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Dürreperiode Im September 1911 war die Havel ein Rinnsal

Der Sommer dieses Jahres wird als Jahrhundertsommer tituliert. Ein Blick in die Geschichte lehrt, dass es aber kein Einzelfall war.

Von Ingo Freihorst 07.09.2018, 18:00

Elb-Havel-Region l Im Sommer 1911 herrschte ebenfalls eine lange Dürre mit extremen Temperaturen. Ansichtskarten zeigen Fotos vom ausgetrockneten Stadtgraben in Havelberg, denn die damals noch nicht angestaute und regulierte Havel fiel fast trocken.

Zur hydrometeorologischen Situation ist auf der Internetplattform „Undine“ der Bundesanstalt für Gewässerkunde folgendes zu erfahren: Nach einem milden Winter, der mit ergiebigen Niederschlägen Anfang März ausklang, begann eine erste längere trockene Periode, die bis Ende April andauerte. Der Mai war, abgesehen von einzelnen ergiebigen Regentagen, weitgehend trocken. Nachdem der Juni nach trockenem Beginn eine etwa durchschnittliche Niederschlagsmenge gebracht hatte, setzte ab Juli eine bis Mitte September anhaltende ausgesprochen trockene Phase ein. Extrem betroffen waren Gebiete östlich und südlich des Harzes. So fielen in Magdeburg vom 28. Juli bis zum 13. September nur 3,5 Millimeter Niederschlag.

Mit der Trockenheit einher ging eine außergewöhnliche Hitzeperiode – wie auch in diesem Jahr. Schon der Mai 1911 brachte überdurchschnittliche Temperaturen. Auf einen kühlen Juni folgte ein warmer Juli. In der letzten Juli-Dekade stiegen die Temperaturen steil an und hielten sich bis 14. August kontinuierlich auf hochsommerlichem Niveau. Es gab ungewöhnlich hohe Spitzentemperaturen, in Magdeburg wurden bis zu 37,5 Grad Celsius gemessen. Mitte August wurde es kühler, bis Anfang September traten jedoch noch immer heiße Tage auf.

Der niedrigste Elbe-Wasserstand wurde am Pegel Dresden am 14. August 1911 registriert, am Pegel Barby am 18. August. Auch in den Unterläufen von Saale und Havel stellten sich Rekordniedrigstände ein.

Im Prignitz-Museum Havelberg waren im dort archivierten „Havelberger Tageblatt“ weitere Einzelheiten zu diesem Dürrejahr zu erfahren, welche die Elb-Havel-Region betrafen. In jenem Jahr brannte es ebenfalls an vielen Stellen. So riefen am Nachmittag des 5. Juni in Schönhausen die Sturmglocken zu einem Waldbrand: In der Kabelitzer Heide brannte eine 15-jährige Tannenschonung im Umfang von neun Morgen nieder.

Der niedrige Wasserstand der Elbe machte der Schifffahrt frühzeitig zu schaffen: Am 10. Juni war in der Zeitung zu erfahren, dass ein mit 18 000 Zentnern Kohle beladener Kahn oberhalb der Strombrücke Magdeburg leck geschlagen war. Der Dampfer „Borussia“ konnte ihn noch bis nach Tangermünde schleppen. Der Pegel der Elbe stand an jenem Tag in Magdeburg bei 1,20 Metern.

Der Winterroggen auf leichten Böden hatte unter der Trockenheit gelitten, der Weizen kaum, war am 13. Juni zu erfahren. „Am meisten hatten die Sommerhalmfrüchte infolge der Dürre eingebüßt, stellenweise war die Sommerung direkt vertrocknet... Der Ertrag der Futterpflanzen lässt sehr zu wünschen übrig, auch die Heuernte fällt bei fehlendem Untergras sehr mäßig aus.“ Etliche Landwirte gaben sämtliche Wiesen fürs Vieh frei. Als ob die Dürre nicht schon genug wäre, machte auch noch die Maul- und Klauenseuche den Landleuten zu schaffen.

Der maximale Tiefgang der Schiffe zwischen Garz und Rathenow durfte am 17. Juni nur noch 1,15 Meter betragen. Auf der flachen Elbe geschah Anfang Juli ein weiteres Unglück: Der Eisbrecher „Delphin“, welcher nach Lauenburg unterwegs war, fuhr oberhalb von Werben mitten im Strom auf einen Anker und begann zu sinken. In der größten Not fuhr die Besatzung das Schiff in ein Buhnenfeld und setzte es auf Grund. Eigentlich sollte das Schiff in Lauenburg helfen, dort festgefahrene Schiffe abzuschleppen.

Am 11. Juli ist zu erfahren, dass allein zwischen Havelmündung und Mühlenholz 25 Schleppzüge im Wasser lagen, teils waren sie festgefahren. Ein Dampfer aus Wittenberge, der mit 175 Mitgliedern des Vereins „Germania“ einen Ausflug ins Mühlenholz unternehmen wollte, musste kurz vorm Ziel alle Gäste ausbooten.

In der Elbe traten die ersten Hungersteine zu Tage. Der interessanteste unter ihnen lag unterhalb der Tetschener Kettenbrücke: Auf ihm waren die Jahreszahlen 1616, 1636, 1707, 1716, 1790, 1800, 1811, 1842, 1868, 18. August 1892, 16. Juli 1893 und 16. Juli 1904 zu lesen. Wegen des niedrigen Elbe-Pegels wird die Schifffahrt zwischen Berlin und Hamburg am 18. Juli komplett eingestellt. Der Elbe-Pegel Magdeburg zeigt an jenem Tage einen Stand von 34 Zentimetern, in Tangermünde sind es 58 und in Wittenberge 28 Zentimeter. Unter den Tangermünder Schiffern regt sich Unmut – sie sind der Ansicht, dass man durchaus noch auf der Elbe fahren könne.

Der 22. und 23. Juli waren mit 36 Grad Celsius die heißesten Tage, in Havelberg erlitt eine Frau einen Hitzschlag und es gab heftige Gewitter. Bei Gumtow in der Prignitz schlug ein Blitz in einen Stall ein und tötete eine Kuh, auch in Glöwen wurde eine Kuh auf der Koppel erschlagen. In Sükow schlugen gleich mehrere Blitze ein, einer traf den Kirchturm und setzte ihn in Brand. Auch in Laaslich brannte eine Scheune ab. In Jederitz brannte es im Wohnhaus der Witwe Mathilde Kurth nach einen Blitz-einschlag, wurde am 27. Juli vermeldet.

Aus Sandau wird am 7. August berichtet, dass sich an der versandeten Elbe ein recht belebtes Bild zeige: Über 150 Wasserfahrzeuge, darunter mehrere Dampfer, haben sich angesammelt. Davon profitieren die Sandauer Händler, denn die Besatzungen müssen sich mit Proviant eindecken.

Der Pegel in Magdeburg zeigt nur noch 4 Zentimeter, der Tangermünder 27 und der in Wittenberge sogar 0 Zentimeter an. Von der Feuerwehr muss auf der Sandauer Märsche ein Brand bekämpft werde, welcher 25 Morgen Weide vernichtete.

Der Wasserstand der Elbe erreicht am 10. August einen neuen Tiefststand: In Dresden steht der Pegel bei 233 Zentimern unter Null, das sind zwei Zentimeter weniger als im Dürrejahr 1904. Auch dort wird nun der Schiffsverkehr eingestellt.

Am 16. August ist im „Tageblatt“ zu erfahren, dass die Dorfteiche zumeist ausgetrocknet sind, so dass sie gereinigt und vertieft werden können. Der Landrat ersucht die Gemeindevorsteher, die Arbeiten binnen acht Tagen zur Ausführung bringen zu lassen. Die trockenen Tümpel bringen ein weiteres Problem mit sich: Es mangelt an Löschwasser. Deshalb vergibt die Landfeuersozietät Beihilfen zum Bau von Brunnen, welche sowohl als Trinkwasser- als auch als Feuerlöschbrunnnen genutzt werden können.

Der Niedrigwasserrekord der Elbe am Pegel zu Dom Mühlenholz aus dem Jahr 1904 mit 21 Zentimetern wurde am 22. August 1911 eingestellt. Das war acht Tage früher als im ebenfalls schon arg trockenen Jahr 1904 – ein Ende war 1911 allerdings noch nicht in Sicht. Der Pegel Tangermünde stand bei 11 Zentimeter.

Wegen der Dürre werden die Frachtkosten für den Bahntransport für die Landwirte halbiert. Weitere Hilfen können wegen der Maul- und Klauen-Seuche jedoch nicht gewährt werden. Viele Bauern verkaufen ihr Vieh wegen des Futtermangels zu Billigstpreisen. Felddiebstähle mehren sich in erschreckender Weise, gestohlen werden Kohl, Zuckerrüben und Kartoffeln.

Zwei des Schwimmens unkundige 16-jährige Mädchen ertrinken am 26. August nahe Sandau beim Baden in der Elbe, das Flussbett ist hier trotz des niedrigen Wasserstandes noch bis zu vier Meter tief. Am 29. August musste auch die Nitzower Feuerwehr in Aktion treten, zehn Morgen Wiesen der Bauerngutsbesitzer Stamer und Treu verbrannten.

Der Havelberger Stadtgraben oberhalb der Laufbrücke ist am 30. August so weit ausgetrocknet, dass man ihn ohne Schwierigkeiten durchschreiten kann. Nur ein schmales Rinnsal verbindet ihn noch mit der Havel. Weiter heißt es: „Begünstigt durch den niedrigen Wasserstand wurden die Uferbefestigungsarbeiten hinter dem Stadtschulhause, wo die Holzbefestigungen, die fortgesetzt Reparaturen erforderten, durch gemauerte ersetzt werden. Die Arbeiten nähern sich der Vollendung.“

Der wegen der Dürre vorherrschende Futtermangel zeitigt auch beim Pferdemarkt seine Außenwirkungen: Es werden so viele Pferde wie lange nicht mehr aufgetrieben, denn jeder will seine Bestände verkleinern. Der rege Andrang führt an 4. September zu einem weiteren Unglück: Der Zug konnte wegen der ungewohnt vielen Waggons beim Eintreffen am Havelberger Bahnhof nicht zum Halten gebracht werden, die Lokomotive durchbrach den Prellbock und kippte die Böschung herunter.

Der Wasserstand der Havel fiel Anfang September nochmals um volle neun Zentimeter und wies am 5. September 1911 den neuen Niedrigwasserrekord von -0,03 Zentimetern auf. Die Wasserstandsuhr an der Langen Brücke blieb bei 0,5 Zentimetern stehen und konnte den Stand nicht mehr aufzeichnen. Der Stadtgraben unter der Laufbrücke war nun komplett ohne Wasser.

Für die nachfolgenden Generationen wurden im Oktober 1911 auch in Havelberg zwei Hungersteine an der Stadtschule sowie an der Steinbrücke versenkt. Sie trugen die Inschrift: „5. 9. 1911, Wasserstand -0,03“. Die Zeitung schreibt weiter: „Hoffentlich bekommt die jetzt lebende Generation den Stein nach seiner Versenkung nicht mehr zu Gesicht.“

Diese Hoffnung wurde inzwischen mehr als erfüllt, denn nach ihrer Regulierung und dem Bau von diversen Staustufen kann die Havel niemals wieder trockenfallen.