Junge Wasserwanderer aus dem Landkreis Stendal hinterließen überall einen angenehmen Eindruck Beim Paddeln ist vor allem Teamgeist gefragt
Viele Wege führen nach Havelberg - vor allem auf dem Wasser. Seit 1994 lädt das Havelberger Jugendzentrum in den Sommerferien zu Kanu-freizeiten ein - diese führten bislang immer auf anderen Strecken entlang.
Havelberg. Bei der diesjährigen Pfingstpaddeltour saß er erstmals in einem Kanu - und jetzt absolvierte er in dem Gefährt gleich 270 Kilometer am Stück: Der 18-jährige Havelberger Marcus Habel hat neben der Leichtathletik ein weiteres sportliches Hobby entdeckt. Gern erinnert er sich an den Ruhetag in Oranienburg mit dem beeindruckenden Besuch im einstigen KZ Sachsenhausen sowie an den Abschluss auf dem Gahlberg bei Strodehne.
"Ich fand die Tour ganz cool", so das Fazit des 17-jährigen Tangermünders Dominik Kampf. Das Paddeln war nicht zu anstrengend, er würde vielleicht nächstes Jahr noch einmal ins Boot steigen.
Erstmals in einem Kanu saß der 13-jährige Stephan Schanz aus Kläden beim Zeltlager im Vorjahr in Kamern, bekam dabei Lust auf mehr. Dieses Jahr nahm auch er gleich die große Tour in Angriff. Eine Sitte aus den Anfängen hat sich bis in die Gegenwart erhalten: Jeden Tag werden die Bootsbesatzungen getauscht, so lernt jeder den anderen kennen. Hinten im Boot sitzen die Steuerleute - alles erfahrene Paddler. Jeder Steuermann ist für sein ihm zugeteiltes Boot verantwortlich. Seit Anbeginn ist es zudem Usus, dass die Arbeiten auf möglichst breite Schultern verteilt werden: Das Küchenzelt ist abzubauen, das Geschirr zu waschen, und die Boote sind zu säubern. Jeder kommt dabei an die Reihe.
"Ich fand die Paddeltour ganz cool"
Überhaupt wird bei den Touren Teamgeist und Kameradschaft ganz groß geschrieben: Wichtig ist, dass am Ende jeder das Ziel erreicht. Beim Ein- und Aussteigen hilft man sich gegenseitig, ebenso beim Umtragen von Hindernissen.
Wege auf dem Land mussten in diesem Jahr einige zurückgelegt werden, vor allem bei den ersten beiden Etappen in der Feldberger Seenplatte. Der längste Landweg - zwischen Dreez- und Krüselinsee - maß um die 400 Meter. Viele der Gewässer hier wiesen glasklares Wasser auf, oft konnte man bis auf den Boden schauen. Motorboote sind hier tabu.
Besonders eindrucksvoll war der urwüchsige und schnell fließende Küstriner Bach, hier hatten die Paddler in diesem Jahr endlich Glück: Eigentlich ist das elf Kilometer lange Fließ mitten im Naturpark zumeist wegen niedrigen Wasserstandes gesperrt, damit der Gewässerboden nicht zerstört wird. Denn hier siedelt neben dem Eisvogel auch die vom Aussterben bedrohte Kleine Bachmuschel. Vor einigen Jahren musste der Bach noch mühsam umtragen werden.
Doch diesmal waren die Gewässer teils randvoll, was auch beim 60 Kilometer langen und um 1720 unter dem Soldatenkönig errichteten Havelländischen Hauptkanal zu merken war: Viele der insgesamt sechs Wehre standen offen und mussten nicht umtragen werden.
Auf dem Campingplatz in Feldberg startete die Tour bereits 2003, doch führte sie auf anderen Wasserwegen nach Havelberg. Erste Etappenziele waren jetzt Lychen und danach Zehdenick, wobei durch urwüchsige Natur gepaddelt wurde. Im Stolpsee hinter Lychen trafen die Paddler auf die Havel, hier hatten sie mit recht hohen Wellen zu kämpfen.
Eigentlich sollte bei der nächsten Etappe - Ziel war Oranienburg - durch die Schnelle Havel gepaddelt werden. Dieses Gewässer befindet sich noch fast im Urzustand, ähnlich wie der Küstriner Bach. Doch ist der Fluss wegen Naturschutzauflagen gesperrt worden, weshalb die Wasserwanderer auf den Voss- und den Oder-Havel-Kanal ausweichen mussten.
In den Berliner Gewässern herrschte reger Schiffsverkehr, ins Auge stachen den Paddlern besonders die Wassermotorräder, auch Jet-Ski genannt. Hinter Henningsdorf mit seinem großen Stahlwerk ging es in den Havelkanal, hier wurde bis Brieselang gepaddelt.
Am dortigen Campingplatz beginnt der Hauptkanal, auf dem die Jugendlichen bis Paulinenaue paddelten. Weil der Sportplatz, wo übernachtet wurde, ein Stück vom Gewässer entfernt lag, wurden die Boote am Kanal liegen gelassen, zwei Betreuer übernahmen die Wache. Anderntags ging es über 44 Kilometer bis nach Semlin am Hohennauener See, dort war man erstmals beim Rathenower Segelclub zu Gast.
Die vorletzte Etappe führte zum Gahlberg bei Strodehne, wo die Abschlussfeier stattfand - mit Büfett, Trikotübergabe und Lagerfeuer. Bei der achten und letzten Etappe wurde bei stetem Gegenwind über 17 Kilometer nach Havelberg gepaddelt.
In diesem Jahr spielte auch das Wetter mit, nur drei kleine Regenschauer gab es gleich zu Beginn. Ansonsten regnete es in der Nacht, doch da schützten die Zelte. Und wenn nicht wie im Vorjahr dauernd die Sonne drückt, paddelt es sich auch sehr angenehm.
Das relativ kühle und sonnenarme Wetter hat zudem den Vorteil, dass sich in kleineren Wasserläufen die Wasserpflanzen nicht so stark vermehren - die Paddler hatten den Hauptkanal vor Jahren ganz anders in Erinnerung. Damals war er mit einer zentimeterdicken Wasserlinsen-Schicht bedeckt. In diesem Jahr war er überraschend auf der gesamten Strecke gemäht, ein Mähboot kam den Paddlern entgegen.
"So ruhig hat sich noch keine Jugendgruppe verhalten"
Auf diversen Zeltplätzen wurden die Jugendlichen argwöhnisch erwartet, die Camper befürchteten Belästigungen durch Lärm. Doch wurden sie eines Besseren belehrt. In Oranienburg lobte der Hafenmeister bei der Abfahrt: "Wir hatten schon viele Jugendgruppen hier, aber so ruhig hat sich noch keine verhalten."
Sicher ist dies auch den teils recht langen Etappen geschuldet, die so manchen jungen Paddler abends erschöpft auf die Luftmatratze sinken lassen. Immerhin bis zu 50 Kilometer mussten dieses Jahr an einem Tage bewältigt werden, alles in allem waren es 271 Kilometer.
Manche Paddler erreichen auch mal ihre Leistungsgrenze. Doch ist das gewollt - schließlich soll man sich aufeinander verlassen können, einer dem anderen beistehen. Dieses solidarische Miteinander, was mancher hier erst lernt, ist einer der Gründe, warum die Touren stattfinden - und vielleicht auch, weshalb sie sich trotz der Strapazen weiterhin regen Zuspruchs erfreuen.
Im Gedächtnis haften blieb bei vielen Paddlern der Besuch im einstigen Konzentrationslager Sachsenhausen. In dem Oranienburger Stadtteil errichteten die Nazis eines ihrer ersten KZ, später wurde es sogar zum "Vorzeigeobjekt". Das neu gestaltete Museum beeindruckt den Besucher vor allem durch viele sehr persönliche Sichtweisen und Zeitdokumente, macht so das grauenvolle Geschehen erlebbarer als ab-strakte Opferzahlen. Die drei Stunden reichten für den Rundgang nicht aus, viele Jugendliche wären gern noch länger geblieben. Deshalb will das Jugendzentrum in Kürze eine Tagesfahrt nach Sachsenhausen mit Kleinbussen anbieten.
Der Teilnehmerpreis für die Paddeltour konnte Dank der Unterstützung des Jugendamtes Stendal auch in diesem Jahr auf niedrigem Niveau gehalten werden. Somit war es auch Jugendlichen aus weniger gut bemittelten Familien möglich, die Schönheiten der Havellandschaft zu erpaddeln. So mancher wird sicher sein Leben lang an diese Ferienfreizeit zurückdenken.