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  7. Heimatgeschichte: Ein Schulhaus wird hundert

1927 wurde aus dem einstigen Lehrerseminar die Oberrealschule, später die Erweiterte Oberschule - Teil 2 Heimatgeschichte: Ein Schulhaus wird hundert

Von Helmut K. J. Knopf 06.10.2012, 01:15

Am 1. Oktober 1912 wurde in Havelberg das Königliche Lehrerseminar eingeweiht. Es verkörperte für lange Zeit preußische Schulgeschichte. Viele Tausende Schüler haben an diesem Schulstandort in den vergangenen 100 Jahren auf immer hohem Niveau ihre Schulausbildung erhalten (der erste Teil erschien am 29. September).

Havelberg l Die Seminaristen selbst, die ja schon länger im Dombereich ihren Unterricht erhielten, erlebten diese Einweihungsfeier etwas anders, wie wir den Lebenserinnerungen eines Schülers entnehmen können. Er schreibt dazu: "Im Herbst 1912 wurde dann noch ein für die Geschichte des Havelberger Seminars wichtiger Festtag gefeiert. Die Einweihung des auf dem hohen Havelufer neu errichteten Seminars wurde von uns Seminaristen mit einem Fackelzug am Abend abgeschlossen. Als ,Anstaltsältester\' musste ich dabei von der Freitreppe des Rathauses aus eine Ansprache halten.

Darin brachte ich den Dank der Seminaristen an die staatlichen und städtischen Behörden für die wirklich großzügige Gestaltung des Gebäudekomplexes mit allen modernen Einrichtungen für unser Studium zum Ausdruck. Ich dankte aber auch für die Gastfreundschaft, mit der uns von den Bürgern der Stadt Unterkunft gewährt worden war. Ich beendete meine Ansprache mit dem Wunsch, dass das gute Verhältnis zwischen Seminar und Stadt fortdauern möchte und brachte dann das ,Hoch\' auf die Stadt aus, in das die Fackelträger über die den Marktplatz füllende Menschenmenge hinweg laut hallend einstimmten. Wie dann die lodernden Fackeln in wohlgeordnetem Zuge die mehr als 100 Stufen der steinernen Treppe zur Domstadt hinaufgetragen wurden und schließlich auf dem neuen Seminar-Innenhof zum Scheiterhaufen zusammengeworfen verglühten, das war schon ein eindrucksvolles Geschehen. Merkwürdigerweise, für uns Seminaristen unverständlich, blieb, dass weder staatliche noch städtische Behörden, nicht einmal die Presse - abgesehen von einer ganz kurzen Notiz - von dem kulturell doch nicht unwichtigen Ereignis, soweit uns bekannt wurde, Kenntnis genommen hatten. Doch das konnte unsere Genugtuung, in würdigen neuen Lehrsälen und Übungsräumen zu sitzen und das für das Studium und den Unterricht erforderliche Lehr- und Lernmaterial zur Verfügung zu haben, nicht schmälern."

Es könnte sein, dass wegen des schlechten Wetters mit Sturm und Regen die Feierlichkeiten, die ja wirklich stattgefunden haben, nicht die Aufmerksamkeit der Seminaristen gefunden haben oder sie schlichtweg nicht in das ganze Fest einbezogen wurden.

Beginn der Lehrtätigkeit am königlichen Seminar

Erstmalig erwähnt wurde das "evangelische Königliche Lehrerseminar" im Jahr 1908 im "Centralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen". Als Direktor "auftragsweise" wird der Seminar-Oberlehrer G. Kohlbach, der 1907 aus Drossen nach Havelberg kam, eingesetzt. Unter der Bezeichnung "auftragsweise" firmiert er auch noch 1909. Erst 1910, nach zweijähriger Einlaufphase, wird Kohlbach als ordentlicher Direktor des Lehrerseminars Havelberg geführt. Zu dieser Zeit wurde noch im Dombereich gelehrt. Für die volle Ausgestaltung des Seminars und sein Funktionieren spricht auch die Tatsache, dass dem Havelberger Lehrerseminar zugleich die Abhaltung eines sechswöchigen Seminarkurses in Pädagogik für Kandidaten des evangelischen Predigeramtes übertragen und von nun an jährlich integraler Bestandteil der pädagogischen Ausbildung wurde.

Im neuen Lehrerseminar konnte auch die Präparandenanstalt untergebracht werden. Der Präparand wurde mit 14 Jahren nach Absolvierung seiner Volksschulpflicht von der Anstalt aufgenommen, wenn er die Voraussetzung zur Erlernung des Lehrerberufes erfüllte.

Zuletzt befand sich die Präparandenanstalt in dem Gebäude der ehemaligen Entbindungsstation, die sich in der Domherrnstraße befand und an die sich noch viele Havelberger erinnern.

Der Lehrplan war in Preußen einheitlich geregelt

Die inhaltliche Gestaltung des Lehrplanes, nach der unterrichtet wurde, war in Preußen einheitlich geregelt. Nach Absolvierung des Seminars, das drei Jahre dauerte, wurde die 1. Lehrerprüfung abgelegt. Wurde sie bestanden, konnte der Lehramtsbewerber frühestens nach zwei Jahren praktischer Tätigkeit oder spätestens nach fünf Jahren Praxis die 2. Lehrerprüfung ablegen. Erst nach bestandener 2. Prüfung erwarb er sich die Berechtigung zur festen Anstellung. Jeder Lehramtsanwärter musste die ihm von der Regierung angewiesene Lehrstelle annehmen.

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 ergaben sich erste Abweichungen vom geregelten Studienverlauf. Die vorzeitige Ablegung der 1. Lehrerprüfung und die Teilnahme der Seminaristen an Erntearbeiten infolge Mobilmachung beeinflussten die Lehr- und Lerntätigkeit. Ab dem Jahre 1915 wurden die Lehrerseminare verpflichtet, den "Wiedereintritt der im Kriege verwundeten oder erkrankten Schüler" zu organisieren.

Die Lehrkräfte wurden ermahnt, diesen Kriegsbeschädigten jegliche Unterstützung zu gewähren. Auch dann, wenn sie in ihrer späteren Lehrtätigkeit teilweise beeinträchtigt sein werden. Im Jahre 1917 wurden Notprüfungen eingeführt und wegen der Kriegsereignisse ab 1918 schließlich "verkürzte Lehrgänge" von maximal neun Monaten. Damit wollte man diejenigen fördern, die sich im Heeresdienst einwandfrei geführt haben.

Infolge der Ereignisse von 1918 und der damit verbundenen veränderten politischen Verhältnisse wurde auch das Lehrerseminar in Havelberg zu einem "Staatlichen Lehrerseminar" ohne Konfessionsangabe. Der "normale" Unterrichtsbetrieb setzte wieder ein. Es gab sogar Vorgaben zur "Fernhaltung der Politik von der Schule". Die sechswöchige Predigerausbildung der Kandidaten für das evangelische Predigeramt wurde wieder ausgeführt, aber schon 1920 gab es diese Lehrgänge wieder.

Auflösung des Lehrerseminars und Neubeginn

Ab 1922 ist zu erkennen, dass die Lehreinrichtung in der ursprünglichen Form bald nicht mehr bestehen wird. Am 10. März 1924 verließ die letzte Seminargruppe mit zwölf Seminaristen nach Ablegen der 1. Lehrerprüfung das Seminar. An dieser letzten Prüfung nahm auch ein Havelberger Seminarist teil. Es ist der spätere Berufsschuldirektor Erich Marks, der wegen des Berufes seines Vaters (Töpfermeister) den Spitznamen "Pötter-Marks" erhielt.

Infolge der Neuordnung der Lehrerausbildung, die zur Auflösung des Lehrerseminars führte, stand die Schule ab 1. April 1924 leer. Im Jahre 1925 gab es noch einige Entlassungsprüfungen, die aber nur einige Nachzügler betraf. Schon im April des selben Jahres nahmen ehemalige Seminarlehrer eine zeitweilige, oder wie im Fall des stellvertretenden Seminardirektors Dr. Lüdtke, eine ständige Tätigkeit an der städtischen Realschule auf. Den ersten Direktor des Lehrerseminars, G. Kohlbach, findet man als Ministerialrat im Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Berlin beschäftigt.

Erst im Jahre 1927 ging es mit der Schule wieder weiter. Es wurde nun eine sogenannte "Oberrealschule in Aufbauform" (im Volksmund nur Aufbauschule genannt) eingerichtet. Diese Schule konnte man nun zum Erwerb der "Mittleren Reife" wie auch zum Erwerb des "Abiturs" besuchen. Es gibt noch einige ältere Havelberger, die in dieser Schulform ihre Ausbildung absolvierten (Herbert Stertz, Werner Kelp, Frau Zabel).

Verschiedene Formen und Namen der Schule

Nach dem Zweiten Weltkrieg wechselte der Name der Schule des Öfteren. Es gab die Pestalozzi-Oberschule, die dann eine 10-klassige polytechnische Oberschule wurde. Später kam noch der Abiturteil dazu, der dann erst Erweiterte Oberschule (EOS) genannt wurde. Zu meiner Schulzeit nannte sich dieser Teil "Erweiterte Pestalozzi-Oberschule (EPOS)". Noch genauer ausgedrückt hieß die Bildungseinrichtung "Johann-Heinrich-Pestalozzi-Oberschule mit EOS-Teil".

Es müsste unbedingt noch einmal ausführlich dieser Zeitraum der Schule erforscht werden, denn es gibt eine hohe Anzahl von Havelbergern, über mehrere Generationen verteilt, die als Zeitzeugen dienen können, da sie an dieser Schule eine qualitativ hochwertige Bildung von überwiegend hochqualifizierten Lehrern erhielten.

Nach der Wende in der DDR 1989 gab es dann ab 1991 das "Pestalozzi-Gymnasium" und jetzt heißt die Schule "Diesterweg-Gymnasium Tangermünde-Havelberg". Mir scheint es so, als wenn das noch nicht der letzte Name dieser traditionsreichen Schule war. Anzumerken ist außerdem, dass das Schulgebäude künftig die Sekundarschule beherbergt, die Gymnasiasten lernen seit diesem Frühjahr in einem Teil des sanierten und umgebauten Anbaus.

"Ein Schulhaus wird Hundert - Preußische Schulgeschichte und Königliches Lehrerseminar in Havelberg" heißt die Ausstellung im Prignitz-Museum, die am vorigen Wochenende anlässlich des Jubiläums eröffnet worden ist.