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Geschichtsvortrag Der Zar - Legende und Wahrheit

Europäische Geschichte wurde im November 1716 in Havelberg geschrieben: Preußenkönig und Zar besiegelten die „Konvention von Havelberg“.

Von Ingo Freihorst 03.05.2017, 01:01

Havelberg l Der Historiker Dr. Michael Schippan, welcher derzeit an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel an einem Forschungsprojekt über den „russischen Europäer“ Nikolai Karamzin arbeitet, kennt sich seit vielen Jahren auch in Havelberg bestens aus. Das ist nicht verwunderlich, denn seine Frau stammt aus Sandau. Weshalb auch etliche Elbestädter beim gut besuchten Vortrag am Freitagabend im ArtHotel anwesend waren.

Dr. Michael Schippan hatte bereits im 1998 anlässlich des Stadtjubiläums erschienenen Buch „Havelberg – Kleine Stadt mit großer Vergangenheit“ über den Zarenbesuch berichtet. Eingangs erinnerte der Historiker daran, wie auf Initiative von Herbert Stertz in der Wendezeit der Heimatverein gegründet worden war – letzterer war Organisator des Vortrages. Bereits in den von Herbert Stertz in der DDR herausgegebenen Heimatheften hatte Michael Schippan über den Zarenbesuch berichtet.

Der Historiker freute sich, dass dem Zaren anlässlich der Buga von den Havelbergern ein besonderes Denkmal gesetzt und somit das Andenken an den Besuch wach gehalten wurde. Der Zar gehört aber auch zur Geschichte der Havelschifffahrt, welche Herbert Stertz in seiner Buchreihe ausführlich beschrieben hatte.

Peter der Große – mit bürgerlichem Namen Pjotr Alexejewitsch Romanow – wurde von einem Schriftsteller als „unermüdlicher Werkmann auf dem Throne“ beschrieben. So hielt sich denn in Havelberg nach dessen Besuch auch die Legende, dass er auf der Werft eine Seejungfrau geschnitzt haben sollte. Doch existierte die Werft seit 1702 nicht mehr – der Zar weilte erst 14 Jahre später in der Domstadt. Sicherlich wird er die Stadt durchstreift haben, so die Ansicht von Dr. Michael Schippan. Laut der Legende soll Peter I. die Seejungfrau 1732 geschnitzt haben, da war er bereits sieben Jahre tot. Sei es wie es sei – seit dem Vorjahr ist eine Kopie der Jungfrau dank des Heimatvereins wieder am einstigen Backhausschen Gasthaus zu sehen.

Der Legende nach soll der Zar nach seinem Besuch im holländischen Saardamm in Havelberg in einem kleinen Giebelstübchen des Gasthauses genächtigt haben. Das wäre 1698 gewesen. Doch war er auf dieser Reise mit seiner „Großen Gesandtschaft“ nicht durch Havelberg sondern durch die Grafschaft Magdeburg gereist. Zu dieser Gesandschaft hatten übrigens 250 Leute gehört.

Komponist Albert Lortzing wurde von dieser Reise zu seiner Oper „Zar und Zimmermann“ inspiriert. Ziel dieser Reise des Zaren war, den Kampf gegen die Türken fortzuführen. Doch hatten die europäischen Mächte mit dem spanischen Erbfolgekrieg gerade andere Probleme. Auf dieser Reise hatte Peter I. – er war teils auch inkognito unterwegs – in Ilsenburg die Eisengießerei besucht und im Harz den Brocken bestiegen.

Weil der Zar im Kampf gegen die Türken – und damit um einen Zugang zum Schwarzen Meer – in Europa keine Unterstützung erhielt, konzentrierte sich sein Augenmerk auf die Ostsee. Im für ihn verlustreichen Zweiten Nordischen Krieg (1700 bis 1721) konnte er nach vielen Niederlagen mit seinem Sieg bei Poltawa 1709 die Wende herbeiführen. Zu Beginn war Russland von den Schweden bei Narva vernichtend geschlagen worden, weshalb der Reussenherrscher begann, ein stehendes Heer und eine Kriegsflotte aufzubauen. Bedenkenlos verfügte er dabei über seine schier unermesslichen menschlichen Ressourcen.

Havelberg war eine Station der letzten Europa-Reise des Zaren. Sein Reich befand sich 1716 in einer Krise, denn nach der missglückten Landung in Schweden nahmen die Spannungen mit seinen Verbündeten zu. Zarentruppen lagerten zu Hauf in Mecklenburg, was vor allem Kaiser Karl VI. nicht genehm war. Peter I. suchte nach Verbündeten: Lediglich Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. blieb übrig, mit dem in Havelberg dann die Konvention unterschrieben wurde.

Mecklenburg musste für die Reise 50 Wagen und 400 Pferde stellen, Vertreter von sieben europäischen Staaten weilten in Havelberg. Beide Herrscher versicherten sich einer beständigen Freundschaft. – Lediglich drei Jahre später wurde der König zum Gegner des Zaren.

Übrigens ähnelten sich auch die Schicksale der Herrschersöhne: Der Sohn des Zaren lehnte dessen expansive Außenpolitik ab und flüchtete während dessen Europareise über Österreich nach Neapel, von wo ihn der Vater entführen und zum Tode verurteilen ließ. Dazu kam es jedoch nicht mehr – der Zarensohn starb 1718 an den Folgen der Folter.

Besser erging es dem preußischen Thronfolger Friedrich, welcher 1730 ebenfalls desertierte. Auch er sollte nach dem Willen des Vaters hingerichtet werden, was aber das Militärgericht ablehnte. Statt dessen wurde sein engster Freund Hans-Hermann von Katte als Mitwisser geköpft.