltern die Besorgungen. Außerdem gibt es immer Nachbarn, die aushelfen. „Wenn man die Bilder und Dokumentationen jeden Tag im Fernsehen sieht, wird vielen der Ernst der Lage bewusst. Die Älteren bleiben zuhause, das Einkaufen fürein-ander hat sich eingespielt“, beschreibt Pankrat.

„Die Dorster haben schon immer zusammen gehalten“, weiß Lüddecke, der noch zum Spaß nach Klopapier fragt und so – trotz der kleinen und großen Ängste – für Heiterkeit sorgt. Auch die Verkäuferin macht trotz Zeitnot alle Späße mit. Eine 81-jährige Dorsterin kommt hinzu. Auch sie hält Abstand. „Für mich ist das Bäckerauto wichtig. Ich hole immer mein Weißbrot. Alles andere kauft mein Junge“, erklärt die betagte Dorsterin. „Manche haben keine Verwandten in der Nähe, andere wollen ihre Kinder nicht belasten und kaufen deshalb das Nötigste bei mir am Wagen ein“, weiß die Kuseyerin aus Erfahrung.

Wegen der besonderen Situation hat sie das Sortiment auf ihren Einkaufsmobil erweitert. Neu an Bord hat sie Bockwürste in Büchsen, Wurst in Gläsern, Nudeln, Kartoffeln, Mehl und Obst. „Manchmal gehe ich, um Extrawünsche zu erfüllen – nach meiner Tour extra noch für die Kunden einkaufen“, erzählt Wenke Bohneberg. Groß ist die Freude über Büchsen mit Fisch in Tomatensoße. So manches lässt die Verkäuferin einfallen, damit sie ihre Kundschaft überraschen kann.

„Brot und Kuchen kaufe ich jeden Mittwoch und Sonnabend am Bäckerauto. Heute brauche ich nur Brot. Mein Mann hatte erst vor kurzem Geburtstag, da haben wir noch ganz viel Kuchen übrig“, erklärt Therese Wilde beim Halt des Ladens auf vier Rädern in Uthmöden.

Wenig los ist in der Calvörder Einkaufsstraße. „Ich fahre gezielt zu kleinen Geschäften und nicht zu großen Supermärkten“, sagt Martin Hofmann, der in der Nähe von Kassel zuhause ist, jetzt aber für die Forst im Letzlinger Revier arbeitet und Brötchen für das Frühstück kauft. Für einige Stunden am Tag steht in Calvörde die Tür des Elektrogeschäftes von Burkhard Schulze offen. „Bitte warten Sie! Immer nur ein Kunde darf den Laden betreten“, erklärt Verkäuferin Birgit Fuhrmann und zeigt auf das Schild an der Eingangstür. Ein breiter Tisch sorgt außerdem für den Sicherheitsabstand zum Kunden.

„Es sind deutlich weniger Menschen unterwegs“, sagt Verkäuferin Anja Preuße. Sie empfindet es als bedenklich, dass bei den aktuellen Warnungen immer noch einige ältere Leute in den Laden kommen. „Ein über 90-Jähriger kam zum Beispiel, um einen Bingo-Schein zu kaufen“, erzählt sie und motiviert, dass doch die Angehörigen solche Wege erledigen sollten. Andersrum habe sie auch Verständnis dafür, dass die Leute mal an die frische Luft müssen. „Unser Geschäft hat geöffnet, weil wir unter anderem ein Paket-Shop sind. Wir verkaufen auch Zeitungen und Postwertzeichen“, zählte Anja Preuße auf.

„Omaaa, Omaaa“, ruft eine zarte Stimme von draußen durch die offene Ladentür. „Das ist mein eineinhalbjähriger Enkel. Und ich darf nur winken“, sagt Birgit Fuhrmann und antwortet tröstend: „Hallo Tili, mein Schöner. Die blöde Zeit ist bald vorbei.“