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Indonesien Lebenswerk des Vaters aufgespürt

Sieben Jahre war Dagmar Pabst alt, als sie mit ihren Eltern nach Indonesien aufbrach. 60 Jahre später war die Sandauerin wieder dort.

Von Andrea Schröder 22.02.2019, 17:27

Sandau l „Ich habe diese Reise jahrelang geplant und immer davon erzählt, dass ich noch einmal nach Java möchte, um das Lebenswerk meines Vaters zu sehen. Mein Sohn und meine Freunde rieten mir zu und so habe ich mich im Oktober aufgemacht“, erzählt Dagmar Pabst, geborene Zietz. In ihrem Wohnzimmer zeugen Holzschnitzereien, Tücher, Schmuck, Bücher, Bilder und Kinderspielzeug vom einstigen und aktuellen Aufenthalt auf der indonesischen Insel.

Klempner und Installateur war ihr Vater, ein gebürtiger Sandauer, als er 1955 von seinem Betrieb VEB Isolierung Leipzig delegiert worden ist, in Yogyakarta eine Zuckerfabrik mit aufzubauen. Für ein Jahr konnte er seine Frau und seine siebenjährige Tochter mitnehmen. Fast anderthalb Wochen war die Familie damals unterwegs, ehe sie am Ziel angekommen war. Über Zürich, Rom, Paris, Kairo und Karatschi führte die Reise auf die indonesische Insel Java und in die Hauptstadt Jakarta. Dort ging es mit dem Zug weiter bis Yogyakarta. 60 Jahre später fuhr Dagmar Pabst wieder mit dem Zug über die Insel.

Über ein Reisebüro hatte sie eine Rundreise durch Indone­sien gebucht. Ganz allein machte sie sich auf den Weg. Dass sie kein Wort Englisch spricht, machte die Tour nicht leichter. Doch sie stieg immer in den richtigen Flieger, fragte sich durch. „Das war schon eine Herausforderung auf den Riesenflughäfen.“ Auf Java traf sie auf ihre Reisegruppe. Mit Zug und Bus ging es über die Insel zu den Nationalparks, Tempeln und Vulkanen. „Ich besuchte all das, was ich damals mit meinen Eltern auch gesehen habe“, erzählt die Sandauerin. Und dann war der große Tag gekommen: der Besuch der Zuckerfabrik. Ob es sie überhaupt noch gibt, wusste Dagmar Pabst nicht. Sie hatte über das Reisebüro eine Reiseleitung gebucht, die sie in Yogy­akarta begleitete.

„Morgens um halb acht wurde ich mit dem Taxi vom Hotel abgeholt und wir fuhren zirka eine halbe Stunde. Dann erkannte ich bereits die Häuser und sagte, dass wir gleich da sind, wir müssten nur noch rechts abbiegen. Und tatsächlich: 500 Meter weiter steht noch heute die Zuckerfabrik. Sie produziert auch noch, aus den Schornsteinen stieg Dampf auf. Das war ein sehr bewegender Moment für mich.“ Voller Erwartung stieg sie aus dem Auto. Sie sah die Siedlung, in der sich ihr Zuhause für ein Jahr befand. Am Betriebstor wurde sie vom Betriebsleiter empfangen. Sie sei die erste Deutsche, die danach gefragt hat, ob es die Fabrik noch gibt, und ihr Interesse stieß auf große Freude.

Dagmar Pabst sah bereits erste Maschinen und hörte die Kessel brodeln, in denen Zucker­rohr zu Zucker verarbeitet wird. Doch erstmal stieß sie mit dem Betriebsleiter an. „Mit kleinen Flaschen Feigling, die ich aus Deutschland mitgenommen hatte.“ Bei der Führung durch die Zuckerfabrik erkannte die Sandauerin vieles wieder. „Mir war alles wieder allgegenwärtig. Die Loren mit dem Zuckerrohr fuhren in die Fabrik rein. Damals saß ich mit auf den Loren, das hat viel Spaß gemacht.“ Bis zur Endstation der Zuckerproduktion, wo der Zucker in Tüten und Säcke gefüllt wird, konnte sie alles noch einmal sehen. „Die Maschinen stammen noch aus DDR-Zeiten.“ Um die 80 bis 100 Leute arbeiten heute in der Fabrik, schätzt Dagmar Pabst.

Wieder draußen vor dem Betriebstor, besuchte sie das Haus, in dem sie ein Jahr ihrer Kindheit verbracht hatte. Für die Arbeiter aus der DDR waren im Bungalowstil Häuser errichtet worden, in denen sie mit ihren Familien wohnten. „Ich war in meinem Kinderzimmer, wusste noch genau, wo mein Bett gestanden hat. Heute sind es Büroräume. Die Häuser stehen alle noch und werden bewohnt.“

Sie fühlte sich in ihre Kinderzeit zurückversetzt. „Da hatte ich auch meinen eigenen Affen. Oft war er draußen, manchmal war er auch an der Kette festgemacht. Die Makake-Affen sieht man auf Java überall. Teilweise werden sie wie Haustiere gehalten“, erzählt Dagmar Pabst und zeigt ein Foto, auf dem sie mit ihrem Affen zu sehen ist. Sie dachte auch an Britta. Das blonde Mädchen mit Zöpfen. Zu gern würde sie wissen, was aus ihr geworden ist. Drei bis fünf Kinder waren sie damals, die von einem Privatlehrer unterrichtet wurden. Und auch ihre Puppe, die sie auf dem Weg von Sandau nach Indonesien begleitet hat, sah sie in Gedanken vor sich. Die Puppe hat noch heute einen festen Platz in ihrem Wohnzimmer. Wie zum Beispiel auch das indonesische Spielzeug, das sie sich von der großen Reise mitgebracht hatte. Ein Elefant und drei Affen als Zirkustiere zum Aufziehen.

Zur Erinnerung an ihre Eltern hatte Dagmar Pabst Fotos mitgenommen, die sie vor 60 Jahren auf Java zeigten. Sie pflückte ein paar Blüten und machte direkt vor der Zuckerfabrik ein neues Erinnerungsfoto. „Die Zeit auf Java spielte immer eine große Rolle in unseren Gesprächen. Abends sind wir mit Rikschas in die Stadt gefahren, zum Essen oder ins Kino. Mein Vater war insgesamt vier Jahre dort, er hat auch indonesisch gesprochen.“ Eine Zeitlang wurden die Kontakte zu den anderen Deutschen, die die Zuckerfabrik mit aufgebaut hatten, aufrecht gehalten. Öfter ging es zu einer Familie nach Kirchmöser. Einer der Arbeiter hieß Schulz, weiß Dagmar Pabst noch. Die 67-Jährige würde sich freuen, könnte sie heute noch mal einen Kontakt herstellen.

Wieder zurück im Hotel, waren die Mitglieder ihrer 17-köpfigen Reisegruppe gespannt auf ihren Bericht vom Besuch der Zuckerfabrik und freuten sich, dass Dagmar Pabst die Spuren wieder aufnehmen konnte. Zurückblickend auf die dreiwöchige Reise, ist Dagmar Pabst stolz, sich ihren Lebenstraum erfüllt zu haben.

„Das macht nicht jeder, mit viel Mut und Neugier solche lange Abenteuerreise anzutreten. Ich bin an meine Grenzen gegangen. Vieles war sehr anstrengend und schwierig für mich. Es war eine sehr beeindruckende Reise. Auf Java habe ich viel Natur gesehen mit einer großen Blumenpracht sowie Reis-, Pfeffer-, Kaffee-, Ananas- und Apfelsinenplantagen. Wir haben die Vulkanlandschaften erkundet und Tempel erklommen. In Yogyakarta besuchten wir den Sultanspalast. Ich weiß noch, dass wir damals als Kinder Angst vor dem dicken Buddha gehabt haben. Auf Sumatra haben wir den Nationalpark mit den letzten in freier Natur lebenden Orang Utans besucht. Da musste ich den Ausflug aufgrund der hohen Hitze und Luftfeuchtigkeit allerdings leider abbrechen. Am Ende meiner Reise war ich dann noch auf Bali für einen Badeurlaub.“

Gesehen hat Dagmar Pabst auch die große Armut. „Wir haben immer ein paar Bonbons und Stifte in der Tasche gehabt, die wir Kindern geschenkt haben. Viele Kinder arbeiten auf den Reisfeldern. Und wir haben auch Geld gespendet.“ Ihre gut 500 Fotos erzählen von den vielen Erlebnissen und Begegnungen. Etwa mit einer alten Frau oder mit einer großen Hochzeitsgesellschaft, an der die Reisegruppe zufällig vorbei kam und von der sie alle spontan zum Essen eingeladen wurden.

Am Sonnabend, 9. März, berichtet Dagmar Pabst von ihrer Reise. Sie freut sich auf viele Zuhörer, die ab 16 Uhr mit ihr im Sandauer Kirchturm auf die virtuelle Reise gehen.