Opfer des Zweiten Weltkrieges nehmen in Aufzeichnungen von Flora Pütsch den meisten Platz ein Gedenkbücher enthalten Erinnerungen an Schönhauser, die ihr Leben verloren
Bevor die Schönhauser am Sonntag anlässlich des Volkstrauertages an drei Ehrenmalen Kränze niederlegten, fand in der Kirche ein Gottesdienst statt, in dem an die gefallenen Schönhauser in besonderer Weise erinnert wurde.
Schönhausen l Flora Pütsch, 2006 verstorben, war in Schönhausen aufgewachsen, lebte viele Jahre im Westen Deutschlands und besuchte ihre alte Heimat vor allem nach der politischen Wende sehr oft. Viel Mühe investierte sie in das Erstellen von drei akribisch angefertigten "Gedenkbüchern" für die Schönhauser Toten der Kriege seit der napoleonischen Invasion um 1806. Ihr Vorwort endet mit dem Satz: "Dies Gedenkbuch möchte ich meiner Heimatgemeinde Schönhausen übereignen mit der Bitte, es Interessierten zugänglich aufzubewahren."
Das will der Gemeindekirchenrat nun auch tun. "Sobald das Lager der Epitaph-Teile am Mahnmal der Kriegstoten des Ersten Weltkrieges in der Nordwest-Ecke der Kirche wieder aufgehoben ist, sollen die drei Gedenkbücher hier einen würdevollen Platz bekommen", versichert Pfarrer Ralf Euker. "Damit würde dann auch den Gefallenen des Zweiten Weltkrieges in unserer Kirche ein Andenken gegeben werden." Den Impuls zu dieser Verfahrensweise hatte der gerade 89 Jahre alt gewordene Schönhauser Hans Paulßen gegeben. Er kannte Flora Pütsch sehr gut und auch ihm ist sehr daran gelegen, dass die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät.
Bis zur Unterbringung in der Kirche können die Gedenkbücher im Pfarrhaus angesehen werden.
Auf die Schönhauser Opfer der napoleonischen Kriege folgen in der Auflistung die Toten des Preußisch-Österreichischen Krieges von 1866 und die des Deutsch-Französischen Krieges von 1871. Der Toten dieser beiden Kriege wird in der Kirche mit Metallschilden gedacht, die an der Empore hängen. Einen größeren Raum nehmen in dem dünneren der drei Gedenkbücher die 89 Toten des Ersten Weltkrieges ein.
In den beiden dickeren Ordnern finden sich die Namen der 165 im Zweiten Weltkrieg getöteten Schönhauser beziehungsweise von Kriegstoten wieder, die in Schönhausen und in Hohengöhren bestattet wurden. Für jeden Einzelnen gibt es ein Gedenkblatt.
Oft sind den Namen auch Fotos beigefügt, darunter viele ausdrucksstarke Fotografien. "Dabei unterscheiden sich Frisuren, Kleidungsstil, Körperhaltung oder Gesichtsausdrücke kaum von heute lebenden jungen Menschen. Es erschließt sich dem Betrachter somit unmittelbar, dass der katastrophal-monströse Zweite Weltkrieg kein Phänomen eines vergangenen Zeitalters ist, sondern tatsächlich ein Ereignis unserer Zeitepoche ist", sprach der Pfarrer in seiner Predigt.
Außerdem sind den Gedenkblättern Kopien von Benachrichtigungsschreiben beigefügt, in denen militärische Vorgesetzte den Familien den Tod ihres Angehörigen mitteilen. Alle Schreiben wurden individuell mit der Schreibmaschine geschrieben. Wie dieser vom 27. September 1944: "Sehr geehrter Herr Küsel, der Anlass meines heutigen Schreibens ist ein sehr schmerzlicher. Seit einigen Tagen schon bestand bei uns ernste Sorge um das Schicksal des Bootes, auf dem Ihr Sohn kommandiert war. Nach Ablauf einer angemessenen Zeit ist es nun leider Gewissheit geworden, dass das Boot nicht zurückkehren wird. Die U-Bootführung hat daher das Boot und die Besatzung mit Wirkung vom 28.6. 1944 als vermisst erklärt... Über das Schicksal der braven Besatzung herrscht noch völlige Ungewissheit. Ich weiß, dass nun für Sie, sehr geehrter Herr Küsel, die schwere Zeit des Wartens und Bangens beginnt. Seien Sie überzeugt, dass von unserer Seite alles Menschenmögliche getan wird, um Klarheit über das Schicksal der Kameraden zu bekommen." Der Schönhauser Herrmann Küsel ertrank 22-jährig im Nordatlantik vor der Küste Kanadas.
Auch winzige Zeitungsannoncen sind in den Gedenkbüchern enthalten: "Wir erhielten die schmerzliche Nachricht, dass unser jüngster, heißgeliebter, sonniger Sohn, unser geliebter Bruder, Onkel und Schwager, der Grenadier Eduard Balzerzyk, am 8.11.44 bei den schweren Abwehrkämpfen im Osten sein junges Leben lassen musste. In unsagbarem Weh, Franz Balzerzyk und Frau, Geschwister und Angehörige. Schönhausen, Elbe - Trauerfeier am 28.1.45 um 14 Uhr." Eduard Balcerzyk fand mit 17 Jahren den Tod bei dem südpolnischen Krosno.
Ein anderer Nachruf gilt dem 1906 in Krefeld geborenen Karl Schmidt, der zwei Tage vor Kriegsende auf der Großen Straße in Hohengöhren tödlich verletzt wurde. Von dem Rheinländer, der Vater von Zwillingen war und dem die Jugendarbeit der katholischen Kirche am Herzen lag, findet sich in den Gedenkbüchern auch die Kopie seines Soldbuches und Seiten seines Taschenkalenders vom 9. April bis zum 6. Mai 1945. Die letzte Notiz trug er am 2. Mai 1945, vier Tage vor seinem Tod ein. Karl Schmidt wurde auf dem Friedhof an der Hohengöhrener Kirche bestattet.
Eine Zeitschrift des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge hatte Flora Pütsch zur Erstellung der Gedenkbücher animiert. Geholfen hat ihr bei den umfangreichen Recherchearbeiten der im niedersächsischen Stade lebende Bernhard Bleis. Auch er ist gebürtiger Schönhauser.
Wer sich die Zeit nimmt und hier und dort in den Gedenkbüchern liest, die Flora Pütsch geschrieben hat, der spürt etwas von der Bedrängnis und der Armut des Krieges: "Da töten sich am Tag des Kriegsendes Elisabeth und Otto Barthels zusammen mit ihrer Tochter. Da stirbt die 51-jährige Emma Braun im Gedränge an der gesprengten Elbbrücke zwischen Fischbeck und Tangermünde an einem Herzschlag. Der sechsjährige Siegfried Gaul wird am 27. Mai 1945 beim Hantieren mit einer Handgranate in den Tod gerissen. Nur ein Dreivierteljahr alt, verstirbt das Flüchtlingskind Siegbert Kraus an der zerstörten Elbbrücke bei Fischbeck", zählte der Pfarrer Beispiele auf und erklärte: "Flora Pütsch hat mit ihren Gefallenen-Gedenkbüchern einen beachtlichen Friedensdienst geleistet."
Dem Gottesdienst folgte die Kranzniederlegung, an der auch Vertreter der Feuerwehr, der Schützengilde und der Kommunalgemeinde teilnahmen.