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Urteil Gericht sieht keine Tötungsabsicht

Eine Frau aus dem Landkreis Börde ist in Magdeburg wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einem halben Jahr Haft verurteilt worden.

Von Bernd Kaufholz 08.06.2017, 23:01

Magdeburg/Haldensleben l Das Urteil, das der Vorsitzende der Magdeburger Schwurgerichtskammer, Dirk Sternberg, am Nachmittag verkündete, hatte sich bereits am ersten Prozesstag angedeutet. Da nämlich hatte das Landgericht den Haftbefehl des Amtsgericht Haldensleben wegen des Vorwurfs, versuchter Totschlag, aufgehoben. Trotzdem atmet selbst Strafverteidigerin Angelika Krause hörbar auf, als sie das milde Urteil hörte.

Kerstin P. war angeklagt worden, versucht zu haben, ihre Mutter am 18. Januar dieses Jahres in Haldensleben nacheinander mit je einem Kissen zu ersticken. Vorausgegangen waren Monate, in denen sich die Angeklagte „aufopferungsvoll“ – so das Gericht – um die kranke und pflegebedürftige Frau gekümmert hatte. Dreimal am Tag war sie von ihrem Wohnort mit dem Bus zur Mutter in Haldensleben gefahren, um ihr zur Seite zu stehen.

Allerdings sei das Verhältnis zur damals 79-Jährigen, das bereits in der Kinder- und Jugendzeit der Angeklagten schwer belastet war, immer schwieriger geworden. Der Tattag sei dann so etwas wie der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sagte Sternberg in der Urteilbegründung. Nach einer verbalen Auseinandersetzung der beiden Frauen mit Beleidigungen und Beschimpfungen durch die Kranke, habe die Tochter zum Kissen gegriffen, um die 79-Jährige „ruhig zu bekommen“. Eine Tötungsabsicht sei der Angeklagten nicht nachzuweisen.

Zudem billigte die Kammer Kerstin P. erheblich verminderte Schuldfähigkeit zu. Das Geschehen sei eine „Affekttat“ gewesen, wie sie zuvor von Psychiaterin Dr. Hanna Zajontz in ihrem Gutachten charakterisiert worden war. Die Angeklagte sei mit der Pflege völlig überfordert gewesen und sei zudem selbst lange Zeit krank gewesen. Die Familie habe Schulden gehabt und der Ehemann sei damals arbeitslos gewesen. Dieses Gemenge habe zum Schluss dazu geführt, dass es nur noch eines nichtigen Anlasses bedurfte, um die Tat auszulösen.

Erhebliche Zweifel äußerte der Vorsitzende an den Angaben der Mutter. So habe die 79-Jährige bei der Polizei noch ausgesagt, dass die Tochter beim Verlassen der Wohnung gesagt habe: „Kümmere dich nun um dich selber“. Beim Prozess habe sie als Zeugin ausgesagt, dass die Tochter wortlos gegangen sei. Nachdem die Tochter am nächsten Tag den Arzt gerufen hatte, habe die Mutter gesagt, sie sei aus dem Bett gefallen. Erst später habe sie einem Rettungssanitäter vom Angriff mit Kissen berichtet. Beim Prozess war von drei Kissen nacheinander die Rede, bei der Polizei habe das Opfer nur von zwei Kissen gesprochen. Auch, dass die Pflegebedürftige nicht über den zwei, drei Meter entfernt befindlichen Notknopf an der Basisstation den Rettungsdienst alarmiert hatte, sei verwunderlich. Der Vorwurf, dass die Tochter das Armband mit dem mobilen Notknopf versteckt habe, sei somit nicht nachzuvollziehen.

Es stehe „Aussage gegen Aussage“, so Sternberg. „Es kann alles so gewesen sein, wie es die Mutter behauptet hat, oder auch nicht.“ Diese Ungewissheit könne allerdings nicht zu Lasten der Angeklagten ausgelegt werden. „Das Gericht muss sich sicher und die Beweise müssen belastbar sein.“

Auf der Plusseite sah das Schwurgericht das Geständnis der Angeklagten, die mehr als vier Monate nicht gerechtfertigte Untersuchungshaft, die Belastung durch die Pflege, den aufgrund der Provokation des Opfers spontanen Tatentschluss, dass P. am nächsten Morgen den Arzt benachrichtigt hat und die Tat bereut. Auf der Minusseite stehe die „Todesangst“ des Opfers und die – wenn auch vergleichsweise geringen – Verletzungen wie Abschürfungen.

Aufgrund der positiven Sozialprognose setzte die Kammer die Strafe zwei Jahre zur Bewährung aus.

Die Staatsanwältin und der Nebenklagevertreter hatten wegen gefährlicher Körperverletzung vier Jahre Haft gefordert, die Strafverteidigerin „ein mildes Urteil“.